Project Description

515. Nacht

Der Großwesir sann nach, welches Mittel er anwenden
sollte, um die Aufmerksamkeit des Königs, seines Herrn, auf sein Heer zu
richten. Er vermeinte aber diesen Zweck nicht anders erreichen zu können, als
wenn er ihn in einen Krieg verwickelte, und dieses Mittel widerstrebte der
Neigung des Königs. Unter diesen Umständen ersann er folgende List.

„Der Kaiser von Persien,“ sprach er bei sich
selber, „hat eine Tochter von der höchsten Schönheit. Ich kenne das
Gemüt meines Herrn genugsam, um gewiss zu sein, wenn ich ihm eine glänzende
Beschreibung von der Gestalt und den Reizen dieser Prinzessin machte, dass er
sich nicht enthalten kann, sie durchaus zur Gemahlin haben zu wollen. Nun sagt
man, dass der Kaiser von Persien seine Tochter leidenschaftlich liebt, und dass
er um nicht sauf der Welt in eine Trennung von ihr willigen möchte. So wird er
sie ohne Zweifle nicht einem Prinzen zur Gemahlin gewähren, der sie nach seinen
Staaten heimführen würde, und die abschlägige Antwort, welche mein Herr
bekommt, wird ihn zur Rache dieses Schimpfes durch die Waffen bewegen. Dann muss
er, um sein Heer in den Stand zu setzen, den Feldzug zu beginnen, den
rückständigen Sold bezahlen und den Anführern wie den Soldaten die nötigen
Lebensmittel bewilligen. Auf solche Weise wird ihre Unzufriedenheit
beschwichtigt und ihr Zustand verbessert.“

Zufrieden mit diesem Entwurf, kam der Wesir am folgenden
Tag in den Rat und unterredete sich mit dem König über verschiedene
Verwaltungsangelegenheiten des Reiches. Er ließ hierauf geschickt die
Unterredung auf das persische Reich übergehen, und endlich schilderte er ihm
die Kaisertochter mit so verführerischen Farben, dass sein Herr sich von dem
glühendsten Verlangen nach ihr entflammt fühlte.

„O mein teurer Wesir,“ sprach zu ihm der König,
„Du, dessen weise Ratschläge des Licht meines Rates sind, sage mir, ich
beschwöre Dich darum, durch welche Mittel wäre der Besitz dieser reizenden
Prinzessin zu erlangen, von welcher Du mir eben eine so schmeichelhafte
Schilderung gemacht hast, dass mein Herz schon dahin ist und zu ihren Füßen
liegt? Ja, ich fühle es, meine Ruhe und mein Glück sind fortan an das Dasein
derjenigen geknüpft, von welcher Du mir gesagt hast.“

„Herr,“ antwortete der Minister, „ich
denke, Euer Majestät darf nur Gesandte hinschicken, um ihre Hand anzuhalten,
und ich glaube, der König von Persien wird die Ehre einer Verbindung mit Euch
nicht ausschlagen, wenn er aber wider mein Erwarten es wagte, Eure Gesandten
nicht anzunehmen, so wird Euer Kriegsheer ihm mit Gewalt zu entführen wissen,
was freilich besser wäre seinem Wohlwollen zu verdanken.“

Der König billigte den Vorschlag seines Wesirs. Er
beschäftigte sich alsbald damit, unter den Großen seines Hofes diejenigen
auszuwählen, deren Erfahrung und Klugheit sie zu dieser Gesandtschaft am besten
eignete, und sandte sie an den Kaiser von Persien.

Sie kamen in der Hauptstadt an, erhielten Gehör bei dem
Kaiser, eröffneten ihm den Antrag ihres Herrn und hielten geradezu um die Hand
der Prinzessin für ihn an.

Der Kaiser war erstaunt über diese Botschaft und geriet
auf der Stelle in den heftigsten Zorn. „Geht und sagt Eurem Herrn,“
antwortete er mit Unwillen, „dass niemals ein König von Abessinien, einem
meinen Völkern so verhassten Land, eine Prinzessin von Persien heiraten soll.
Meine Untertanen würden mit Recht unzufrieden sein, wenn ich die Schwachheit
hätte, einen so vermessenen Antrag zu genehmigen, und ich werde nie darein
willigen.“

Als die Gesandten dem König von Abessinien von dem üblen
Erfolg ihres Auftrags Bericht abgestattet hatten, verdross und betrübte ihn die
schimpfliche Abweisung des Kaisers von Persien dermaßen, dass er schwor, sich
dafür zu rächen, ganz Persien zu verwüsten und die Hauptstadt von Grund aus
zu zerstören.

Um dieses Vorhaben auszuführen, begann er damit, sein
Kriegsheer zu versammeln und es durch neue Aushebungen zu vermehren. Nachdem er
den rückständigen Sold bezahlt und das Heer reichlich mit allem Nötigen
versehen hatte, setzte er es gegen den König von Persien in Bewegung.

Sobald dieser Fürst von der überzeihung seines Reiches
benachrichtigt war, beeilte er sich, Truppen entgegenzustellen, aber ihre
Anstrengungen waren vergeblich. Die abessinischen Soldaten schlugen sie
allerorten, und mehrere glänzende Siege sicherten ihnen den Erfolg ihrer
Unternehmung.