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419. Nacht

Nun erzählte die Zauberin dem Sultan von Indien, wie sie
dadurch, dass sie sich krank gestellt, bewirkt habe, dass der Prinz Achmed, von
Mitleid ergriffen, sie an einen unterirdischen Ort habe bringen lassen, sie dort
einer Fee von unvergleichlicher Schönheit vorgestellt und empfohlen, und
dieselbe gebeten habe, für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit Sorge zu
tragen. Ferner, mit welcher Gefälligkeit die Fee sogleich zwei andern Feen von
ihrem Gefolge befohlen habe, sie in Pflege zu nehmen und nicht eher von ihr zu
weichen, als bis sie ihre Gesundheit wiedererlangt haben würde: Woraus sie denn
geschlossen habe, dass eine so große Willfährigkeit nur in einem Verhältnis
zwischen Mann und Frau möglich sein könne. Auch unterließ die Zauberin nicht,
ihm ihr Erstaunen zu schildern, welches sie bei Erblickung des Feenpalastes, den
sie für einzig in der Welt hielt, empfunden habe, während die beiden Feen als
eine Kranke, die ohne ihre Beihilfe weder gehen noch stehen könne, jede unter
einem Arm sie dahin geführt hätten. Sie beschrieb ihm umständlich den Eifer,
womit man sie in dem Zimmer, wohin sie gebracht worden, gepflegt, den Trank,
welchen man ihr eingegeben, die schnell erfolgte Genesung, die – wiewohl sie an
der Kraft des Trankes gar nicht zweifle – ebenso erheuchelt gewesen als ihre
Krankheit, ferner die Majestät der Fee, die auf einem von Edelsteinen
blitzenden Thron gesessen, deren Wert leicht die Reichtümer des ganzen Indiens
übersteige, zuletzt endlich die übrigen unermesslichen und unzuberechnenden
Reichtümer, sowohl im Allgemeine als im Besonderen, welche in dem großen
Umfang des Palastes enthalten wären.

Hier endigte die Zauberin ihren Bericht von dem Erfolg
ihrer Sendung und fuhr dann weiter fort:

„Herr, was denkt nun Euer Majestät von diesen
unerhörten Reichtümern der Fee? Vielleicht werdet ihr sagen, ihr wundert euch
darüber und freut euch über das hohe Glück des Prinzen Achmed, der dieselben
mit der Fee gemeinschaftlich genießt. Ich indessen bitte Euer Majestät um
Vergebung, wenn ich mir die Freiheit nehme zu gestehen, dass ich hierüber
anders denke, und sogar in Bangigkeit bin, wenn ich das Unglück bedenke, das
für ihn daraus erwachsen kann, und gerade dies ist die Ursache meiner Unruhe,
die ich nicht so gut zu verbergen vermochte, dass ihr es nicht zu bemerken im
Stande gewesen wärt. Ich will gern glauben, dass der Prinz Achmed vermöge
seiner guten Gemütsart nicht fähig ist, etwas gegen Euer Majestät zu
unternehmen, allein wer kann dafür Bürge sein, dass nicht die Fee durch ihre
Reize, ihre Liebkosungen und durch die Gewalt, die sie bereits über ihren
Gemahl erlangt hat, ihm den verderblichen Plan eingibt, euer Majestät zu
verdrängen und sich der Krone Indiens zu bemeistern? Es kommt Euer Majestät
zu, auf eine Sache von solcher Wichtigkeit alle nur mögliche Aufmerksamkeit zu
verwenden.“

Wie sehr auch der Sultan von dem guten Gemüt seines
Sohnes, des Prinzen Achmed, überzeugt war, so wurde er dennoch durch die
äußerungen der Zauberin innerlich aufgeregt. Er entließ sie mit den Worten:
„Ich danke die für deine Mühe und für deinen heilsamen Rat. Ich erkenne
die Wichtigkeit desselben, die von der Art zu sein scheint, dass ich hierüber
nicht eher etwas beschließen kann, als bis ich meine Ratgeber gehört
habe.“

Als man dem Sultan die Ankunft der Zauberin gemeldet
hatte, unterhielt er sich gerade mit denselben Günstlingen, die ihm bereits
früher, wie schon erwähnt ist, Argwohn gegen den Prinzen Achmed eingeflößt
hatten. Er gebot nun der Zauberin, ihm zu folgen, und begab sich zu den beiden
Günstlingen. Er teilte diesen mit, was er soeben vernommen, und nachdem er
ihnen zugleich angezeigt, welchen Grund er habe, zu fürchten, dass die Fee das
Gemüt des Prinzen umstimmen werde, um einem solchen übel vorzubeugen.

