Project Description

430. Nacht

Der Prinz Hussain hätte sich noch länger am Hof und in
dem Reich von Bisnagar aufgehalten und sich bei Betrachtung unzähliger anderer
Merkwürdigkeiten dort, bis zu Ablauf des Jahres angenehm zerstreuen können,
nach welchem er der Verabredung gemäß sich wieder mit seinen Brüdern
zusammenfinden wollte. Allein, da er auch durch das, was er gesehen, völlig
befriedigt und beständig mit dem Gegenstand seiner Liebe beschäftigt war, und
da seit der neuen Erwerbung, die er gemacht, die Schönheit und die Reize der
Prinzessin Nurunnihar von Tag zu Tag die Heftigkeit seiner Leidenschaft höher
steigerten, so dünkte ihm, sein Gemüt werde ruhiger und er selber zugleich
seinem Glück näher sein, wenn er durch eine geringere Ferne von ihr getrennt
wäre. Nachdem er daher dem Wirt des Kans den Mietzins für das Zimmer, welches
er inne gehabt, bezahlt und ihm die Stunde bezeichnet hatte, wo er den
Schlüssel seines Zimmers sich abholen könne, ging er, ohne ihm weiter zu
sagen, wie er abreisen würde, in sein Gemach, machte die Tür hinter sich zu,
ließ aber den Schlüssel darin stecken. Hier breitete er den Teppich aus und
setzte sich mit seinem vertrauten Diener darauf. Sodann sammelte er seine
Gedanken, und kaum hatte er recht ernstlich gewünscht, dass er doch in der
Herberge sein möchte, wo seine Brüder mit ihm zusammentreffen sollten, als er
auch schon da war. Er kehrte da ein, indem er sich für einen reisenden Kaufmann
ausgab, und erwartete die andern.

Der jüngere Bruder Hussains, Prinz Ali, welcher, um dem
Plan des Sultans von Indien zu entsprechen, sich eine Reise nach Persien
vorgenommen hatte, war mit einer Karawane, an die er sich schon am dritten Tag
nach der Trennung von seinen beiden Brüdern angeschlossen, dahin abgegangen.
Nach einer Reise von beinahe vier Monaten kam er endlich nach Schiras, welches
damals die Hauptstadt des persischen Reichs war. Da er unterwegs mit einer
kleinen Anzahl von Kaufleuten Bekanntschaft und Freundschaft geschlossen hatte,
doch ohne sich weiter ihnen zu erkennen zu geben, so nahm er seine Wohnung in
einem und demselben Kan mit ihnen.

Den folgenden Tag, während die andern Kaufleute ihre
Warenballen öffneten, zog der Prinz Ali, der bloß zu seinem Vergnügen reiste
und sich nur mit dem zu seiner Bequemlichkeit erforderlichen Reisegepäck
versehen hatte andere Kleider an, und ließ sich nach dem Ort führen, wo
Edelgesteine, Gold- und Silberarbeiten, Brokat, Seidenstoffe, feine
Schleiertücher und andere seltene und kostbaren Waren zu verkaufen waren.
Dieser Ort, der sehr geräumig und sehr dauerhaft angelegt war, war oben
überwölbt, und das Gewölbe wurde von dicken Pfeilern getragen. Die Buden aber
waren teils um diese herum, teils an den Mauern entlang, sowohl von innen als
von außen angelegt. Der Ort selbst war in Schiras allgemein unter dem Namen Besasthan
bekannt. Gleich anfangs durchstreifte der Prinz Ali den Besasthan in die Länge
und Breite und nach allen Seiten, und schloss voll Verwunderung aus der
erstaunlichen Menge kostbarer Waren, die er da ausgelegt sah, auf die
Reichtümer, die da beisammen sein möchten. Unter allen den Ausrufern, welche
da kamen und gingen und die verschiedensten Sachen zum Kauf ausboten, sah er zu
seinem Erstaunen auch einen, der ein elfenbeinernes Rohr in der Hand hielt, das
etwa einen Fuß lang und von der Dicke eines Daumens war, welches er um einen
Preis von dreißig Beuteln ausrief. Anfangs glaubte der Prinz, der Ausrufer sei
nicht recht bei Verstand. Um sich darüber Auskunft zu verschaffen, trat er an
den Laden eines Kaufmanns, und sagte zu diesem, indem er auf den Ausrufer
hindeutete:

„Herr, sagt mir doch, ich bitte euch, ob ich mich
täusche. Ist jener Mann, der ein kleines elfenbeinernes Rohr zu einem Preis von
dreißig Beuteln ausbietet, wohl bei völligem Verstand?“

„Herr,“ erwiderte der Kaufmann, „wenn er
nicht etwa seit gestern seinen Verstand verloren hat, so kann ich euch übrigens
sagen, dass er der klügste unter allen unsern hiesigen Ausrufern ist, und
zugleich am meisten gesucht wird, wenn man Sachen verkaufen will, weil man zu
ihm am meisten Zutrauen hat. Was indessen jenes Rohr betrifft, das er zu einem
Preis von dreißig Beuteln ausruft, so muss es wohl aus irgend einem Grund, den
wir nicht wissen, so viel und vielleicht noch mehr wert sein. Er wird
augenblicklich wieder hier vorbeikommen, wir wollen ihn dann anrufen, und ihr
mögt euch selber von der Sache unterrichten. Unterdessen könnte ihr euch ja
auf mein Sofa hier setzen und etwas ausruhen.“

Der Prinz Ali lehnte das höfliche Anerbieten des
Kaufmanns nicht ab, und kaum hatte er eine Weile da gesessen, als der Ausrufer
schon wieder vorbei ging. Der Kaufmann rief ihn beim Namen, und jener trat
herein. Hierauf sagte der Kaufmann zu ihm, indem er auf den Prinzen hinwies:

„Antwortet einmal diesem Herrn da, welcher mich
fragt, ob ihr wohl bei Verstand wärt, dass ihr ein elfenbeinernes Rohr, das so
wenig Wert zu haben scheint, für dreißig Beutel ausbietet. Ich würde mich
selbst wundern, wenn ich nicht wüsste, dass ihr ein verständiger Mann
seid.“