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535. Nacht

Eines Tages erhub sich ein wütender Sturm. Die Wogen
schleuderten das Schiff bis an die Wolken empor und drohten, es in Stücke zu
schlagen. Die Schiffsmannschaft fiel glücklicherweise darauf, den Zorn des
Himmels und den ihnen drohenden Sturm der Behandlung zuzuschreiben, welche
Bharam den Asem erleiden ließ. Sie geboten ihm, seinen Gefangenen loszulassen,
und da er nicht sogleich gehorchte, so ergriffen sie die Sklaven, welche die
Schergen seiner Grausamkeit waren, und warfen sie über Bord, und drohten
zugleich dem Herrn dasselbe Schicksal, wenn er nicht auf der Stelle den armen
Jüngling in Freiheit setzte.

Bharam musste sich jetzt wohl dazu verstehen. Man zwang
ihn sogar, sich auf die Knie zu werfen, und sein Schlachtopfer um Verzeihung zu
bitten. Der alte Magier gedachte ihn aber wohl noch alle diese Demütigungen
teuer bezahlen zu lassen.

Der Sturm legte sich, und während der ganzen übrigen
Fahrt wurde Asem gut behandelt und kam wieder etwas ins Leben zurück. Sein
Entführer bezeigte ihm alle Aufmerksamkeit, und bemühte sich, ihn die zuvor
angetane Misshandlung vergessen zu machen.

Endlich erblickte man das Land. Der Magier stieg aus mit
Asem, dessen Vertrauen er fast wieder gewonnen hatte, und sagte ihm, er ginge in
das Land, wo Gold zu finden wäre. Er befahl dem Schiffshauptmann, sie einen
Monat an dieser Küste zu erwarten, und schritt eine Strecke in das Innere des
Landes.

Als er sich hier mit Asem allein sah, zog er unter seinem
Kleid eine kleine Trommel mit zwei Stöcken hervor, und wirbelte einen Marsch,
und alsbald erhub sich ein wütender Sturm in der Wüste. Eine Staubsäule
bildete sich, und Asem war erschrocken, wurde aber angenehm überrascht, als die
Staubwolke verschwand und drei Kamele daraus hervortraten. Das eine war mit
allen zu einer Reise nötigen Vorräten beladen. Die beiden anderen, reich
aufgeschirrten, schienen ihre Reiter zu erwarten. Bharam bat Asem, das eine zu
besteigen, und bestieg das andere, und so ritten sie mit wunderbarer
Schnelligkeit dahin.

Sie sahen während acht Tage nichts Merkwürdiges: Am
neunten erblickte Asem etwas sehr Glänzendes am Gesichtskreis. Sie näherten
sich, und er konnte nun den reichen Bau eines überall von Gold und Edelsteinen
glänzenden Schlosses unterscheiden, und die Gegen umher erschien unabsehlich
mit den reizendsten Gebüschen bedeckt. Sobald der alte Magier, der auf dieses
Schauspiel nicht Acht gegeben hatte, es erblickte, lenkte er sein Kamel um, und
begab sich mit aller Geschwindigkeit desselben auf die Flucht. Asem wäre gern
auf dem Weg nach diesem Palast geblieben, aber das Kamel, welches er ritt,
folgte seinem Gefährten, trotz allen seinen Anstrengungen, und wollte nicht
eher stillstehen, als bis Bharam in ein Gehölz eingedrungen war, wo er sich
etwas mehr in Sicherheit glaubte. Hier antwortete er auf Asems Fragen, das
Schloss, welches er gesehen, wäre von bösen Geistern, seinen Feinden bewohnt,
deren Geschichte er ihm noch eines Tages zu erzählen versprach.

Sie begaben sich wieder auf den Weg, und nach Verlauf
einiger Tage fragte Bharam seinen Gefährten, ob er nichts am Gesichtskreis
erblickte.

„Ich sehe,“ antwortete dieser, „eine sehr
schwarze Wolkenkette, welche von Osten nach Westen zieht.“

„Das sind keine Wolken,“ sagte Bharam,
„sondern sehr hohe Berge, welche man das Wolken-Gebirge nennt. Ihr Gipfel
ist das Ziel unserer Reise, und mit Deiner Hilfe wollen wir beide reicher nach
unserm Schiff zurückkehren, als alle Könige der Welt: Aber zu diesem Zweck
musst Du allen meinen Befehlen gehorchen.“

Asem versprach es ihm, aber ihn schauderte innerlich, wenn
er an die neununddreißig Schlachtopfer des Ghebers und an die Misshandlung
gedachte, welche er selber in dem Schiff von ihm erfahren hatte. Es gereute ihn
sehr, dasselbe verlassen zu haben, aber es war jetzt zu spät umzukehren. Er
befahl sich von neuen der Vorsehung, und bemühte sich, so viel er vermochte,
seine Unruhe zu verbergen.