Einer von den beiden Günstlingen nahm für die übrigen
das Wort und antwortete:

„Herr, da euer Majestät denjenigen kennt, welcher
dies Unglück zu Wege bringen könnte, da er mitten an eurem Hof lebt und in
euren Händen ist, so solltet ihr um diesem Unglück vorzubeugen, ihn ungesäumt
verhaften, und wenn auch nicht hinrichten, denn dies würde zu viel Aufsehen
erregen, aber doch wenigstens auf Lebenszeit in einen engen Kerker werfen
lassen.“ Die übrigen Günstlinge gaben dieser Ansicht einstimmig ihren
Beifall.

Die Zauberin fand indessen diesen Ratschlag zu gewaltsam.
Sie bat den Sultan um Erlaubnis zu reden, und als sie dieselbe erhalten, sagte
sie folgendes zu ihm:

„Herr, ich bin überzeugt, dass bloß der Eifer für
das Beste Euer Majestät eure Ratgeber bewogen hat, euch eine Verhaftung des
Prinzen Achmed vorzuschlagen. Allein diese werden es nicht übel aufnehmen, wenn
ich ihnen zu Gemüt führe, dass man bei Verhaftung des Prinzen auch zugleich
seine Begleiter mit verhaften müsste, die aber nicht Menschen, sondern Geister
sind. Wird man es nun wohl für etwas leichtes halten, diese zu überfallen,
Hand an sie zu legen, und sich ihrer Person zu bemächtigen? Würden sie nicht,
vermöge der ihnen innewohnenden Kraft, sich auf der Stelle unsichtbar machen
und augenblicklich die Fee von der ihrem Gemahl angetanen Beleidigung
unterrichten, welche dann diese Schmach nicht ungerächt lassen würde? Wäre es
daher nicht angemessener, wenn der Sultan durch ein anderes, weniger Aufsehen
erregendes Mittel sich gegen die bösen Anschläge, die der Prinz Achmed etwa
haben mag, sicher stellen könnte, ohne dass dadurch der Ruhm seiner Majestät
irgendwie leiden oder irgend jemand ihm dabei eine böse Absicht von seiner
Seite zuschreiben könnte? Da die Geister und die Feen Dinge vermögen, welche
weit alle menschliche Kraft übersteigen, so könnte seine Majestät, sofern sie
auf meine guten Rat irgend nur Vertrauen setzen will, den Prinzen Achmed ja bei
seiner Ehre fassen, und ihn verpflichten, ihm durch Vermittlung der Fee, gewisse
Vorteile zu verschaffen, unter dem Vorwand, dass er, der Sultan, davon großen
Nutzen haben und ihm dafür stets dankbar sein würde. Zum Beispiel, so oft Euer
Majestät zu Felde ziehen will, seid ihr genötigt, einen ungeheuren Aufwand zu
machen, nicht bloß an Pavillons und Zelten für euch und euer Heer, sondern
auch an Kamelen, Mauleseln und andern Lasttieren, um dieses ganze Gerät
fortzubringen. Könntet ihr ihn nun nicht verpflichten, dass er euch vermöge
seines bedeutenden Einflusses bei der Fee einen Pavillon verschaffen solle, der
in der Hand Platz hätte, unter welchem gleichwohl aber euer ganzes Herr Obdach
finden könne? Weiter brauche ich Euer Majestät nichts zu sagen. Wenn der Prinz
nun auch diesen Pavillon herbeischaffen sollte, so bleiben euch immer noch so
viele andere Forderungen der Art an ihn zu machen übrig, dass er am Ende, wie
erfinderisch und reich an Mitteln die Fee auch immer sein mag, die ihn durch
ihre Bezauberung von euch abwendig gemacht hat, dennoch den Schwierigkeiten oder
der Unmöglichkeit der Ausführung wird unterliegen müssen. So wird er dann aus
Scham sich nicht mehr sehen lassen und gezwungen sein, sein Leben bei der Fee,
fern vom Verkehr mit der Welt, hinzubringen, und so wird dann Euer Majestät
nichts mehr von seinen Anschläge zu befürchten haben, ohne dass man euch eine
so verhasste Handlung, als die Hinrichtung oder lebenslängliche Einkerkerung
sein würde, wird vorwerfen können.“

Als die Zauberin ausgeredet hatte, fragte der Sultan seine
Günstlinge, ob sie ihm etwas besseres vorzuschlagen wüssten. Da sie
stillschwiegen, so beschloss er den Rat der Zauberin zu befolgen, als
denjenigen, der ihm am vernünftigsten und den milden Grundsätzen seiner
bisherigen Regierung am angemessensten dünkte.