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484. Nacht

Mahmud, als König, lebte nun glücklich mit seiner Gattin
und seiner Mutter. Er lachte zuweilen über die gutmütige Einfalt seines
Schwiegervaters, indem er die unermesslichen Reichtümer betrachtete, welche ihm
zu Gebote standen.

Eines Tages hatte er sich, nach Gewohnheit seiner
Vorgänger, als Derwisch verkleidet, um selber die Runde durch die Stadt, und
seine Beobachtung dabei zu machen. Er fühlte das Bedürfnis, etwas zu essen,
und um seinen dringenden Hunger zu stillen, trat er bei einem Pastetenbäcker
ein. Man führt ihn in ein Gemach hinter dem Laden, das mit tausend Zierraten
ausgeschmückt ist. Hier setzt er sich auf ein bereitgelegtes Kissen, und ist im
Begriff seine Esslust zu befriedigen: Da versinkt plötzlich das Kissen, und er
stürzt in einen tiefen Keller hinab.

Hier erblickt er bei dem Licht einer engen öffnung
mehrere Leichname von den früheren Schlachtopfern der Treulosigkeit des
Pastetenbäckers, und wird von Schrecken ergriffen. Jedoch verliert er nicht den
Kopf. Bald sieht er einen Mann von furchtbarem Anblick herein treten, welcher
sein Schwert schwingend, ihm gebietet, sich zum Tod zu bereiten und sein letztes
Gebet herzusagen.

„Herr,“ antwortete ihm der Fürst, „ich
bin, wie ihr seht, ein armer Derwisch, und habe nichts bei mir, ich versichere
es euch. Welchen Gewinn könnt ihr von dem Tod eines armseligen Fakirs haben?
Wenn ihr dagegen mir das Leben lassen wollt, so kann ich euch durch eine
ausgezeichnete Geschicklichkeit, welche ich besitze, unermessliche Reichtümer
verschaffen. Geht und holt mir Seide und Baumwolle von verschiedenen Farben, ich
will zeitlebens in diesem Gewölbe bleiben und arbeiten, ihr dürft nur mein
Gewirke verkaufen, und ihr werdet daraus einen ungeheuren Gewinn ziehen.“

Angelockt durch die Gewinnsucht, beeilt sich der
Bösewicht dem angeblichen Derwisch das Verlangte zu bringen, mit der
Versicherung, wenn er ihn betrüge, ihn durch den grässlichen Tod zu bestrafen.
Der Prinz macht sich sogleich ans Werk, und in kurzer Zeit vollendet er einen
mit den glänzendsten Blumen durchwirkten Teppich, und spricht nun zu seinem
Wirt:

„Der Wesir allein ist reich genug, um dir ein so
schönes Gewirke zu bezahlen. Gib es nicht unter sechzig Zeckinen weg.“

Der grimmige Pastetenbäcker ist auf dem Gipfel der
Freude, einen solchen Fang getan zu haben, aber diese Freude sollte nur sehr
kurz sein.

Der Prinz hatte aus den eingewirkten Blumen ein Selam1)
zusammengesetzt. Der Spitzbube ging am nächsten Morgen nach dem Palast, und
ließ dem Großwesir einen prächtigen Teppich zum Verkauf anbieten. Man führte
ihn herein, aber wie groß ist das Erstaunen dieses Ministers, als er in dem
dargebotenen Gewirke die Erzählung liest, was dem Sultan begegnet ist, von
welchem man bisher keine Kunde gehabt hatte, so dass man seinetwegen in der
lebhaftesten Unruhe war. Der Wesir gibt sogleich ein Zeichen, und vier Sklaven
stürzen über den erstaunten Handelsmann her. Sein Erstaunen verdoppelt sich,
als der Wesir nun das Abenteuer des Sultans kund macht. Man belastet den
Betrüger mit Ketten. Das Volk läuft hin, seinen König zu befreien, und
schleift das Haus.

Der glücklich der Gefahr entronnene Fürst ließ das
Ungeheuer strenge bestrafen, von dem er sich so befreit hatte, und erinnerte
sich in der Folge noch oft, dass die Kenntnis irgend eines Gewerbes selbst einem
König nützlich sein kann, und dass niemand vor Unfällen des Schicksals
geborgen ist.

Diese Geschichte ergötzte der Sultan sehr, und er
bezeugte Scheherasade das Vergnügen, welches ihre Erzählung ihm gewährt
hatte, und weil der Tag sich noch nicht zeigte, so begann sie folgendermaßen
die Geschichte der zehn Wesire:

Geschichte
der zehn Wesire

„Herr, einer der alten Könige von Se