Project Description

504. Nacht

Die ersten Tage der Fahrt waren ziemlich glücklich, und
der König fand in seinem Schiff alles Mögliche, was zur Zerstreuung dienen und
die Beschwerden der Reise erträglich machen konnte. Aber eines Abends fing der
Donner an zu grollen, ein wütender Wind erhub sich, und wühlte, bald zum
rasenden Sturm angewachsen, die Tiefen des Meeres auf. Das Schiff kämpfte lange
gegen das Unwetter. Endlich schlug eine Woge es auseinander, und der König von
Arabien wäre ertrunken, wenn er nicht ein Brett ergriffen hätte.

Der unglückliche Schiffbrüchige schwamm sieben Tage
lang, ein Spiel der Wogen und Winde, umher. Endlich wurde er von den Fluten ans
Ufer geworfen, wo er ohne Bewusstsein liegen blieb.

Einige Fischer fanden ihn auf dem Strand, und wollten ihn
befragen. Er war aber ganz erschöpft und fast ohne Leben. Da öffneten sie ihm
den Mund und flößten ihm einige Tropfen öl ein, welche ihn wieder zur
Besinnung brachten.

Auf Befragen der Fischer, vernahm der König von Arabien,
dass er an der Küste von Sangebar Schiffbruch gelitten hatte. Er erkundigte
sich, wie weit er bis zur Hauptstadt hätte. Da er hörte, dass es nur vier
Farsangen wären, so fasste er wieder Mut, und machte sich auf den Weg.

Am Abend erreichte er diese große Stadt, sehr ermüdet,
und ohne zu wissen, wo er um Herberge bitten sollte. Er wagte es nicht jemanden
anzusprechen, und entschloss sich, die Nacht unter dem Schirmdach eines
Kaufladens zuzubringen, und schlief hier ein.

Nun geschah es, dass in eben dieser Nacht Räuber in das
Haus des Kaufmanns einbrachen, denselben samt seinen Kindern und einer Magd
ermordeten, und alles, was sie von Wert finden konnten, mit fortschleppten. Der
König von Arabien, welchen die Ermüdung in tiefen Schlaf versenkt, hatte
nichts von allem bemerkt.

Aber am folgenden Morgen, als man überall nach den
Urhebern dieser Verbrechen suchte, sah man ihn unter dem Schirmdach
hervortreten, welches ihm zur Herberge gedient hatte. Sogleich bemächtigte das
Gesinde sich seiner. Das Blut, welches seine Kleider befleckte und der armselige
Zustand, worin er sich befand, ließen nicht zweifeln, dass er einer von den
Mördern wäre. Man führte ihn also vor den König von Sangebar.

„Elender,“ sprach dieser Fürst zu ihm,
„wähntest Du denn diese Stadt von einem König beherrscht, dessen
Nachlässigkeit Dir Straflosigkeit zusicherte, dass Du es wagtest, so viel
Menschenblut zu vergießen und mit solcher Frechheit zu rauben? Bekenne Deine
Gehilfen und den Ort, wo Du das Geraubte verborgen hast.“

„Ach! Herr,“ antwortete der König, der sich
scheute, seinen wahren Namen zu nennen, „ich stamme aus königlichem
Geblüt, und war zu Schiff gegangen, um zu reisen und mich zu unterrichten. Aber
der Sturm hat mein Schiff an die Küsten Eures Reiches zerschmettert, die Wellen
haben mich ans Ufer geworfen, und ich bin gestern Abend in Eurer Hauptstadt
angekommen. Da ich niemand in dieser Stadt kannte, und es übrigens schon so
spät war, dass alle Läden geschlossen waren, so sah ich mich genötigt, die
Nacht vor einem haus zuzubringen, und ich erwachte eben aus dem tiefsten Schlaf,
als plötzlich die Leute ich eines Verbrechens beschuldigten, welches ich nicht
begangen habe, und mich vor euch schleppten.“

„Wähne nicht,“ antwortete der König von
Sangebar, „dass ich mich durch Deine listigen Lügen äffen lasse: Der Ort,
wo man Dich gefunden hat, das Blut, womit Du bespritzt bist, alles beweist
hinlänglich, dass Du einer der Mitschuldigen bist, und ich kann die seltsame
Erzählung nicht glauben, durch welche Du Dich rechtfertigen willst. Deine
Bestrafung soll scharf genug sein, um Deinen Helfershelfern, die meiner
Gerechtigkeit entschlüpft sind, Schrecken einzujagen.“