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524. Nacht

Bei diesen Worten begann der Juwelier, der nun den ganzen
Umfang seines Unglücks erkannte, zu weinen und brach in ein Geschrei der
Verzweiflung aus. „Ach! Ich Elender,“ rief er aus, „was habe ich
jetzt eben getan! Welchen Frevel habe ich verübt! Ich habe meine eigenen Kinder
ins Meer gestürzt.“ Hierauf erzählte er seiner Gattin alles, was
vorgegangen war.

Auf diesen jammervollen Bericht fing sie auch bitterlich
an zu weinen. Beide brachten den Tag damit zu, das Gestade zu belaufen, und
mühten sich ab, ihre Kinder wieder zu finden. Aber all ihr Schuhen war fruchtlos,
und die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen verdoppelte noch ihre Betrübnis.

Am folgenden Morgen fassten sie den Entschluss, in eine
Welt zurückzukehren, welche keine Reize mehr für sie hatte, und sie nahmen den
Weg nach der Stadt unter Tränen über das unglückliche Schicksal ihrer zarten
Knaben.

Nach einigen Tagesreisen kamen sie in eine große,
wohl gebaute und anmutig gelegene Stadt. Ihr Anblick reizte sie, und sie
beschlossen, dort ihre Wohnung aufzuschlagen und ihre übrigen Tage zu verleben.
In dieser Absicht kauften sie sich ein bescheidenes Häuschen, worin sie wohnten
und ihre Tage unter steten Gebeten zu Gott und in Tränen über ihre Kinder
hinbrachten.

Aber die beiden Jünglinge waren nicht im Meer umgekommen,
sie hatten mit den Fluten gekämpft, welche sei beide an zwei verschiedenen
Stellen der Küste wieder ans Land geworfen hatten.

Behrus erreichte soeben das Ufer, als der König des Landes
in dieser Gegend auf der Jagd war und ihn erblickte. Der Fürst befahl sogleich
den Leuten seines Gefolges, dem Unglücklichen zu Hilfe zu eilen und ihn
herbeizuführen. Sie vollzogen schleunig diesen Befehl, und Behrus trat vor den
König, der über die Schönheit seiner Gestalt erstaunte, obwohl der Schreck
und die Anstrengungen ihren Glan z getrübt hatten.

Der König fragte den Knaben, wie er hieße, und durch
welchen Zufall er hier ans Land geworfen sei.

Der Sohn des Juweliers erzählte das eben vorgegangene
Abenteuer und sagte, er hieße Behrus. „Behrus,“ sprach der König,
„dieser Name ist von guter Vorbedeutung: Wohlan, weil das Schicksal Dich in
mein Reich sendet und ich keinen Sohn habe, so sollst Du einst mein Nachfolger
auf dem Thron sein. Steig aufs Pferd und folge mir nach meiner Hauptstadt.“

Sie ritten sogleich fort, und als sie im Palast angekommen
waren, hatte der König die größte Sorgfalt für Behrus und behandelte ihn wie
seinen eigenen Sohn. Täglich bewies er ihm durch seine Liebkosungen und
Geschenke, wie teuer er ihm war, und die Gunst, welche dem Jüngling zuteil
wurde, erwarb ihm die Verehrung und Hingebung aller Untertanen des
Königsreichs.

Nach Verlauf einiger Jahre wurde der König krank und
starb, nachdem er ihn zu seinem Erben ernannt hatte. Behrus bestieg den Thron
und empfing den Eid der Treue vom ganzen Volk.

Unterdessen war das Schicksal seines Bruders sehr
verschieden gewesen. Die Küste, an welche er von den Wogen geworfen wurde, war
von Räubern beunruhigt. Diese erblickten ihn und nahmen ihn gefangen, um ihn
als Sklaven zu verkaufen. Sie führten ihn demnach in die nächste Stadt, wo sie
ihn auf dem Basar ausstellten.