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501. Nacht

Das Volk lief nun sogleich nach den unterirdischen
Gewölben, um den Gefangenen zu befreien. Die ähnlichkeit Abu-Szabers mit
diesem Prinzen täuschte umso leichter aller Augen, als man voraussetzte, dass
eine so lange Gefangenschaft notwendig seine Gesichtszüge verändern musste.
Und bei seinem Anblick beugte einer der Großen seine Knie vor ihm, und sprach:
„Prinz, das grausame Verfahren Eures Bruders ist nach Gebühr bestraft: Wir
kommen, um euch zu erbieten, an seiner Statt zu regieren.“

Abu-Szaber erkannte die Belohnung, welche der Himmel ihm
für seine Entsagung aufbewahrt hatte, antwortete nichts, ließ sich mit dem
königlichen Ehrenzeichen schmücken, und bestieg den Thron.

Jetzt als König bestrebte er sich, allen seinen
Untertanen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Seine Wohltaten, seine
Billigkeit und sein Eifer in Erfüllung seiner Pflichten gewannen ihm die Liebe
aller seiner Untertanen, während die Sorgfalt für seine Kriegsheere und die
strenge Bewachung seiner Grenzen ihm die Ehrfurcht und Achtung der benachbarten
Fürsten erwarben.

Unterdessen blieb es nicht aus, dass auch der König,
welcher den Abu-Szaber aller seiner Güter beraubt und ihn aus dem Dorf
vertrieben, dasselbe Schicksal erfuhr, welches er ihm bereitet hatte: Ein
mächtiger Nachbar überfiel seine Staaten, bemächtigte sich der Hauptstadt,
und zwang ihn, sein Königreich zu verlassen.

Dieser verbannte König kam nun gerade an Abu-Szabers Hof,
dort eine Zuflucht zu suchen, und ihn um Beistand zur Wiedereroberung seines
verlorenen Königreichs zu bitten.

Aber ganz seiner bisher bekannten Handlungsweise entgegen,
befahl Abu-Szaber, sich des landflüchtigen Königs zu bemächtigen, und ihn bis
an die Grenzen seiner Staaten zurückzuführen. Niemand konnte diese, der
edelmütigen Gastfreiheit des Fürsten so widersprechende Unmenschlichkeit
begreifen. Das Erstaunen der Hofleute verdoppelte sich noch, als sich Abu-Szaber
zu dem landflüchtigen König wandte und sprach: „Du siehst jetzt die
Wirkung der Geduld, weil Du vermöge derselben Dich gegenwärtig in meinen
Händen befindest.“

Eines Tages, als Abu-Szaber mit der Rechtspflege seiner
Untertanen beschäftigt war, führte man ihm eine Räuberbande vor. Mitten unter
derselben erkannte der neue König seine beiden Söhne. „Wer sind diese
Jünglinge?“, fragte der König den Hauptmann der Bande. „Herr,“
antwortete dieser, „wir haben sie vor einiger Zeit entführt. Aber
ungeachtet aller unserer Anstrengungen, haben wir sie nicht dahin bringen
können, sich unserm Gewerbe hinzugeben. Ihr könnt sie ganz sicher in euern
Dienst nehmen: Ja wir selber wagen es, euch unsern Arm und unsere Schätze
darzubieten. Wenn euer Majestät uns begnadigt, so wollen wir in euren Heeren
fechten, und euch die verborgenen Reichtümer überliefern, welche wir
zusammengebracht haben.“

Abu-Szaber, ohne sich zu etwas verbindlich zu machen,
ließ sogleich seine beiden Söhne in seinen Palast führen. Nachdem er hierauf von den Räubern vernommen, wo sie ihre Schätze verborgen hatten, befahl er,
sie wieder ins Gefängnis zu werden.

Dieses Urteil erregte von neuem Missvergnügen unter dem
Volk. „Es ist sehr auffallend,“ sagte man, „dass der König für
diese beiden Räuber eine so empörende Vorleibe zeigt, während er jene
bestraft, aus denen er so kostbare Entdeckungen gezogen hat.“

Unterdessen, als Abu-Szaber in seinem Palast zurück kam,
gab er sich seinen beiden Kindern zu erkennen, und entdeckte ihnen die
wunderbaren Abenteuer, welche ihn auf den Thron erhoben hatten. Aber die beiden
Jünglinge vergossen bittere Tränen, als sie vernahmen, dass ihre Mutter
geraubt war. Dieser traurige Umstand allein trübte das Glück, dessen sie sich
erfreuen konnten.

Einige Zeit danach erschien ein Mann mit einem Weib vor
dem König: Der Mann beschwerte sich, dass seien Frau ihm nicht Folge leisten
wollte, und alle seine Liebkosungen zurück stieße.

Anstatt die Angeklagte zurecht zu weisen, ließ Abu-Szaber
den Ankläger ergreifen, und befahl, ihm den Kopf abzuhauen.

Bei dieser scheinbaren neuen Ungerechtigkeit waren die
Großen und das Volk so empört, dass das allgemeine Murren einen Aufruhr
ankündigte, als Abu-Szaber das Wort nahm, und folgendermaßen sprach:

„Wesire, und Ihr Herren, es ist Zeit, euch ein
Geheimnis zu entdecken, welches ich Euch bis jetzt verbergen zu müssen glaubte,
Euch nun aber kund tun muss, um Euch die Gründe meiner Urteilssprüche zu
erklären, welche Ihr missbilligt habt.“