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454. Nacht

„Halt noch, mein Bruder,“ sprach sie, „ich
dachte nicht an die Unfälle, denen man auf einer Reise ausgesetzt ist! Wer
weiß, ob ich dich jemals wieder sehe? Steig wieder ab, ich beschwöre dich
darum, und lass diese Reise: Ich will lieber des Lichts entbehren und des
sprechenden Vogels, des singenden Baumes und des tanzenden Wassers, als Gefahr
laufen, dich für immer zu verlieren.“

„Meine Schwester,“ erwiderte der Prinz Bahman,
lächelnd über die plötzliche Furcht der Prinzessin Parisade, „mein
Entschluss ist gefasst, und wenn das auch nicht wäre, so würde ich ihn jetzt
noch fassen, und du wirst erlauben, dass ich ihn ausführe. Die Unfälle, von
denen du redest, begegnen nur den Unglücklichen. Es ist wahr, ich kann zu
diesen gehören, aber ich kann auch einer der Glücklichen sein, deren Anzahl
viel größer ist, als die der Unglücklichen. Da gleichwohl der Erfolg ungewiss
ist, und ich dieser Unternehmung unterliegen kann, so ist alles was ich zu tun
vermag, euch dieses Messer zu lassen.“

Indem zog der Prinz Bahman ein Messer hervor, überreichte
es in der Scheide der Prinzessin, und sprach dabei:

„Nimm, und gib dir von Zeit zu Zeit die Mühe, das
Messer aus der Scheide zu ziehen: So lange du es so blank siehst, wie es hier
ist, so ist dieses ein Zeichen, dass ich noch lebe. Wenn du aber Blut davon
herabträufeln siehst, so sei gewiss, dass ich nicht mehr am leben bin, und dann
bete für mich.“

Die Prinzessin Parisade konnte nichts weiter von dem
Prinzen Bahman erlangen. Er sagte ihr und dem Prinzen Perwis zum letzten Mal
Lebewohl, und ritt, auf einem stattlichen Ross, wohl gewaffnet und gerüstet,
dahin. Er begab sich auf den angezeigten Weg, und ohne weder zur Rechten noch
zur Linken abzuweichen, ritt er auf demselben fort, quer durch Persien hin, und
am zwanzigsten Tag seiner Reise erblickte er seitwärts am Weg einen Greis von
gräulichem Ansehen, unter einem Baum sitzend, in der Nähe einer Hütte, welche
ihm beim schlimmen Wetter zum Obdach diente.

Die Augenbrauen, welche schneeweiß waren, so wie die
Haare und der Bart, reichten ihm bis auf die Nasenspitze herab. Der Schnauzbart
bedeckte ihm den Mund, und der Bart und die Haare fielen ihm fast bis auf die
Füße hernieder. Er hatte an Händen und Füßen Nägel von übermäßiger
Länge, und seinen Kopf bedeckte eine Art von flachem Hut, in Gestalt eines
Regenschirms, und anstatt aller Kleidung diente ihm eine Binsenmatte, worin er
sich gewickelt hatte.

Dieser gute Greis war ein Derwisch, der sich vor langen
Jahren aus der Welt zurückgezogen, und seinen Leid vernachlässigt hatte, um
sich ausschließlich Gott zu widmen, dergestalt, dass er endlich so aussah, wie
wir ihn beschrieben haben.

Der Prinz Bahman, welcher seit diesem Morgen aufmerksam
gewesen war, ob er nicht einen anträfe, bei welchem er sich nach dem Ort seiner
Bestimmung erkundigen könnte, hielt an, als er in die Nähe des Derwisches kam,
welcher der erste war, der ihm begegnete, und stieg ab, um das zu befolgen, was
die fromme Frau der Prinzessin Parisade angedeutet hatte. Sein Ross am Zügel
führend, näherte er sich dem Derwisch, und grüßte ihn mit den Worten:

„Guter Vater, Gott verlängere eure Tage, und
gewähre euch die Erfüllung eurer Wünsche!“

Der Derwisch erwiderte den Gruß des Prinzen, aber so
undeutlich, dass dieser kein Wort verstand. Da der Prinz Bahman bemerkte, dass
der Schnauzbart das Hindernis war, welcher den Mund des Derwisches bedeckte, und
er nicht weiter reiten wollte, ohne die nötige Erkundigung einzuziehen, so nahm
er eine Schere, welche er bei sich führte, und nachdem er sein Ross an einen
Baumast gebunden hatte, sprach er zu ihm: