Project Description

500. Nacht

Die beiden unglücklichen Gatten gelangten unter diesen
Unfällen nach einer Stadt in Kerman, welche am Ufer eines Stromes lag.
Abu-Szaber sagte zu seiner Frau, sie möchte eine Weile hier außen am Wasser
bleiben, bis er in der Stadt Erkundigungen eingezogen hätte, wie sie dort ein
Unterkommen finden könnten.

Während seiner Abwesenheit kam ein Reiter, sein Pferd zu
wässern, und erblickte die Frau. Da er sie nach seinem Geschmack fand, so
machte er ihr den Antrag, ihm zu folgen. Vergeblich war ihr Widerstand,
vergeblich ihr schreien, dass sie schon verheiratet wäre und dass ihr Mann
untröstlich sein würde, wenn er sie nicht wieder fände. Der Reiter, ohne
darauf zu hören, zwang sie mit dem Säbel in der Hand, hinter ihm aufzusitzen.
Sie hatte nur noch so viel Zeit, eilig in den Sand zu schreiben:
„Abu-Szaber, Du hast Deine Habe und Gut, Deine Kinder und Deine geliebte
Gattin verloren. Wir werden nun mehr sehen, wozu Dir Deine Geduld noch nützen
kann.“

Als Abu-Szaber bei seiner Rückkehr seine Frau nicht
wiederfand, und die von ihr geschriebenen Worte las, konnte er seine Tränen
nicht zurückhalten. Aber bald fasste er wieder Mut, und sprach bei sich selber:
„Wohlauf! In diesem Augenblick bedarf ich all meiner Entsagung. Vielleicht
aber hat das Schicksal noch einen härteren Schlag für mich aufgespart.“

Er war indessen von diesem letzten Verlust so schwer
getroffen, dass er aufs Ungefähr umherirrte, wie ein Mensch, der von Sinnen
ist. In diesem Zustand geriet er mitten unter mehrere Leute, welche man am Bau
eines königlichen Palastes zu arbeiten gezwungen hatte. sobald man ihn hier
bemerkte, bemächtigte man sich seiner, und befahl ihm, bei Strafe eines ewigen
Gefängnisses, den Arbeitern zu helfen, und gesellte ihn denselben bei, denen
man anstatt aller Bezahlung nichts weiter gab, als ein schlechtes kleines
Gerstenbrot, welches kaum zu ihrem Unterhalt hinreichte.

Er war schon drei Monate lang bei dieser harten Arbeit
beschäftigt, als einer der Werkleute, die neben ihm arbeiteten, hinabstürzte
und sich das Bein brach. Dieser Unglückliche stieß ein klägliches Geschrei
aus, welches ihm der Schmerz auspresste. Da sagte Abu-Szaber zu ihm:
„Geduld! Mein Freund, Geduld!“ – „Ja! Das ist auch gerade der
Augenblick, mir noch Geduld anzuraten!“, erwiderte jener: „Wie lange
soll man sie den haben?“ – „Immerdar,“ antwortete Abu-Szaber,
„denn sie kann einen Menschen aus der Tiefe eines Brunnens auf den Thron
erheben.“

Der König, der an einem Fenster seines Palastes stand,
als Abu-Szaber diese Worte aussprach, war sehr erzürnt über eine Rede, welche
er für aufrührerisch ansah, und befahl, den Arbeiter, der so gesprochen
hätte, zu ergreifen, und ihn in einen sehr tiefen Brunnen hinabzusenken,
welcher mit einem großen unterirdischen Bau in Verbindung stand. Um die Qual
des Unglücklichen noch zu vermehren, kam er jeden Tag, und rief ihm hinab:
„Wohlan! Geduldiger Mann, wann gedenkst Du aus dem Brunnen auf diesen Thron
zu steigen, welchen Deine Geduld Dir verschaffen soll?“

Diese Zeit war aber nicht so entfernt, als er wähnte. IN
den Gewölben, welche mit dem Brunnen Abu-Szabers in Verbindung standen, war
einer der Brüder des Königs eingesperrt gewesen. Dieser Prinz hatte das
Unglück gehabt, die Eifersucht seines Königs zu erregen. Aber die üble
Behandlung und der Gram eines so langen Gefängnisses hatte dem Leben dieses
unglücklichen Bruders ein Ende gemacht. Die Großen des Reichs, welche diesen
letzten Umstand nicht wussten, waren unwillig über die lange Gefangenschaft,
worin der König seinen Bruder hielt, und murrten lange über diese
Ungerechtigkeit. Bald wurde das Missvergnügen allgemein, auf allen Seiten
brachen Empörungen aus, man erhub sich überall gegen die Tyrannei des Königs,
und dieser wurde in einem Auflauf getötet.