Project Description

418. Nacht

Die Zauberin, welche nicht darum gekommen war, um hier
lange die Kranke zu spielen, sondern bloß um den Aufenthalt des Prinzen Achmed
und was ihn wohl bewegen möge, den Hof des Sultans zu meiden, auszuspähen, was
sie nunmehr zur Genüge ausgeforscht hatte, hätte jetzt gern erklärt, dass der
Trank seine Wirkung getan habe, so groß war ihr Verlangen, zurückzukehren und
den Sultan von dem glücklichen Gelingen des Auftrags, den er ihr gegeben, zu
benachrichtigen. Indessen, da man ihr nicht gesagt hatte, dass der Trank auf der
Stelle wirke, so musste sie wider ihren Willen die Rückkehr der Frauen
abwarten.

Die beiden Frauen kamen nach Verlauf der angegebenen Zeit
wieder, und fanden die Zauberin aufgestanden und angekleidet auf dem Sofa, die
bei ihrem Eintritt sogleich aufstand und ausrief:

„O der bewunderungswürdige Trank! Er hat weit
schneller gewirkt, als ihr mir sagtet, und ich erwarte euch schon seit einer
Weile voll Ungeduld, um euch zu bitten, dass ihr mich doch zu eurer mildtätigen
Gebieterin führt, damit ich ihr für ihre Güte, wofür ich ihr ewig
verpflichtet bleiben werde, meinen Dank abstatte, und damit ich nach dieser
wundervollen Genesung keine Zeit verliere, um meine Reise fortzusetzen.“

Die beiden Frauen, welche ebenfalls Feen waren, bezeigten
der Zauberin ihre Teilnahme an der Wiederherstellung ihrer Gesundheit, gingen
dann vor ihr her, um ihr den Weg zu zeigen, und führten sie durch mehrere
Zimmer, die alle weit prächtiger waren als das, woraus sie eben kam, in den
prachtvollsten und reich geschmücktesten Saal des ganzen Palastes.

Pari Banu saß in diesem Saal auf einem Thron aus
gediegenem Gold, der mit Diamanten, Rubinen und Perlen von ungewöhnlicher
Größe reich verziert war, und neben welchem rechts und links eine große
Anzahl von Feen stand, die alle sehr reizend und reich gekleidet waren. Beim
Anblick eines solchen Glanzes und einer solchen Majestät wurde die Zauberin
nicht bloß ganz verblendet, sondern sie wurde auch so verwirrt, dass sie,
nachdem sie sich vor dem Thron niedergeworfen, nicht einmal den Mund zu öffnen
vermochte, um der Fee, wie sie sich vorgenommen, ihren Dank abzustatten. Pari
Banu ersparte ihr diese Mühe und sagte zu ihr:

„Gute Frau, es ist mir angenehm, dass diese
Gelegenheit, euch einen Gefallen zu tun, sich ereignet hat, und ich sehe mit
Vergnügen euch im Stande, euren Weg fortzusetzen. Ich will euch nicht länger
zurückhalten. Doch es wird euch nicht unlieb sein, zuvor meinen Palast zu
besehen. Geht mit meinen Frauen, sie werden euch begleiten und euch denselben
zeigen.“

Die Zauberin, welche noch immer ganz verwirrt war,
verneigte sich nochmals mit der Stirn bis auf den Teppich herab, welcher das
Unterteil des Thrones bedeckte, nahm Abschied, doch ohne dass sie ein einziges
Wort vorzubringen vermochte, und ließ sich von den beiden Feen, die sie
begleiteten, herumführen. Sie sah nun zu ihrem Erstaunen und unter beständigen
Ausrufungen der Verwunderung dieselben Zimmer nach der Reihe, dieselben
Reichtümer und die selbe Pracht, welche die Fee Pari Banu dem Prinzen Achmed,
als er das erste Mal vor ihr erschien, hatte zeigen lassen. Was ihr aber die
größte Bewunderung einflößte, war, dass die Feen, nachdem sie das ganze
Innere des Palastes in Augenschein genommen, ihr sagten, dass alles das, was sie
soeben bewundert habe, nur eine Probe von der Größe und Macht ihrer Gebieterin
sei, und dass sie in dem Umfang ihres Reiches noch andere unzählige Paläste
habe, die alle von verschiedener Form und Bauart, doch nicht minder stattlich
und prächtig wären. Indem sie sich mit ihr über so allerlei andere Umstände
unterhielten, führten sie sie bis zur eisernen Tür, durch welche der Prinz
Achmed sie eingeführt hatte, öffneten dieselbe und wünschten ihr, nachdem sie
von ihnen Abschied genommen und ihnen für ihre Bemühungen gedankt hatte, eine
glückliche Reise.

Als die Zauberin einige Schritte weit gegangen war, drehte
sie sich um, um die Tür sich anzusehen und zu merken, doch sie suchte dieselbe
vergebens. Sie war bereits wieder für sie, so wie für jede andere Frau,
unsichtbar geworden. Sie begab sich nun also, mit Ausnahme dieses einzigen
Umstandes ziemlich zufrieden mit sich selber, dass sie ihren Auftrag so gut
vollzogen, zum Sultan zurück. Sobald sie in der Hauptstadt angelangt war, ging
sie durch Nebenwege und ließ sich wieder durch die geheime Tür in den Palast
einführen. Der Sultan, als ihm ihre Ankunft gemeldet worden, ließ sie vor sich
kommen, und da er sie mit einem sehr traurigen Gesicht erschienen sah, so
mutmaßte er, die Sache sei ihr nicht gelungen und sagte zu ihr:

„Deinem Ansehen nach schließe ich, dass deine Reise
fruchtlos gewesen, und dass du mir die Aufklärung nicht mitbringst, die ich von
deinem Diensteifer erwartete.“

„Herr,“ erwiderte die Zauberin, „Euer
Majestät erlaube mir, euch vorzustellen, dass ihr nicht aus meiner Miene einen
Schluss darauf machen dürft, ob ich mich bei Vollführung des Auftrags, womit
ihr mich beehrtet, gut benommen habe, sondern vielmehr aus dem treuen Bericht
über das, was ich getan und mir alles begegnet ist, während ich alles aufbot,
um mich eures Beifalls würdig zu machen. Der traurige Zug, den ihr vielleicht
in meinem Gesicht bemerkt, rührt aus einer andern Quelle als daher, dass es mir
etwas nicht gelungen wäre, vielmehr hoffe ich, dass Euer Majestät hier alle
Ursache haben wird, damit zufrieden zu sein. Welches die eigentliche Ursache
ist, sage ich euch nicht. Der Bericht, den ich euch abstatten werde, sofern ihr
Geduld habt, mich anzuhören, wird euch alles erklärlich machen.“