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422. Nacht

Der Sultan ließ die Tür, welche in das Zimmer der
Prinzessin führte, öffnen, und der Prinz Firus Schach trat hinein. Sobald ihn
die Prinzessin, die ihn für einen Arzt hielt, weil er eine solche Kleidung
trug, erscheinen sah, stand sie wie eine Wütende auf, drohte ihm und
überhäufte ihn mit Schmähungen. Dies hinderte ihn indessen nicht, ihr näher
zu treten, und als er nahe genug war, um sich ihr verständlich zu machen, so
sagte er, da er doch bloß von ihr allein verstanden werden wollte, in leisem
Ton und ganz ehrerbietig zu ihr:

„Prinzessin, ich bin kein Arzt. Erkennt, ich bitte
euch darum, in mir den Prinzen von Persien wieder, der zu eurer Befreiung
erscheint.“

Beim Ton der Stimme und beim Anblick seiner Gesichtszüge,
die sie ungeachtet des langen Bartes, den der Prinz sich wachsen lassen, wieder
erkannte, beruhigte sich die Prinzessin von Bengalen, und zeigte sogleich auf
ihrem Gesicht die Freude, welche die unerwartete Erfüllung eines sehnlichen
Wunsches hervorzubringen pflegt. Die freudige überraschung machte sie eine
Weile sprachlos, und gab dem Prinzen Gelegenheit, ihr die Verzweiflung zu
schildern, worin er in jenem Augenblick versetzt worden, wo der Inder sie vor
seinen Augen entführt hatte, ferner den Entschluss, den er gefasst, alles im
Stich zu lassen, um sie aufzusuchen, in welchem Winkel der Erde sie auch immer
sein möchte, und nicht eher zu ruhen, als bis er sie gefunden und den Händen
des Treulosen entrissen hätte, endlich, durch welchen Glückszufall er nach
einer langweiligen und ermüdenden Reise sie zu seiner Freude im Palast des
Sultans wieder gefunden. Als er seine Erzählung geendigt hatte, bat er die
Prinzessin, ihn mit wenigen Worten davon zu unterrichten, was ihr von ihrer
Entführung an bis zu dem gegenwärtigen Augenblick alles begegnet sei, indem er
sie versicherte, dass er diese Nachrichten haben müsse, wenn er die
erforderlichen Maßregeln ergreifen solle, um sie nicht länger unter der
Tyrannei des Sultans von Kaschmir zu lassen.

Die Prinzessin beeilte sich nun, dem Prinzen zu erzählen,
wie sie durch den von der Jagd zurückkehrenden Sultan von Kaschmir aus der
Gewalt des Inders befreit worden, wie grausam sie gleich den folgenden Tag durch
des Sultans an sie getane Erklärung behandelt worden sei, und wie schleunig er
sich entschlossen habe, sie noch an demselben Tag zu heiraten, ohne zuvor dem
Anstand gemäß sich um ihre Einwilligung beworben zu haben. Dieses gewaltsame
und tyrannische Verfahren, fügte sie hinzu, habe ihr eine Ohnmacht zugezogen,
nach welcher sie keinen besseren Ausweg vor sich gesehen, als den welchen sie
eingeschlagen, um sich dem Prinzen zu erhalten, dem sie ihr Herz und ihr Wort
gegeben, und lieber zu sterben, als sich einem Sultan hinzugeben, den sie nicht
liebe, noch auch je lieben könne.

Der Prinz von Persien, dem die Prinzessin nichts weiter zu
sagen brauchte, fragte sie, ob sie wohl wisse, was nach dem Tod des Inders mit
dem Zauberpferd geworden sei.

„ich weiß nicht,“ antwortete sie, „welchen
Befehl der Sultan hierüber erteilt haben mag, aber demzufolge, was ich ihm
darüber gesagt habe, lässt sich erwarten, dass er es nicht vernachlässigt
haben wird.“

Da der Prinz Firus Schach nicht zweifelte, dass der Sultan
von Kaschmir das Pferd würde haben sorgfältig aufbewahren lassen, so teilte er
der Prinzessin seinen Plan mit, dass er nämlich vermittelst des Pferdes sie
wieder nach Persien zurückführen wünsche. Nachdem er mit ihr über die
deshalb zu ergreifenden Maßregeln übereingekommen war und ihr anempfohlen
hatte, dass sie, anstatt wie bisher im bloßen Nachtkleid zu bleiben, sich den
folgenden Tag völlig ankleiden solle, um dem Sultan, wenn er ihn zu ihr
hereinführen würde, mit Artigkeit zu empfangen, ohne deshalb aber mit ihm das
geringste zu sprechen, entfernte sich der Prinz von Persien wieder.

Der Sultan von Kaschmir war höchst erfreut, als ihm der
Prinz von Persien meldete, was er gleich bei seinem ersten Besuch für die
allmähliche Wiederherstellung der Prinzessin von Bengalen gewirkt hatte. Als
aber den folgenden Tag ihn die Prinzessin auf eine Art empfing, die ihn
überzeugte, dass ihre Wiederherstellung wirklich so weit vorgerückt sei, als
jener es ihm gesagt, so hielt er ihn für den ersten Arzt in der Welt.

Wie er die Prinzessin nun in diesem Zustand sah, begnügte
er sich, ihr an den Tag zu legen, wie sehr er sich freue, sie in einem
Gemütszustand anzutreffen, der zu ihrer baldigen und völligen
Wiederherstellung Hoffnung gebe, und nachdem er sie ermahnt hatte, ihrerseits zu
den Bemühungen eines so geschickten Arztes mitzuwirken, um das, was er so
schön begonnen, bald zur Vollendung zu bringen, und ihm zugleich ihr ganzes
Vertrauen zu schenken, entfernte er sich wieder, ohne von ihr irgend ein Wort
der Erwiderung zu erwarten.

Der Prinz von Persien, welcher den Sultan von Kaschmir
begleitet hatte, ging mit ihm aus dem Zimmer der Prinzessin, und fragte ihn
unter dem Gehen, ob er wohl sich unterstehen dürfe, die Frage zu tun, durch
welches Abenteuer eine Prinzessin von Bengalen so fern von ihrem Vaterland sich
so ganz allein im Königreich Kaschmir befinde, er tat nämlich, als wüsste er
es nicht, und als hätte ihm die Prinzessin nichts davon gesagt, auch fragte er
überhaupt bloß darum, um das Gespräch auf das Zauberpferd zu lenken und aus
seinem Mund zu erfahren, was aus demselben geworden sei.

Der Sultan von Kaschmir, der nicht ahnen konnte, aus
welchem Grund der Prinz von Persien diese Frage an ihn tat, machte ihm kein
Geheimnis daraus. Er sagte ungefähr dasselbe, was er schon von der Prinzessin
gehört, und was das Zauberpferd anbelangte, so hatte er es als eine große
Seltenheit, doch ohne zu wissen, wie es wohl zu brauchen sei, in seinen Schatz
bringen lassen.