Bharam überhäufte ihn mit Liebkosungen. Sie reisten noch
vier Tage, nach deren Verlauf sie sich am Fuß der schwarzen Berge befanden.
Aber sie waren noch nicht am Ziel, denn ein ungeheurer Abgrund, in welchen die
Wand des Gebirges sich steilrecht hinabsenkte, und eine breite Kluft hemmten das
weitere Vordringen, und die Höhe des Gebirges verbreitete tiefe Dunkelheit
über alle Gegenstände umher.

Sie stiegen ab, und ließen ihre Kamele weiden. Der Magier
zog aus dem Vorrat drei Brote und einen kleinen Wasserschlauch1)
hervor, und zündete ein Feuer an, hierauf tötete er das kleinste der drei
Kamele, weidete es aus und wusch das Innere des Leichnams rein aus. Dann sprach
er zu Asem:

„Mein Sohn, jetzt ist der Augenblick gekommen, unsere
Arbeiten zu beendigen: Dazu bedarf’s nur noch, dass Du in das Innere dieses
Tieres kriechst. Ich werde die Haut wieder zunähen, aber ein Loch lassen, durch
welches Du Atem holen kannst. Ein ungeheurer Roch wird herbeikommen, das Tier
mit seinen Klauen packen, und es auf den Gipfel des Berges tragen. Sobald Du
spürst, dass er Dich dort niedergelegt hat, so eile, durch Deinen Dolch die
Haut des Kamels aufzuschlitzen: Dein plötzlicher Anblick wird den Vogel in die
Flucht jagen. Alsdann fülle, ohne Zeitverlust, den Sack, welchen ich Dir gebe,
mit dem schwarzen Staub, welchen Du auf dem Berg finden wirst, knüpfe ihn an
das eine Ende des Seiles, welches ich Dir auch mitgebe, und lass ihn herunter.
Worauf Du selber herabstiegen kannst, und wir uns wieder auf den Weg machen
wollen.“

Asem war genötigt, sich dem Willen seines Gebieters zu
unterwerfen: Er ließ sich also in den Leichnam des Kamels vernähen. In diesem
war er einige Stunden, als, zufolge der Vorhersagung des Zauberers, einer der
ungeheuren Vögel, welche auf dem Gipfel des Gebirges wohnten, auf das Kamel,
welches er erblickte, niederstieß, es mit seinen Klauen packte, und auf den
höchsten Berggipfel empor trug.


1)
Die Wasserschläuche sind aus Ziegenfellen, die am Hals fest zugeschnürt
werden. Solche Schläuche führt bei jedem Heerzug in Asien eine bestimmte
Anzahl Wasserträger, welche von den Muselmännern Behifthi’s oder
Paradies-Diener genannt werden, weil sie den durstigen Reisenden oder Kriegern
in dem heißen Land so großes Labsal darbieten. Die Europäer haben dieses
persische Wort in den Musterrollen des Bengalischen Heeres zu Bestien (beastics)
verkehrt. Auf ähnliche Weise wird der Name des Nabobs Serädsche ad Daulah,
d.h. Leuchte des Reiches, oft geschrieben und gesprochen Ser Roger Dowlah; und
von einem würdigen Direktor wird erzählt, dass er beim Lesen einer Depesche
aus Bengalen den Präsidenten ernsthaft fragte, ob jener ein englischer Baronet
wäre. Die Stadt Rädsche Mahal hieß, und heißt vermutlich noch bei den
gemeinen Kriegern Roger Maul, Allahabad wurde Isle of Bats, Insel der
Fledermäuse, genannt, mit welchen es in der Tat heimgesucht ist; und man hat
sonst ebenso guten Grund für diese Benennung, als manche gelehrte Ableitung
scharfsinniger Etymologen, weil Allahabad, zwischen den Flüssen Jumna und
Ganges gelegen, in der Regenzeit allerdings eine Insel ist.