Project Description

517. Nacht

„Wie groß auch,“ antwortete die Königin,
„Eure Reichtümer und Eure Macht sind, so befindet sich in Persien jedoch
ein kostbarer Schatz, welchen allein mein Vater besitzt, und dieser Schatz ist
von der Art, dass kein König sich rühmen kann, einen ähnlichen zu
besitzen.“ Und als der König sie fragte, worin dieser wunderbare Schatz
bestände, fuhr sie fort: „Es ist ein junger Sklave, der auf der Welt nicht
seinesgleichen hat. Es ist unmöglich, mehr Schönheit, Bildung, Anmut,
Geschicklichkeit, Geist, Liebenwürdigkeit und Edelmut zu besitzen: Mit einem
Wort, es ist ein vom Himmel auf die Erde herabgekommener Engel.“

Diese starken Lobeserhebungen erregten in dem König von
Abessinien ein lebhaftes Verlangen, diesen Jüngling zu besitzen, und er
äußerte gegen die Königin, wenn der Kaiser, ihr Vater, ihm diesen Sklaven
verkaufen wollte, so würde er ihm jeden beliebigen Preis dafür bezahlen.
„Der Kaiser,“ erwiderte die Prinzessin von Persien, „kann nicht
einen Augenblick ohne diesen Sklaven leben, und wenn er von ihm getrennt ist, so
wird er sogleichtrübsinnig. Wenn Ihr ihn also haben wollt, so ist das einzige
Mittel dazu, einen gewandten und reichlich mit Gold versehenen Kaufmann nach
Persien zu schicken mit dem Auftrag, alle seien Kräfte anzustrengen, um diesen
Sklaven zu entführen und nach Abessinien zu bringen.“

Der König ergriff diesen Vorschlag und warf zur
Ausführung desselben seien Augen auf einen seiner Leute, einen viel erfahrenen
und weit gereisten Mann, welcher die Sitten und Gebräuche der verschiedenen
Völker wohl beobachtet hatte. Diesen ließ er sogleich kommen, gab ihm den
Auftrag und versprach ihm, wenn es ihm gelänge, zehn Sklaven und zehn
Sklavinnen von vollkommener Schönheit zur Belohnung. Die Königin nannte ihm
den Namen des persischen Sklaven, der Fareksad hieß, und beschrieb ihm seine
Gestalt.

Mit diesen Anweisungen versehen, reiste der Abgesandte,
als Kaufmann verkleidet, alsbald nach Persien, und in kurzer Zeit erreichte er
die Hauptstadt dieses Reiches. Er mietete sich eine prächtige Wohnung, und
unter dem Vorwand kaufmännischer Geschäfte ließ er gleich am folgenden Tag
den Kaiser um Gehör bitten, welches dieser auch auf der Stelle gewährte.

Bei dieser Unterredung wusste der verstellte Kaufmann sich
leicht die Gewogenheit des Fürsten zu erwerben, und dieses verschaffte ihm
öfteren Zutritt bei Hof, so dass er die Zeit abwarten konnte, mit Fareksad zu
sprechen. Die Gelegenheit dazu bleib nicht lange aus. Der vorgebliche Kaufmann
sprach anfangs nur von unbedeutenden Dingen, dann lenkte er das Gespräch
geschickt auf Abessinien, endlich erklärte er dem jungen Sklaven, wenn er ihm
dorthin folgen wollte, so würde er ihn mit Reichtümern und Ehren überhäufen
und ihm so viele Sklaven geben, als er nur verlangen möchte.

Fareksad erriet sogleich, dass dieser Mann von seiner
Mutter abgeschickt wäre, die ihn wieder bei sich haben wolle, und antwortete
mit Freuden: „Das Königreich Abessinien ist so berühmt, dass ich schon
längst lebhaft wünschte, es kennen zu lernen: Aber der Kaiser hat eine so
innige Zuneigung zu mir, dass er mir niemals erlauben wird, wegzureisen.“

Der vorgebliche Kaufmann eröffnete ihm nun, er hätte alle
Mittel, seine Entweichung zu begünstigen und seine Flucht aus dem Reich so
heimlich zu bewerkstelligen, dass es nicht nötig wäre, noch jemand anders mit
in das Geheimnis zu ziehen. Er fügte hinzu, dass die Tochter des Königs von
Persien, jetzige Königin von Abessinien, ihm den glänzendsten Empfang bei
seiner Ankunft zugedacht hätte.

Diese letzten Worte ließen Fareksad nicht länger
schwanken, und er sprach zu dem Abgesandten der Königin: „Wenn Ihr mich
glücklich aus Persien bringt, so verspreche ich Euch, für Euer Glück zu
sorgen und Euch mit Zinsen alles zu vergelten, was Ihr für mich getan habt.
Erwartete mich diesen Abend zur Stunde des Gebets.“