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534. Nacht

Unterdessen schiffte der treulose Entführer mit gutem
Wind dahin. Er war einer der Ghebern oder Feueranbeter, und dabei ein
geschickter Magier. Jedes Jahr kam er nach Chorasan1),
um durch seien glänzenden Versprechungen einen jungen Muselmann zu betören,
und wenn er sich dessen zu seinem Zweck bedient und sich die zur Alchimie
nötigen Sachen verschafft hatte, so tötete er ihn, aus Furcht, dass sein
Geheimnis verraten würde2).

Zwei Tage nach ihrer Abfahrt hielt es Bharam (so hieß der
Gheber) für rätlich, sein Schlachtopfer mit seiner bejammernswürdigen Lage
bekannt zu machen. Er öffnete den Kasten, welchen er vorsorglich in sein Gemach
hatte setzen lassen, und träufelte eine gewisse Flüssigkeit in Asems
Nasenlöcher. Dieser niest, reibt sich die Augen, und blickt verwundert um sich
her. Bald enthüllen der Anblick des Magiers und die Bewegung des Schiffes ihm
sein Unglück: Er gewahrt, dass er in die Schlingen eines Bösewichts gefallen
ist, vor welchem seine Mutter ihn vergeblich gewarnt hatte. Und jetzt sprach er
mit der Unterwerfung eines in den Willen des Schicksals ergebenen Muselmannes
folgende Verse des Korans aus:

„Es gibt keine andere Zuflucht, als bei Gott, von
welchem wir herkommen, und zu welchem wir wieder zurückkehren sollen.
Großer Gott! Würdige auch mich auf den Weg des Heiles zu führen, auf den Pfad
derer, die Du beschirmst und die Dich nicht beleidigt haben.“

Hierauf wandte er sich zu dem Greis und sprach zu ihm mit
großer Sanftmut: „Was macht ihr doch, mein Vater? Ihr hattet mir
Vergnügen und Reichtümer versprochen, ist es nun dies, was ihr mich hoffen
ließet?“

„Ungläubiger Hund, Hund von Muselmann!“,
antwortete der Magier ihm, „Du sollst nur von meiner Hand sterben, und mein
Vergnügen soll es sein, Deine Qual zu verlängern: Schon neununddreißig Deiner
Brüder sind unter meinen Streichen gefallen: Du sollst der vierzigste sein.
Doch gibt es ein Mittel, Dich zu retten: Schwöre den Islamismus ab, und bete
das heilige Feuer an, welches ich verehre, und ich nehme Dich als meinen Sohn
an, und überliefere Dir meine Geheimnisse.“

„Möge der Himmel Dich und Deinen Glauben
verderben!“, antwortete Asem, indem er wie ein Rasender aufsprang.
„Bei Mohamed, nimmer will ich, um mich von einigen nichtigen Gefahren
dieser Welt zu retten, abtrünnig werden und auf die Freuden Verzicht tun,
welche Gott den wahren Gläubigen verheißt.“

„Elender!“, erwiderte sogleich der Zauberer,
welcher sich nicht mehr halten konnte, „ich will schon diesen hohen Ton
herunter stimmen und diese Beharrlichkeit erschüttern.“

So spricht er, ruft seinen Sklaven, und während sie Asem
auf dem Fußboden des Gemachs ausgestreckt halten, peitscht er ihn mit
verdoppelten Schlägen mit einer scharfspitzigen Geißel, und bedeckt ihn mit
blutigen Wunden; aber der junge mutvolle Mann trotzte seiner Anstrengung und
verspottete seine Wut. Der Gheber, von der Anstrengung erschöpft, hält endlich
inne, er lässt sein Schlachtopfer mit schweren Ketten belasten, und befiehlt
seinen Sklaven, ihn in den untersten Schiffsraum zu werfen, bei Wasser und Brot,
so viel als nötig, sein Leben zu fristen.

Asems Mut war nicht besiegt, er wurde durch sein Vertrauen
auf Gott aufrecht erhalten. so wie durch seine Hoffnung, noch das Ende seiner
Qualen zu erleben, welche sich jeden Tag erneuten; denn der alte Magier kam alle
Morgen, um ihm alle Martern erdulden zu lassen, welche er nur erdenken konnte.


1)
Chorasan heißt eine persische Provinz gegen die Tatarei hin, die alte Provinz
Ariana, und ein Teil von Baltrien und Parthien begreifend.