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514. Nacht

Am folgenden Tag trat der siebente Wesir vor den König
hin und sprach zu ihm: „Herr, es ist den Ministern Euer Majestät
unmöglich, länger die Vorwürfe zu ertragen, womit man sie von allen Seiten
überhäuft. Man spricht unter dem Volk von nichts anderem als von dieser
Haremsgeschichte, und dieses anstößige Abenteuer wird überall umgetragen, in
den Bädern, auf den Gassen, an den Ecken und auf den öffentlichen Plätzen.
„Der König,“ spricht man, „hat den Bacht-jar in seinen eigenen
königlichen Kleidern nachts ertappt und ist noch nicht überzeugt!“ Wir
möchten gern auf diese Schmachreden antworten, aber man stopft uns den Mund mit
den Worten: „Was habt ihr zu reden? Es ziemt sich auch recht für einen
Sklaven, seien Stimme zu erheben, wenn der Herr selber schweigen will!“

Diese Reden entrüsteten den König: Er ließ die Königin
rufen und fragte sie, was er nun tun sollte. Diese Fürstin antwortete ihm ohne
Anstand, er müsste den Angeklagten hinrichten lassen, und alle Frauen des
Harems erwarteten seinen Tod mit Ungeduld. Jedoch fügte sie hinzu, es gebühre
der Weisheit des Königs, zu entscheiden, was hierin am besten zu tun wäre.

Asad-bacht ließ nun Bacht-jar vor sich kommen.
„Herr,“ sprach der Jüngling zu ihm, „bevor Ihr einen
entscheidenden Beschluss fasst, so überlegt nochmals das Urteil, welches Ihr
aussprechen wollt, und bedenkt wohl, dass, wenn es auch in eurer Macht steht,
einem Menschen das Leben zu nehmen, es Euch jedoch unmöglich ist, den wieder
ins Dasein zu rufen, welchen Ihr desselben beraubt habt.“ –

„Du behauptest noch immer, Deine Unschuld zu
beweisen, und überall verurteilt Dich die Stimme des Volkes, und selbst die
Frauen des Harems fordern Deinen Tod.“

„Herr,“ antwortete Bacht-jar, „die Frauen
schwatzen viel, sie haben einen erfinderischen und anschlägischen Geist und
wissen alle Kunstgriffe zu benutzen, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Aber so groß
ihre Gewandtheit, so unvorsichtig ist es, ihren trüglichen Einflüsterungen das
Ohr zu leihen und sie in einer bedenklichen Angelegenheit zu Rate zu
ziehen.“

Dieser Ausfall gegen die Frauen erregte das Lächeln des
Königs.

„Ich berufe mich darüber nur,“ fuhr Bacht-jar
fort, „auf die Geschichte, wie die Tochter eines Königs von Persien mit
Hilfe und Rat ihrer Hofmeisterin ihren Zweck erreichte. Wenn Euer Majestät es
mir erlaubt, so will ich Euch diese Geschichte erzählen.“

Asad-bacht willigte ein, den Angeklagten zu hören,
welcher folgendermaßen fort fuhr:

Geschichte des Königs und der Königin von Abessinien

„Herr, es herrschte einst in Abessinien ein König,
der unermessliche Reichtümer und prächtige Paläste besaß und, umgeben von
einem zahlreichen Hofstaat, der Süßigkeit des Friedens genoss.

Diese lange Ruhe ließ ihn aber sein Kriegsheer
vernachlässigen, welches an allem Mangel litt. Der Sold wurde den Soldaten
nicht gezahlt, und es fehlte diesen oft sogar an Lebensmitteln. Als sie nun ihr
Elend nicht länger ertragen konnten, so brach das Missvergnügen auf allen
Seiten aus, und sie begaben sich zu dem Wesir, um ihm ihre Not zu klagen.

Dieser Minister hörte sie gütig an, versprach ihnen,
ihrer Forderung genugzutun, und riet ihnen, es ruhig abzuwarten, bis er den
König bewogen hätte, in ihrer Hinsicht eine änderung zu treffen.

Durch diese Zusicherung beruhigt, dankten ihm diejenigen,
welche das Heer mit dieser Sendung beauftragt hatte, und entfernten sich wieder.