Project Description

477. Nacht

Die beiden Prinzen und die Prinzessin hatten für den
Sultan, für die Sultanin und den ganzen Hof ein prächtiges Mahl bereiten
lassen. Man setzte sich zu Tisch: Und nach der Mahlzeit führte der Sultan die
Sultanin in den Garten, und zeigte ihr den singenden Baum und den Springbrunnen
des tanzenden Wassers. Den Vogel hatte sie schon in seinem Käfig gesehen, und
der Sultan ihn während der Mahlzeit gerühmt.

Als den Sultan dort nichts mehr zurückhielt, stieg er
wieder zu Pferd. Der Prinz Bahman ritt zu seiner rechten und der Prinz Perwis
zur linken. Ihm folgte die Sultanin mit der Prinzessin an ihrer Seite. In diesem
Aufzug, vor und hinter ihnen die Hofbeamten nach ihrem Rang, kehrten sie nach
der Hauptstadt zurück. Sowie sie sich nahten, kam ihnen das Volk haufenweise
weit vor das Tor heraus entgegen, und alle hefteten ihre Blicke nicht weniger
auf die Sultanin mit herzlicher Teilnahme an ihrer Freude nach so langem Leiden,
als auf die beiden Prinzen und die Prinzessin, welche sie mit ihrem Freudenruf
begleiteten. Auch zog der Vogel in seinem Käfig, welchen die Prinzessin
Parisade vor sich trug, ihre Aufmerksamkeit auf sich, und sie bewunderten seinen
Gesang, welcher alle die andern Vögel herbeizog, so dass sie ihm auf dem Feld
von Baum zu Baum und in der Stadt von Dach zu Dach nachfolgten.

Die Prinzen Bahman und Perwis mit der Prinzessin Parisade
wurden endlich in diesem feierlichen Aufzug in den Palast geführt, und am Abend
folgten hierauf große Erleuchtungen und allgemeine Freudenfeste, sowohl im
Palast, als in der Stadt, welche mehrere Tage hindurch währten.“

Als Scheherasade die Erzählung von den drei Geschwistern
geendigt hatte, und bemerkte, dass es noch nicht Tag war, begann sie noch die
Erzählung von dem jungen Prinzen und dem grünen Vogel mit folgenden Worten:

Geschichte
des jungen Prinzen und des grünen Vogels

„Herr,“ sprach sie, „es war einmal in
Indien ein König, im Besitz unermesslicher Reichtümer und Länder, dessen
Leben aber durch den Verdruss verbittert wurde, dass er keine Kinder
hatte.“

Eines Tages, da sein Schmerz heftiger als gewöhnlich war,
legte er ein feuerfarbenes Kleid an, und begab sich in seinen Diwan. Der Wesir
erschrak, als er ihn in diesem Trauerkleid erblickte, und fragte ihn, warum er
es angezogen hätte.

„Es ist meinen traurigen Gedanken angemessen,“
antwortete ihm der Sultan. Und als der Wesir ihn durch den Anblick seiner
Schätze zerstreuen wollte, entgegnete ihm der Monarch: „Ach! Gott allein
kann mich aus der Schwermut reißen. Ich entbehre, was mich auf Erden glücklich
machen könnte: Ich habe keine Kinder.“

Ein Greis, der diese Worte gehört hatte, näherte sich
dem Sultan, und sprach zu ihm:

„Herr, ich habe von meinen Vätern als Erbteil die
Anweisung zur Bereitung eines Trankes überkommen, welcher die glückliche Kraft
hat, denjenigen fruchtbar zu machen, der ihn einnimmt, und ich würde mich
glücklich achten, ihn euch darbieten zu dürfen.“1)

Der Sultan beeilte sich, von dem Mittel des Greises
Gebrauch zu machen. Es brachte die erwünschte Wirkung hervor, denn nach Verlauf
einiger Monate bemerkte man, dass eine von den Frauen des Harems schwanger war.
Bei dieser frohen Neuigkeit ließ der Sultan große Freudenfeste anstellen, und
reiche Almosen verteilen.

Die Sultanin2)
gebar einen lieblichen und holdseligen Knaben, und deshalb nannte sie ihn
Hassan. Er blieb bis zum siebten Jahr unter den Händen der Ammen. Worauf man
ihn gelehrten Männern übergab, welche ihn den Koran und verschiedene Zweige
der Wissenschaft lehrten. Er hatte kaum sein zwölftes Jahr erreicht, als er
sich schon im Reiten, im Bogenschießen und Speerwerfen dergestalt auszeichnete,
dass er bald der berühmteste Reiter des Königreiches wurde.

Eines Tages, als dieser Prinz in der Umgegend seiner
Hauptstadt auf der Jagd war, erblickte er einen Vogel, dessen glänzendes
Gefieder ganz grün war. Aber kaum hatte er seinen Bogen auf ihn gespannt, als
der Vogel schon wieder verschwunden war. Vergeblich suchte er ihn auf allen
Seiten, er war ihm ganz aus dem Gesicht gekommen. Hassan kehrte nach dem Palast
zurück, ermüdet von seinen fruchtlosen Anstrengungen, und trostlos, dass ihm
ein so glänzender Fang entgangen war.


1) Die
Morgenländer machen häufig Gebrauch von den Tränken, welche Fruchtbarkeit
erregen sollen. Alle Welt kennt jene berühmten Schwalbennester, von denen in
China eine so große Menge verzehrt wird, und welche die Malaien auch an den
Küsten von Neu-Holland aufsuchen, und damit im Morgenland Handel treiben. – Der
Verfasser gibt an einer anderen Stelle auch eine Anweisung zur Bereitung des
gewöhnlich gebrauchten Mittels zur Fruchtbarkeit, dessen Bestandteile
hauptsächlich Aphrodisiaka sind, wie Zimt, weißer Pfeffer, Ingwer,
Gewürznelken, usw.