Project Description

490. Nacht

Bacht-jar erwarb sich von Tag zu Tag immer mehr die Gunst
des Königs. Mit ausgezeichneter Sorgfalt verwaltete er die ihm übertragene
Aufsicht des Marstalls. Der König bemerkte seine Tätigkeit und
Geschicklichkeit, und ernannte ihn bald zu seinem Schatzmeister. Mit einem Wort,
der neue Hofmann wurde der vertrauteste Günstling Asad-bachts, der nichts mehr
tat, ohne ihn zu befragen, und bei aller Gelegenheit seinen Rat befolgte.

Dieser ausgezeichnete Vorzug verfehlte nicht, die
Eifersucht der zehn Wesire zu erregen, welche miteinander eins wurden, jede
Gelegenheit zu ergreifen, um ihn zu stürzen, und irgend eine List zu ersinnen,
um ihm das Vertrauen seines Königs zu entziehen.

Nun geschah es eines Tages, dass Bacht-jar, der etwas mehr
als gewöhnlich getrunken hatte, in der Schatzkammer einschlief, und den ganzen
Tag über liegen blieb. Gegen Abend verschlossen die Türhüter sorgfältig alle
Eingänge. Bacht-jar, noch halb betrunken, taumelte, als er die Türen
verschlossen fand, nach den Zimmern des Harems hin. Hier erblickte er Betten mit
sehr reicher Bekleidung (er war in dem Schlafzimmer des Königs), und
unbekümmert ließ er sich auf die prächtigen Kissen nieder und schlief ein.

Als der König in sein Gemach trat, sah er einen Menschen
ausgestreckt im Schlaf liegen, und erkannte Bacht-jar.

„Elender!“, schrie er ihn mit schrecklicher
Stimmer auf, „was machst du hier an diesem Ort?“

Bacht-jar, der den Ruf vernahm, wollte sich entfernen,
aber er sank sogleich wieder zurück.

Asad-bacht rief nun mit lauter Stimme einige Sklaven
herbei, denen er befahl, sich seines jungen Günstlings zu bemächtigen, und
begab sich schleunigst zur Königin, um sie zu fragen, wie doch ein Fremder bis
in die inneren Gemächer gedrungen wäre. Er fügte hinzu, dass solches
unmöglich ohne ihr Mitwissen hätte geschehen können. Die Königin beteuerte
auf diese beleidigende äußerung, dass sie ganz unschuldig an dem Vorgang
wäre, und bat zugleich den König, sie die ganze Nacht bewachen zu lassen, um
während derselben Erkundigung einzuziehen und die wirklich Schuldigen zu
entdecken. Der König befolgte diesen Rat, und verschob die Verurteilung
Bacht-jars bis auf morgen. Aber während der ganzen Nacht sann er auf ein
Mittel, die Wahrheit zu entdecken, und seinem Volk ein so widriges Begebnis
mitzuteilen.

Sobald der Tag anbrach, bestieg Asad-bacht seinen Thron,
und ließ seine zehn Wesire kommen. Der erste dieser Minister nahm sich die
Freiheit, den König, der vor Zorn nicht sprechen konnte, zu fragen, ob Seine
Majestät über die Vorgänge der verwichenen Nacht einige Aufklärung erhalten
hätte.

Der Hass, welchen dieser Minister schon seit langer Zeit
gegen Bacht-jar nährte, fand gegenwärtig die erwünschte Gelegenheit sich zu
befriedigen, und voller Hoffnung, die Verurteilung dieses unglücklichen
Jünglings zu bewirken, sprach er folgendermaßen:

„Herr, eure Wesire haben nicht gewagt, eurem
königlichen Willen zu widersprechen, als ihr einen Menschen, der eines
Straßenräubers Sohn ist, in eure Dienste nahmt. Aber gegenwärtig, da die
ganze Verderbtheit dieses Menschen enthüllt ist, wird es uns erlaubt sein, Euer
Majestät bemerkbar zu machen, dass ein solcher Mensch, nachdem er ein so
ehrloses Handwerk getrieben hat, nicht schicklicherweise in ein königliches
Schloss konnte aufgenommen werden. Herr, es gilt hier eure Ehre und eure
Sicherheit, und es ist notwendig, durch das Beispiel einer strengen Bestrafung
von ähnlichen Freveltaten abzuschrecken.“

Der König befahl, ihm den Bacht-jar vorzuführen.
„Undankbarer Jüngling,“ sprach er zu ihm, „vergeblich also habe
ich, nach Verzeihung deiner Verbrechen, dich mit fast ebenso hohen Ehren
umgeben, als mir zukommen? Und durch die nichtswürdigste Treulosigkeit belohnst
du so viel Güte! Du hast dich nicht gescheut, in das Innere meines Harems zu
dringen, und dir die Stelle deines Herrn anzumaßen.“