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536. Nacht

Der junge Muselmann befolgte die empfangene Weisung: Er
erschreckte den Vogel, stieg von dem Baum, füllte den Sack mit dem schwarzen
Staub, und näherte sich der senkrechten Felswand, an deren Fuß der alte Gheber
ihn erwartete.

Als dieser ihn erblickte, bezeigte er ihm seine
Zufriedenheit und ermunterte ihn: „Komm, mein Vielgeliebter!“, rief er
ihm, „unser Glück ist gemacht, und Du bist es, dem ich es verdanke. Binde
den Sack an das Seil, welches Du hast, und lass ihn zu mir hernieder. Danach
knüpfe das Seil fest um einen der Bäume, die neben Dir stehen, und gleite
selber daran zu mir herunter.“

Asem band, ohne Misstrauen, den Sack an, und ließ ihn bis
auf den Boden nieder. Aber kaum hatte Bharam das Seil ergriffen, als er mit all
seiner Kraft daran zog, um Asem damit herab zu reißen, der kein anderes Mittel
sah, den Tod zu vermeiden, als das Seil fahren zu lassen. Dadurch rettete er
sich, und der Magier rief ihm zu.

„Hund von Muselmann, Du sollst jetzt die Demütigung
büßen, welche Du mir zugezogen hast: Freue Dich nun, und gehe hin und suche
die Leichname Deiner Genossen, welche in diesem Gebirge liegen, wo ich sie
gelassen habe, wie Dich.“

Und als Asem sein Mitleid anflehte, fuhr er fort:

„Gott verhüte, dass ich ein solcher Narr sei, einen
Menschen mit mir zu nehmen, der mein Geheimnis verraten könnte.“

Mit diesen Worten bestieg er sein Kamel, und überließ
Asem der grimmigsten Verzweiflung. Der arme junge Mann verfolgte mit den Augen
seinen treulosen Gefährten, so weit er konnte. Als er ihn aber aus dem Gesicht
verloren hatte, sank er bewusstlos zu Boden. Er blieb in diesem Zustand einige
Stunden, nach deren Verlauf der Hunger und die Liebe zum Leben ihn wieder zu
sich selber brachte. Er stand wieder auf, richtete sein Gebet an den Schöpfer,
und aß eins der kleinen Brote, welche er mitgebracht hatte. Dieses schlechte
Mahl stärkte ihn etwas. Er suchte nun auf allen Seiten nach einem Ausgang, aber
vergebens. Darüber kam die Nacht, und die Furcht vor den wilden Tieren und die
Gefahr, in irgend eine Schlucht zu stürzen, zwangen ihn, abzulassen, und einen
Baum zu besteigen, auf welchem er, erschöpft von Anstrengung, einschlief.

Er hatte einen fürchterlichen Traum, und schwitzte große
Tropfen, als er, durch die Beängstigung aufgeschreckt, dicht an seiner Brust
den aufgesperrten Rachen und die funkelnden Augen einer ungeheuren Schlange
erblickte, welche schon im voraus die Lust ihn zu verschlingen, zu schmecken
schien. Der Schreck erstarrte ihn. Die Schlange, vermutlich um eine bequemere
Stellung einzunehmen, machte eine Bewegung und drehte den Kopf weg: Da ergriff
Asem, dessen Entsetzen aufs höchste gestiegen war, seinen Dolch, und stieß ihn
der Schlange kräftig in den Kopf: Das Ungeheuer stürzte auf der Stelle nieder.

Asem konnte die übrige Nacht nicht mehr schlafen. Mit
Anbruch des Tages stieg er von dem Baum, und jetzt erst konnte er die Größe
des Ungeheuers erkennen, welches er getötet hatte. Dieses, mit dem Dolch im
Kopf, lebte noch. Aber seine Augen warn geschlossen, und es war Asem leicht, es
vollends zu töten. Was ihm den Untergang drohte, wurde nun das Mittel zu seiner
Rettung. Die Größe der Schlange brachte ihn auf den Gedanken, ihr den Balg
abzustreifen, und daraus lange Riemen zu schneiden, vermittelst welcher er sich
herablassen könnte, und so das ihm entrissene Seil zu ersetzen. Er machte sich
sogleich eifrig ans Werk, und kam damit zu Stande.

Nach einigen Versuchen glitt er an dieser aus dem
Schlangenblag gemachten Leine hinab, und gelangte endlich, nicht ohne große
Mühe, an den Fuß dieses Gebirges, in welchem er schon sein Grab gefunden zu
haben glaubte.

Dankbar gegen die Vorsehung, warf er sich mit dem Gesicht
zur Erde, sagte sein Fatha her, und flehte um den Beistand des Propheten in den
Gefahren, welche ihm noch zustoßen möchten.

Er wanderte fort, bis es Abend wurde, und nährte sich von
den Früchten, welche die Bäume der Wälder ihm darboten, durch welche er kam.
Bald erkannte er seinen Weg wieder, und verfolgte ihn bis zum neunten Tag.