Project Description

489. Nacht

Der Räuberhauptmann, der unerschrockene Farek-Serwar1),
war beim Anblick dieses Kindes entzückt von seiner Schönheit, und die reichen
Kleidungsstücke, die es bedeckten, ließen ihn nicht zweifeln, dass es der Sohn
eines Königs oder irgend eines vornehmen Mannes wäre. Dieser Räuberhauptmann
war ohne Kinder, und beschloss, dieses, welches der Zufall ihm darbot, an
Kindesstatt anzunehmen. Er gab ihm den Namen Chodadad,
nahm ihn mit sich, und ließ ihn durch eine Amme säugen. Als der junge Prinz
älter und lehrfähig wurde, ließ er ihm eine treffliche Erziehung geben, und
übte ihn besonders auch in der Reitkunst. Chodadad benutzte so eifrig den
dargebotenen Unterricht, dass er im Alter von fünfzehn Jahren schon imstande
war, ganz allein es mit fünfhundert Feinden aufzunehmen.

Farek-Serwar war mit seinem Pflegesohn so zufrieden, dass
er sich keinen Augenblick von ihm trennen konnte, sondern ihn überall mitnahm,
wohin sein Handwerk ihn zu reiten zwang. Eines Tages jedoch, als der
Räuberhauptmann ihn zu einer Unternehmung gegen eine Karawane mit sich führen
wollte, bat der Jüngling, dem dieses Handwerk sehr missfiel, um die Erlaubnis,
von diesem Jammer entfernt zu bleiben, weil er das Wehklagen und Weinen der
Reisenden, die so unmenschlich beraubt wurden, nicht kaltblütig anhören
konnte. Farek-Serwar willigte ein, dass er nicht am Angriff Teil nehmen sollte,
forderte jedoch, dass er wenigstens Zuschauer des Kampfes wäre.

Nun geschah es aber, dass die angegriffene Karawane den
Räubern weit überlegen war. Die Reisenden wehrten sich tapfer. Im
Kampfgewühle empfing Farek-Serwar eine Wunde, und war schon nahe daran,
gefangen zu werden, als Chodadad sich mitten unter die Streitenden warf, und
mehrere Feinde zu Tode schlug. Aber das Schicksal spottete seines Mutes: Er
stürzte vom Pferd, wurde von den Kaufleuten gefangen, mit Ketten belastet, und
wenige Zeit darauf als Straßenräuber zum Gericht vor den König Asad-bacht
geführt.

Das väterliche Herz des Königs regte sich bei dem
Anblick des unbekannten Jünglings, und er konnte sich nicht erwehren, einige
Tränen zu vergießen. „Ach!“, sprach er bei sich selber, „wenn
mein Kind, welches ich in der Wüste verließ, noch lebte, so würde es das
Alter dieses Jünglings haben.“ Und seine Blicke wurden unwillkürlich
immer wieder auf den jungen Angeklagten hingezogen.

„Mein Kind,“ sprach er, „wie hast du, mit
einer so lieblichen Bildung, dich dem ehrlosen Gewerbe, welches du treibst,
hingeben, und so den göttlichen und menschlichen Gesetzen trotzen können? Wie
heißt du?“

„Chodadad,“ antwortete der junge Prinz. Hierauf
blickte er gen Himmel und rief Gott zum Zeugen an, dass er niemals an den
Räubereien Teil genommen, deren er beschuldigt wurde.

„Wenn das wahr ist,“ sagte Asad-bacht, „so
sollst du nicht nur dein Leben behalten, sondern ich will dich auch in meinem
Palast in Dienst nehmen.“

Chodadad verneigte sich bei diesen Worten, und küsste
stillschweigend den Boden, um dem König seine innige Dankbarkeit zu bezeugen.

Der König ließ ihn auf der Stelle mit einem prächtigen
Chilat2)
bekleiden, befahl sein Haupt mit einem schönen Turban zu bedecken, und sprach
zu ihm: „Ich nenne dich Bacht-jar, und übertrage dir die Besorgung meines
Marstalls.“

Asad-bacht ließ die übrigen Räuber los, unter dem
eidlichen Versprechen, ihr ehrloses Handwerk aufzugeben.


1) Farek-Serwar bedeutet im
persischen tapferer Ritter.