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448. Nacht

Zu dieser Unmenschlichkeit fügten die beiden Schwestern
auch Lüge und Verleumdung, wie zuvor: Sie zeigten ein Stück Holz vor, und
versicherten dreist, die Sultanin wäre von diesem Klotz entbunden.

Der Sultan Chosru-Schach konnte sich nicht mehr halten,
als er diese neue ungeheuerliche Geburt vernahm.

„Ha,“ rief er aus, „diese, meines Bettes
unwürdige Frau würde meinen Palast mit Ungeheuern erfüllen, wenn ich sie
länger Leben ließe! Nein, das soll nicht geschehen,“ setzte er hinzu:
„Sie ist selber ein Ungeheuer, von welchem ich die Welt befreien
will.“

Er sprach dieses Todesurteil aus, und befahl seinem
Großwesir, es vollziehen zu lassen.

Der Großwesir und die Hofleute, welche zugegen waren,
warfen sich dem Sultan zu Füßen, und flehten ihn an, den Urteilsspruch zu
widerrufen. Der Großwesir nahm das Wort und sprach:

„Herr, Euer Majestät erlaube mir vorzustellen, dass
die Gesetze, welche zum Tod verurteilen, nur zur Bestrafung der Verbrechen
bestimmt sind. Die drei unerwarteten Geburten der Sultanin sind aber keine
Verbrechen. In wie fern kann man behaupten, dass sie dazu beigetragen habe?
Unzählige andere Frauen haben dergleichen getan, und tun es noch täglich: Sie
sind zu beklagen aber nicht strafbar. Euer Majestät mag die Unglückliche
verbannen, aber sie leben lassen. Der Gram, in welchem sie, nach Verlust eurer
Gunst, die übrigen Tage zubringen muss, wird ihr Strafe genug sein.“

Der Sultan von Persien ging in sich, und da er die
Ungerechtigkeit einsah, die Sultanin wegen ihrer Fehlgeburten, selbst wenn sie,
wie er wähnte, wahr gewesen wären, zum Tode zu verdammen, sprach er:

„So mag sie denn leben, weil dem so ist! Ich schenke
ihr das Leben, aber nur unter einer Bedingung, welche ihr täglich mehr als
einmal den Tod wünschenswert machen soll. Man zimmere ihr ein Gemach an der
Türe der Hauptmoschee, mit einem stets offenen Fenster. Dort sperre man sie
ein, in das gröbste Gewand gekleidet, und jeder Muselmann, der zum Gebet in die
Moschee geht, speit ihr im Vorbeigehen ins Antlitz. Wenn einer dies unterlässt,
so soll er derselben Strafe ausgesetzt werden, und damit mein Gebot befolgt
werde, trage ich dir, Wesir, auf, Wächter dabei anzustellen.“

Der Ton, womit der Sultan diesen Ausspruch tat, schloss
dem Wesir den Mund. Der Befehl wurde, zur großen Zufriedenheit der beiden
neidischen Schwestern vollzogen. Das Gemach wurde gezimmert und fertig gebaut,
und die wahrhaft bedauernswürdige Sultanin, sobald sie von dem letzten
Wochenbett aufgestanden war, darin eingesperrt, ganz so, wie es der Sultan
befohlen hatte, und auf schmähliche Weise dem Spott und Hohn des ganzen Volks
bloßgestellt: Eine Misshandlung, welche sie, obschon unverdient, gleichwohl mit
einer Standhaftigkeit erduldete, welche ihr die Bewunderung und zugleich das
Mitleid aller derjenigen erwarb, welche die Dinge richtiger beurteilten, als der
Pöbel.

Die beiden Prinzen und die Prinzessin wurden unterdessen
von dem Aufseher der Gärten und seiner Frau mit der Zärtlichkeit eines Vaters
und einer Mutter erzogen, und diese Zärtlichkeit wuchs in dem Maße wie die
Kinder älter wurden, durch die Kennzeichen der Hoheit, welche sowohl bei der
Prinzessin als bei den Prinzen sichtbar wurden, und vor allen durch die
wunderschönen Züge der Prinzessin, welche sich täglich mehr entwickelten.
Ferner durch ihre Gelehrigkeit, durch ihre, nicht auf Spielereien, wie bei
anderen Kindern, beschränkten Neigungen, und endlich, durch ein gewisses Wesen,
welches nur Prinzen und Prinzessinnen eigentümlich sein konnte. Um die beiden
Prinzen, nach ihrem Alter, zu unterschieden, nannten sie den älteren Bahman,
und den jüngeren Perwis: Namen, welche alte Könige von Persien geführt
hatten. Der Prinzessin gaben sie den Namen Parisade1),
welchen ebenfalls mehrere Königinnen und Prinzessinnen des Reichs geführt
hatten.


1)
Parisade bedeutet im persischen Feen-Kind. Die Griechen haben Parysatis daraus
gemacht. Bahman heißt der Langarmige, d.i. Mächtige, wie Longimanus. Perwis
ist der Name des Persischen Königs Chosru Parvis zur Zeit Mohammeds.