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53. Nacht

Am anderen Morgen sagte Dinarsade bei ihrem Erwachen zu
Sultanin: „ich glaube, meine Schwester, dass der Sultan, mein Gebieter,
nicht weniger neugierig ist, als ich, die Folge der Abenteuer des Affen zu
erfahren.“ – „Ihr sollt beide befriedigt werden,“ erwiderte
Scheherasade, „und um euch nicht lange warten zu lassen, sage ich euch,
dass der Kalender in seiner Erzählung auf folgende Weise fort fuhr:

„Der Sultan schenkte den andern Handschriften keine
Aufmerksamkeit; er betrachtete nur die meinige, die ihm so wohl gefiel, dass er
zu den Beamten sagte: „Nehmt aus meinen Ställen das schönste und reich
gezäumteste Pferd und ein prächtiges Kleid von reichsten Stoffe, um die
Person, welche diese sechs Gedichte geschrieben hat, damit zu bekleiden und
bringt sie zu mir.“

Bei diesem Befehl des Sultans fingen die Beamten zu lachen
an. Dieser Fürst, über ihre Dreistigkeit erzürnt, war im Begriff sie zu
bestrafen; aber sie sagten zu ihm: „Herr, wir bitten Euer Majestät, uns zu
verzeihen. Diese Schriftzüge sind von keinem Menschen, sondern von einem
Affen.“ – „Wie,“ rief der Sultan aus, „diese sonderbaren
Schriftzüge kommen von keiner Menschenhand?“ – „Nein, Herr,“
erwiderte einer der Beamten, „wir versichern Euer Majestät, dass sie von
einem Affen sind, der sie vor unseren Augen geschrieben hat.“ Der Sultan
fand die Sache zu erstaunlich, als dass er nicht hätte neugierig sein sollen,
mich zu sehen. „Tut, was ich euch befohlen habe,“ sagte er zu ihnen,
„und bringt mir einen so seltenen Affen her.“

Die Beamten kehrten zum Schiff zurück und teilten dem
Schiffshauptmann den erhaltenen Befehl mit, worauf dieser ihnen sagte, dass der
Sultan nur zu gebieten hätte. Sie zogen mir sogleich ein Kleid von sehr reichem
Stoffe an und trugen mich ans Land, wo sie mich auf das Pferd des Sultans
setzten, der mich in seinem Palast erwartete, umgeben von einer großen Anzahl
zu seinem Hof gehöriger Personen, die er gerufen hatte, um mir mehr Ehre zu
erweisen.

Der Zug begann. Der Hafen, die Straßen und die
öffentlichen Plätze, die Fenster, die Terrassen der Paläste und der Häuser,
alles war mit einer zahllosen Menge Menschen von beiden Geschlechtern und jedem
Alter angefüllt, welche die Neugier aus allen Teilen der Stadt herbeigezogen
hatte, um mich zu sehen: Denn die Nachricht, dass der Sultan einen Affen zu
seinem Wesir gemacht habe, hatte sich in einem Augenblick verbreitet. Nachdem
ich dieser ganzen Volksmasse, welche nicht abließ, durch wiederholtes Geschrei
ihre Verwunderung zu bezeugen, ein so neues Schauspiel gewährt hatte, gelangte
ich in den Palast des Sultans.

Ich fand den Fürsten in der Mitte der Großen seines
Hofes auf seinem Thron sitzen. Ich machte ihm drei tiefe Verbeugungen und bei
der letzten warf ich mich vor ihm nieder und küsste die Erde. Hierauf setzte
ich mich auf Affenweise nieder. Die ganze Versammlung konnte nicht müde werden,
mich zu bewundern und begriff nicht, wie ein Affe sich so gut auf die den
Sultanen gebührende Hochachtung verstand und der Sultan war erstaunter, als
irgend jemand. Kurz, die Audienz-Feierlichkeit würde vollständig gewesen sein,
wenn ich meine Gebärden mit einer Anrede hätte begleiten können; aber die
Affen haben niemals gesprochen, und der Vorzug, ein Mensch gewesen zu sein, gab
mir dieses Vorrecht nicht.

Der Sultan entließ seien Hofleute und behielt niemand bei
sich, als das Oberhaupt der Verschnittenen, einen kleinen, sehr jungen Sklaven,
und mich. Er ging aus seinem Audienzsaal in sein Wohnzimmer und ließ sich da
das Essen auftragen. Als er bei Tafel saß, machte er mir ein Zeichen, dass ich
näher kommen und mit ihm essen sollte. Um ihm meinen Gehorsam zu bezeigen,
küsste ich die Erde, stand auf und setzte mich an den Tisch. Ich aß mit vieler
Zurückhaltung und Bescheidenheit.

Ehe man abräumte, gewahrte ich ein Schreibzeug; ich
machte ein Zeichen, dass man mir es bringen sollte und als ich es vor mir hatte,
schrieb ich auf einen großen Pfirsich Verse von meiner Arbeit, welche dem
Sultan meine Erkenntlichkeit bezeugten und sein Erstaunen mehrte sich, als ich
ihm den Pfirsich überreichte und er das darauf Geschriebene las. Nach
aufgehobener Tafel brachte man ihm ein besonderes Getränk, wovon er mir ein
Glas reichen ließ. Ich empfing das Glas aus seinen Händen, trank und schrieb
folgende Verse darauf:

„Man verbrannte mich durch Feuer, um mich zum
Sprechen zu bringen; aber ich wurde bereit gefunden, jede Qual zu ertragen.

Deshalb werd‘ ich nun auf den Händen getragen und
berührte küssend den Mund der Schönen.“

Der Sultan lass auch diese Verse und sagte: Ein Mensch,
der im Stande wäre, so etwas zu machen, würde über den größten Männern stehen.

Der Fürst ließ sich ein Schachbrett bringen und fragte
mich durch Zeichen, ob ich das Spiel verstände und mit ihm spielen wollte. Ich
küsste die Erde und gab durch eine Handbewegung zu erkennen, dass ich bereit
wäre, diese Ehre anzunehmen. Er gewann mir das erste Spiel ab; aber ich gewann
das zweite und dritte, und da ich bemerkte, es verursache ihm einigen Verdruss,
schrieb ich auf das Schachbrett folgende Verse:

„Zwei Heere bekämpften sich den ganzen Tag hindurch
mit zunehmenden Eifer.

Als aber die Nacht ihren Schatten über sie ausbreitete,
schliefen sie ruhig nebeneinander auf demselben Schlachtfelde.“

Da so vieles von dem, was ich getan, dem Sultan alles zu
übertreffen schien, was man jemals von der Geschicklichkeit und dem Verstande
der Affen gesehen oder gehört hatte, so wollte er nicht alleiniger Zeuge dieser
Wunder sein. Er hatte eine Tochter, die man „Dame der Schönheit“
nannte. „Geh‘,“ sagte er zum Oberhaupt der Verschnittenen, welches
gegenwärtig und bei dieser Prinzessin in Diensten war, „geh‘, bringe deine
Gebieterin hierher; es soll mich freuen, sie an dem Vergnügen, das ich
genieße, Teil nehmen zu sehen.“

Das Oberhaupt der Verschnittenen ging fort und kam bald
mit der Prinzessin zurück. Sie kam mit unverschleiertem Gesicht, aber sie war
kaum im Zimmer, als sie sich schnell mit ihrem Schleier bedeckte und zum Sultan
sagte: „Herr, Euer Majestät muss sich vergessen haben. Ich bin sehr
erstaunt, dass ihr mich vor Männern erscheinen lässt.“ – „Wieso,
meine Tochter,“ erwiderte der Sultan, „du bedenkst nicht, was du sprichst.
Hier ist ja nur der kleine Sklave, dein Hofmeister, der Verschnittene und ich,
die wir sämtlich die Befugnis haben, dein Gesicht zu sehen; dessen ungeachtet
verschleierst du dich und machst mir ein Verbrechen daraus, dass ich dich habe
hierher kommen lassen.“ „Herr,“ entgegnete die Prinzessin,
„Euer Majestät wird einsehen, dass ich nicht Unrecht habe. Hier dieser
Affe, obgleich er die Gestalt eines Affen hat, ist doch ein junger Prinz, der
Sohn eines großen Königs. Ein Zauberer hat ihn in einen Affen verwandelt. Ein
Geist, Sohn der Tochter des Eblis1),
hat ihm diesen boshaften Streich gespielt, nachdem er auf eine grausame Weise
der Prinzessin der Ebenholz-Insel, der Tochter des Königs Epitimarus, das Leben
genommen hatte.“

Der Sultan, über diese Rede erstaunt, wandte sich nach
meiner Seite und fragte mich, ohne weiter durch Zeichen mit mir zu sprechen, ob
das, was seine Tochter soeben gesagt hätte, wahr sei. Da ich nicht reden
konnte, gab ich ihm durch eine Bewegung meiner Hand zu erkennen, dass die
Prinzessin die Wahrheit gesagte hätte. „Meine Tochter,“ sagte nun der
Sultan, „woher weißt du, dass dieser Prinz durch Zauber in einen Affen
verwandelt worden ist?“ – „Herr,“ erwiderte die Prinzessin Dame
der Schönheit, „Euer Majestät erinnert sich gewiss, dass ich um die Zeit,
als ich aufhörte, ein Kind zu sein, eine alte Dame um mich hatte. Sie war eine
sehr geschickte Zauberin und hat mich siebzig Regeln ihrer Wissenschaft gelehrt,
durch deren Kraft ich in einem Augenblick eure Hauptstadt mitten ins Weltmeer
jenseits des Kaukasus versetzen könnte. Durch diese Wissenschaft erkenne ich
alle verzauberte Personen, so wie ich sie nur sehe; ich weiß, wer sie sind und
wer sie verzaubert hat; seid also nicht erstaunt, dass ich diesen Prinzen
ungeachtet der Verwandlung erkannt habe, welche ihn verhindert, vor euren Augen
in natürlicher Gestalt zu erscheinen. „Meine Tochter,“ sagte der
Sultan, „ich hielt dich nicht für so geschickt.“ – „Herr,“
versetzte die Prinzessin, „das sind wunderbare Dinge, die zu wissen wohl
gut ist; aber es schien mir, dass ich mich ihrer nicht rühmen dürfe.“ –
„Weil sich nun die Sache so verhält,“ versetzte der Sultan, „so
kannst du ja wohl den Zauber des Prinzen lösen?“ – „Ja, Herr,“
entgegnete die Prinzessin, „ich kann ihm seine ursprüngliche Gestalt
wiedergeben.“ – „So gib sie ihm wieder,“ unterbrach sie der
Sultan, „du kannst mir keine größere Freude machen; denn ich will, dass
er mein Großwesir sein und dich heiraten soll.“ – „Herr,“ sagte
die Prinzessin, „ich bin bereit, euch in allen zu gehorchen, was euch
belieben wird, mir zu befehlen.“

Indem Scheherasade diese letzten Worte beendigte, bemerkte
sie, dass es Tag wurde und hörte auf, die Geschichte des zweiten Kalenders
fortzusetzen. Schachriar, welcher vermutete, dass die Folge der Geschichte nicht
minder ergötzlich sein würde, als das, was er schon davon erfahren hatte,
beschloss, sie den nächsten Morgen zu hören.


1)
Name des Satans.