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463. Nacht

„Vogel, es war gerade meine Absicht, dir zu sagen,
dass ich mehrere für ich höchst wichtige Dinge wünsche, und ich freue mich,
dass du mir durch die Erbietung deines guten Willens zuvorkommst. Zuerst habe
ich gehört, dass es hier ein tanzendes Wasser gibt von wunderbarer Eigenschaft.
Ich bitte dich also, mir vor allen Dingen anzuzeigen, wo es ist.“

Der Vogel zeigte ihr den Ort an, welcher nicht weit
entfernt war: Sie ging dorthin, und füllte mit dem Wasser ein silbernes
Fläschchen, welches sie mitgebracht hatte.

Sie kam wieder zu dem Vogel, und sprach zu ihm:

„Vogel, das ist noch nicht genug, ich suche auch den
singenden Baum: Sage mir, wo er ist.“

Der Vogel antwortete: „Dreht euch um, und ihr werdet
hinter euch ein Gehölz sehen, und darin diesen Baum finden.“

Das Gehölz war nahebei, die Prinzessin ging dahin, und
unter den andern Bäumen ließ der wohllautende Zusammenhang der Stimmen sie
bald denjenigen erkennen, welchen sie suchte. Aber er war sehr dick und hoch.
Sie kam also zurück, und sprach zu dem Vogel:

„Vogel, ich habe den singenden Baum gefunden, aber
ich kann ihn weder aus der Erde heben, noch mitnehmen.“

„Es ist nicht nötig,“ antwortete der Vogel,
„ihn aus dem Boden zu heben. Ihr braucht nur den kleinsten Zweig
abzubrechen und mitzunehmen, und denselben in eurem Garten zu pflanzen. Er wird
dort alsbald in der Erde Wurzeln schlagen, und in kurzer Zeit werdet ihr ihn zu
einem ebenso schönen Baum erwachsen sehen, wie dieser hier ist.“

Als nun die Prinzessin die drei Dinge in Händen hatte,
nach welchen die andächtige Alte ihr ein so heißes Verlangen erregt, sprach
sie noch zu dem Vogel:

„Vogel, alles was du hier für mich getan hast, ist
doch nicht hinreichend. Du bist Schuld an dem Tod meiner zwei Brüder, die sich
unter diesen schwarzen Steinen befinden müssen, welche ich beim Heraufsteigen
gesehen habe. Ich bin gesonnen, sie mit mir zu nehmen.“

Es schien, als wenn der Vogel gern dieses Gebotes der
Prinzessin überhoben gewesen wäre, und er machte Schwierigkeiten deshalb.

Die Prinzessin aber bestand darauf, und fuhr fort:

„Vogel, erinnere dich, dass du mir eben gesagt hast,
du seist mein Sklave, dass du es wirklich bist, und dass dein Leben in meiner
Gewalt steht.“

„Ich kann nicht,“ antwortete der Vogel,
„diese Wahrheit bestreiten: Und obgleich diese eure Forderung mit
größeren Schwierigkeiten verbunden ist, so will ich doch nicht unterlassen,
sie zu erfüllen. – Seht euch hier überall um,“ fügte er hinzu, „ob
ihr nicht einen Krug erblickt.“

„Ich sehe einen,“ sprach die Prinzessin.

„Nehmt ihn,“ fuhr der Vogel fort, „und beim
Hinabsteigen von dem Berg, sprengt ein wenig von dem Wasser, womit er angefüllt
ist, auf jeden schwarzen Stein: Das ist das Mittel, eure Brüder
wieder zu finden.“