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470. Nacht

Der Sultan, der ungemein viel Geist besaß, und große
Fortschritte in den Wissenschaften, besonders in der Geschichte, gemacht, hatte
wohl vorausgesehen, dass die Prinzen aus Bescheidenheit und Ehrfurcht die
Unterhaltung nicht anfangen würden. Um ihnen nun Anlass zum Sprechen zu geben,
fing er an, und war während der ganzen Mahlzeit darauf bedacht. Aber welchen
Gegenstand er auch auf die Bahn brachte, sie zeigten überall so viel Kenntnis,
Geist, Scharfsinn und Urteil, dass er darüber voll Bewunderung war.

„Und wenn sie meine Kinder wären,“ sprach er
bei sich selber, „und ich sie, ihrem Geist gemäß, hätte erziehen lassen,
so könnten sie nicht besser unterrichtet, gewandeter und gebildeter sein.“

Kurz, er fand an ihrer Unterhaltung so großes Vergnügen,
dass er, nachdem er länger als gewöhnlich an der Tafel geblieben war, aus dem
Speisesaal mit ihnen in sein Zimmer ging, wo er sich noch sehr lange mit ihnen
unterhielt. Endlich sprach der Sultan zu ihnen:

„Nimmer hätte ich geglaubt, dass es auf dem Land
unter meinen Untertanen so gebildete, so geistvolle und gewandte junge Leute
gäbe. Zeit meines Lebens habe ich keine Unterhaltung gehabt, welche mir mehr
Vergnügen gewährt hätte. Aber für heute ist es genug. Es ist Zeit, dass ihr
euch durch irgend eine Ergötzlichkeit am meinem Hof erholt. Da nichts besser zu
zerstreuen vermag, als die Musik, so sollt ihr ein Konzert von Gesang und
Saitenspiel hören, welches euch nicht unangenehm sein wird.“

Als der Sultan so gesprochen hatte, traten die dazu
bestellten Spielleute und Sänger herein, und entsprechen ganz der Erwartung,
welche man von ihrer Geschicklichkeit hatte. Vortreffliche Lustigmacher folgten
auf dies Konzert, und Tänzer und Tänzerinnen beschlossen die Ergötzlichkeit.

Die beiden Prinzen, welche das Ende des Tages herannahen
sahen, warfen sich dem Sultan zu Füßen, und nachdem sie ihm für die Güte und
Ehre, womit er sie überhäuft, gedankt hatten, baten sie ihn um die Erlaubnis,
heimzukehren, und der Sultan sagte zu ihnen beim Abschied:

„Ich entlasse euch, aber gedenkt wohl daran, dass ich
selber euch nur nach meinem Palast geführt habe, um euch den Weg zu zeigen,
damit ihr künftig von selber herkommt. Ihr seid stets willkommen, und je öfter
ihr mich besucht, je lieber wird es mir sein.“

Ehe sie von dem Sultan weggingen, sprach der Prinz Bahman
noch zu ihm:

„Herr, dürften wir uns wohl die Freiheit nehmen,
Euer Majestät zu bitten, uns und unserer Schwester die Gnade anzutun, und das
nächste Mal, wenn die Jagdlust euch in diese Gegend führt, auch unserm Hause
zu nahen, und darin einige Augenblicke auszuruhen: Es ist zwar eurer Gegenwart
nicht würdig, jedoch verschmähen es die Könige zuweilen nicht, auch in einer
Hütte ein Obdach zu suchen.“

Der Sultan erwiderte darauf:

„Das Haus solcher Herren, wie ihr seid, kann nicht
anders als schön und euer würdig sein. Ich werde es mit großem Vergnügen
besuchen, und mit noch größerem Vergnügen dort euer und eurer Schwester Gast
sein, welche mir schon, ohne sie gesehen zu haben, auf den bloßen Bericht von
ihren schönen Eigenschaften, so teuer ist. Ich will mir dieses Vergnügen nicht
länger vorenthalten, als bis übermorgen. Ich werde mich in aller Frühe an
demselben Ort einfinden, wo ich mich wohl erinnere, euch das erste Mal getroffen
zu haben: Stellt euch auch dort ein, ihr sollt mir als Führer dienen.“