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51. Nacht

Dinarsade beschwur bei ihrem Erwachen ihre Schwester ihr
zu erzählen, ob der Derwisch frisch und gesund aus dem Wasserbehälter
herausgekommen wäre. „Ja,“ erwiderte Scheherasade: „denn der
zweite Kalender fuhr folgendermaßen fort: „Der Wasserbehälter war von
Feen und Geistern bewohnt, welche schnell bei der Hand waren, um dem Vorsteher
der Derwische beizustehen, ihn auffingen und ihn, bis er auf den Grund kam, so
unterstützten, dass er sich gar keinen Schaden tat. Er merkte wohl, dass etwas
außerordentliches in diesem Sturze statt fand, der ihm eigentlich das Leben
hätte kosten müssen; aber er sah und fühlte nichts. Dessen ungeachtet vernahm
er bald eine Stimme, welche sagte: „Wisst ihr, wer der Ehrenmann ist, dem
wir diesen guten Dienst geleistet haben?“ und als andere Stimmen mit
„Nein“ geantwortet hatten, fuhr die erste fort: „Ich will’s euch
sagen. Dieser Mann hat die Stadt, in welcher er wohnte, aus dem größten
Wohlwollen von der Welt verlassen und hat hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen, in
der Hoffnung, einen von seinen Nachbarn von dem Neide zu heilen, den dieser
gegen ihn hegte. Er wird hier so allgemein geschätzt, dass der Neider, der dies
nicht ertragen konnte, in der Absicht hierher kam, ihn ums Leben zu bringen; was
er auch bewerkstelligt hätte, wären wir dem Ehrenmanne nicht zu Hülfe
gekommen, dessen ruf so groß ist, dass der Sultan, der in der benachbarten
Stadt Hof hält, ihn morgen besuchen will, um die Prinzessin, seine Tochter,
seinen Gebeten zu empfehlen.

Eine andere Stimme fragte, weshalb die Prinzessin der
Gebete des Derwisches bedürfe? worauf die erste erwiderte: „Ihr wisst also
nicht, dass sie von dem Geist Maimun1)
Sohn des Dimdim2)
besessen ist, der sich in sie verliebt hat? Aber ich weiß wohl, wie dieses gute
Oberhaupt der Derwische sie heilen könnte, die Sache ist sehr leicht und ich
will sie euch sagen. Es befindet sich in seinem Kloster eine schwarze Katze,
welche am Ende des Schwanzes einen weißen Fleck, ungefähr von der Größe
einer kleinen Silbermünze hat. Er darf nur seine Härchen aus diesem weißen
Fleck reißen, sie verbrennen und mit ihrem Rauch das Haupt der Prinzessin
beräuchern. Sogleich wird sie geheilt und so sicher von Maimun, dem Sohn
Dimdims, befreit sein, dass er sich’s niemals wieder wird einkommen lassen, sich
ihr ein zweites Mal zu nähern.“

Das Oberhaupt der Derwische verlor nicht ein Wort von
dieser Unterredung der Feen und der Geister, welche nach dem Erwähnten die
ganze Nacht hindurch ein tiefes Stillschweigen beobachteten. Als er nun bei
Anbruch des folgenden Tages die Gegenstände erkennen konnte, fand er, da der
Wasserbehälter an mehreren Stellen verfallen war, eine Lücke, durch welche er
ohne Mühe heraus kam.

Die Derwische, welche ihn suchten, waren sehr erfreut ihn
wieder zu sehen. Er erzählte ihnen in wenigen Worten die boshafte Tat des
Gastes, den er am vergangenen Tage so gut aufgenommen hatte, und begab sich
sodann in seine Zelle. die schwarze Katze, von welcher in der Nacht die Feen und
die Geister sich unterredet hatten, blieb nicht lange aus, und kam, um ihn auf
gewohnte Weise lieb zu kosen. Er nahm sie, riss ihr sieben Härchen aus dem
weißen fleck ihres Schwanzes und legte sie bei Seite, um sich ihrer zu
bedienen, wenn es Not täte.

Die Sonne war noch nicht lange aufgegangen, als der
Sultan, der nichts verabsäumen wollte, was zur schnellen Heilung der Prinzessin
beitragen konnte, an der Pforte des Klosters anlangte. Er befahl seiner
Leibwache, dort zu warten, und ging mit den vornehmsten Beamten, die ihn
begleiteten, ins Haus. Die Derwische empfingen ihn mit tiefer Ehrfurcht.

Der Sultan zog ihr Oberhaupt bei Seite. „Guter
Scheich,“ sagte er zu ihm, „dir ist vielleicht der Gegenstand, der
mich zu dir führt, schon bekannt.“ – „Ja, mein Fürst,“ erwiderte
der Derwisch in bescheidenem Tone, „es ist, wenn ich nicht irre, die
Krankheit der Prinzessin, welcher ich diese unverdiente Ehre verdanke.“ –
„so ist’s,“ versetzte der Sultan, „du würdest mir das Leben
wiedergeben, wenn deine Gebete die Genesung meiner Tochter bewirkten.“ –
„Herr,“ entgegnete der Ehrenmann, „wenn Euer Majestät so gnädig
sein will, sie hierher kommen zu lassen, so schmeichele ich mir, dass sie mit
Gottes Hülfe und Gnade vollkommen gesund heimkehren soll.“

Der Fürst, vor Freude außer sich, ließ auf der Stelle
seine Tochter holen, welche alsbald, begleitet von einem zahlreichen aus Frauen
und Verschnittenen bestehenden Gefolge, erschien, und so verschleiert war, dass
man ihr Gesicht nicht sehen konnte. Das Oberhaupt der Derwische ließ eine
Rauchpfanne an das Haupt der Prinzessin halten, und kaum hatte er die sieben
Härchen auf die herbeigebrachten glühenden Kohlen gelegt, als der Geist Maimun,
Sohn Dimdims, ein heftiges Geschrei ausstieß, ohne dass man irgend etwas sah,
und aus der Prinzessin ausfuhr. Sie fasste sogleich mit der Hand den Schleier,
der ihr Gesicht bedeckte und hub ihn in die Höhe, um zu sehen, wo sie wäre.

„Wo bin ich,“ rief sie aus, „wer hat mich
hierher gebracht?“ – Bei diesen Worten konnte der Sultan das übermaß
seiner Freude nicht verbergen, er umarmte seine Tochter und küsste sie auf die
Augen; er küsste auch dem Oberhaupte der Derwische die Hand, und sagte zu den
ihn begleitenden Beamten: „Saget mir eure Meinung; welche Belohnung
verdient der, welcher meine Tochter auf diese Weise geheilt hat?“ Sie erwiderten
alle: „Er verdient, sie zu heiraten.“ – „Das hatte ich im
Sinn,“ sagte der Sultan, „und ich mache ihn von diesem Augenblicke an
zu meinem Schwiegersohn.“

Bald nachher starb der erste Wesir. Der Sultan übertrug
dem Derwisch sein Amt; und da der Fürst ohne männliche Kinder starb, so wurde
der Ehrenmann von der versammelten Priesterschaft und Kriegsmacht einstimmig zum
Sultan erklärt und als solcher anerkannt.“

Der anbrechende Tag nötigte Scheherasade, inne zu halten.
Der Derwisch schien dem Schachriar der erhaltenen Krone würdig; aber dieser
Fürst war begierig zu wissen, ob der Neider vor Kummer gestorben war, und er
stand mit dem Entschluss auf, es in der folgenden Nacht zu erfahren.


1)
Der Getreue.