Project Description

487. Nacht

Nun verteilte Sipehsalar alle reichen Schätze des Heeres
unter ihnen, versammelte hierauf zahlreiche Truppen, und erklärte dem König
von Seïstan den Krieg, indem er sich einiger Provinzen des Reichs bemächtigte
und die Hauptstadt berennte.

Als Asad-bacht die Empörung seines Ministers vernahm,
empfand er einen tiefen Schmerz, und begab sich zu der Königin, welche ihn
zärtlich liebte. „Es geschieht euertwegen,“ sprach er zu ihr,
„meine Vielgeliebte, dass euer Vater sich gegen seinen König empört: Ich
komme, bei euch Rat und Trost zu suchen, denn wir befinden uns in einer Nacht,
deren Morgenrot ich noch nicht absehen kann, weil dieser Krieg uns keine
Hoffnung zum Frieden lässt.“

„Ich sehe keinen andern Ausweg,“ antwortete die
Königin, „als zu einem unserer benachbarten und verbündeten Fürsten zu
fliehen. Sie werden uns Truppen leihen, mit welchem es uns leicht sein wird,
euer Königreich wieder zu erobern.“

„Euer Rat ist verständig,“ erwiderte
Asad-bacht, „der König von Kerman1)
ist der mächtigste und großmütigste meiner Verbündeten, und er wird mir eine
Zuflucht, Truppen und Geld nicht versagen. Lasst uns dorthin reisen.“

In dem Palast befand sich eine heimliche Türe, welche
durch einen langen unterirdischen Gang bis in die Wüste führte. Der König
ließ sogleich zwei Pferde satteln, waffnete sich, und nahm aus seinem Schatz
die köstlichsten Juwelen, mit welchen er seinen Gürtel schmückte. Hierauf
stieg er mit der Königin zu Pferde, entfloh durch den verborgenen Gang, und
nahm die Richtung gegen Kerman.

Unterwegs unterhielten sie sich über das Leid, Macht und
Reichtümer zu verlassen, über das Schwanken des Schicksals, und über die
Notwendigkeit des Mutes und der Entsagung. Diese beiden Tugenden wurden ihnen
bald noch nötiger.

Nach Verlauf von drei Tagen spürte die Königin, welche
schwanger war, die Kindeswehen. Sie befanden sich damals mitten in einer Wüste
am Ufer eines Teiches. Die Königin wollte ihren brennenden Durst löschen, aber
das Wasser schmeckte so bitter, dass es unmöglich war, davon zu trinken. Alles
umher bot einen dürren und wilden Anblick. In dieser furchtbaren Lage
bemächtigte sich die Verzweiflung ihrer Seele: Ihre Schmerzen, die Furcht vor
den Feinden, der schreckliche Anblick der Wüste, alles bestürmte auf einmal
die unglückliche Fürstin, und ihr Gemahl teilte ihre Qualen.

„Eilt,“ sprach sie zu ihm, „flieht weit von
mir, verlasst eine Frau, die euch nicht mehr folgen kann, sucht eine Zuflucht
vor euren Feinden, und Wasser, um euren Durst zu stillen. Wenn ihr noch zögert,
so werden die Empörer euch erreichen. Die Flucht allein kann euch ihrer Wut
entziehen. Sie werden zum Schlachtopfer ihrer Rache nur eine Unglückliche
finden, deren Leben nicht den Verlust eines Haares von Euer Majestät aufwiegt.
Flieht, mein Fürst, flieht nach Kerman, und lasst mich hier ein jammervolles
Leben endigen.

„O meine Vielgeliebte!“, antwortete Asad-bacht,
„was mutet ihr mir an? Und was sind meine Reichtümer, mein Königreich,
mein Leben, gegen euch, die mir teurer ist, als ich selbst?“

Während dieses edelmütigen Wettstreites verdoppelten
sich die Schmerzen der Königin, und sie gebar einen Sohn von unvergleichlicher
Schönheit. Die Mutter nahm ihn auf ihren Schoß und säugte ihn.

„Wehe!“, sagte trostlos Asad-bacht,
„vergeblich ist unsere Liebe zu diesem Kind, weil wir es unmöglich auf
unserer Flucht mitnehmen können. Wir müssen es am Ufer dieses Teiches
zurücklassen, und es dem Erbarmen des Ewigen empfehlen: Gott wird nicht
zulassen, dass es umkommt.“


1)
Kerman ist eine persische Provinz.
­