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417. Nacht

Die arglistige Zauberin sah den Prinzen, ohne den Kopf
emporzuheben, mit einer Miene an, die sein schon gewecktes Mitleid noch
vermehrte, und antwortete ihm in abgebrochenen Worten, und als könnte sie kaum
atmen, sie sei von Hause weggegangen, um nach der Stadt zu gehen, und unterwegs
sei sie von einem heftigen Fieber befallen worden, die Kräfte seien ihr
geschwunden, und sie sei genötigt gewesen, anzuhalten und in einer unbewohnten
Gegend, ohne Aussicht auf menschlichen Beistand, in der Lage zu bleiben, worin
er sie gefunden.

„Gute Frau,“ erwiderte der Prinz Achmed,
„ihr seid nicht so weit von aller menschlichen Hilfe entfernt, als ihr
denkt. Ich bin bereit, es euch zu beweisen, und euch hier ganz in der Nähe an
einen Ort hinzubringen, wo ihr nicht bloß alle mögliche Pflege finden, sondern
auch bald geheilt werden sollt. Ihr dürft hierzu bloß aufstehen und zugeben,
dass einer von meinen Leuten euch hinter sich aufs Pferd nehme.“

Bei diesen Worten des Prinzen Achmed lehnte die Zauberin,
die sich bloß darum krank stellte, um zu erfahren, wo er wohne, was er mache,
und in welcher Lage er sich befinde, die Wohltat, die ihr so artig angeboten
wurde, ganz und gar nicht ab, und um ihm mehr durch die Tat als durch Worte
anzuzeigen, dass sie sein Anerbieten annehme, stellte sie sich, als suche sie
mit vieler Mühe sich aufzurichten. In demselben Augenblick stiegen zwei von den
Reitern ab, halfen ihr auf die Beine und setzten sie hinter einen andern Reiter
aufs Pferd. Während sie sich wieder aufsetzten, sprengte der Prinz an der
Spitze seiner Reiterschar den Weg wieder zurück, und kam bald an die eiserne
Tür, welche ihm durch einen vorausgeeilten Reiter geöffnet worden war. Der
Prinz ritt hinein, und als er in den Hof des Feenpalastes gelangt war, ließ er,
ohne selber abzusteigen, durch einen seiner Reiter der Fee melden, dass er sie
zu sprechen wünsche.

Die Fee Pari Banu eitle umso schneller herbei, da sie
nicht begreifen konnte, aus welchem Grund der Prinz Achmed sobald wieder
umzukehren genötigt worden sei. Ohne ihr Zeit zu lassen, nach dem Grund zu
fragen, sagte der Prinz zu ihr, indem er auf die Zauberin hinzeigte, welche zwei
seiner Leute vom Pferd herab gehoben hatten und nun unter den Armen geführt
brachten:

„Meine Prinzessin, ich bitte euch, dieser Frau
dasselbe Mitleid zu schenken, das ich ihr geschenkt habe. Ich habe sie in dem
Zustand, worin ihr sie seht, unterwegs getroffen, und habe ihr den Beistand
versprochen, dessen sie bedarf. Ich empfehle sie euch in der überzeugung, dass
ihr sie nicht verlassen werdet, sowohl aus eigenem Antrieb als auch in
Rücksicht meiner.“

Die Fee Pari Banu, welche während der Rede des Prinzen
ihre Augen auf die angebliche Kranke geheftet hatte, befahl zweien ihrer Frauen,
die ihr gefolgt waren, sie aus den Händen der Reiter zu übernehmen, sie dann
in ein Zimmer des Palastes zu führen und für sie ganz ebenso zu sorgen, als ob
sie es selber wäre.

Während die beiden Frauen den empfangenen Befehl
vollzogen, näherte sich die Fee Pari Banu dem Prinzen Achmed und sagte mit
nieder gesenkten Augen zu ihm:

„Prinz, ich lobe euer Mitleid. Es ist euer und eures
Standes würdig, und ich freue mich, eurer guten Absicht entsprechen zu können:
Allein erlaubt mir, euch zu sagen, dass ich sehr fürchte, diese gute Absicht
werde uns übel belohnt werden. Es scheint mir nämlich nicht, dass diese Frau
so krank sei, als sie vorgibt, und ich müsste mich sehr täuschen, wenn sie
nicht ausdrücklich dazu abgerichtet ist, euch großes Unheil zu stiften.
Indessen lasst euch das nicht kümmern. Was man auch immer gegen euch anzetteln
mag, ihr könnt versichert sein, dass ich euch aus allen Schlingen, die man euch
irgend legen mag, befreien werde. Geht daher, und setzt eure Reise fort.“

Diese äußerung der Fee beunruhigten den Prinzen Achmed
weiter nicht, sondern er antwortete:

„Meine Prinzessin, da ich mich nicht erinnern kann,
jemandem etwas zu Leide getan zu haben, und da ich auch gegen niemanden etwas
dergleichen vorhabe, so glaube ich nicht, dass irgend jemand dergleichen mir
zuzufügen gedenkt. Wie dem aber auch sein mag, ich werde nicht aufhören Gutes
zu tun, so oft sich mir die Gelegenheit dazu bieten wird.“

Hierauf nahm er Abschied von der Fee, trennte sich von
ihr, und setzte seine Reise, die er um der Zauberin willen unterbrochen hatte,
weiter fort. Nach wenigen Stunden langte er am Hof des Sultans an, der ihn fast
so wie sonst empfing, indem er sich so viel als möglich Zwang antat, um seine
Unruhe nicht blicken zu lassen, noch auch den Argwohn, den die äußerungen der
beiden Günstlinge in ihm geweckt hatten.

Unterdessen hatten die beiden Frauen, denen die Fee Pari
Banu die Sache aufgetragen, die Zauberin in ein sehr schönes und
reich geschmücktes Zimmer geführt. Sie ließen sie da zuerst auf ein Sofa
niedersetzen, wo sie, während jene sich an ein Kissen von Goldbrokat anlehnte,
vor ihren Augen auf demselben Sofa eine Lagerstatt bereiteten, deren Matratzen
von Atlas und mit Stickerei von Seide verziert waren. Das Betttuch war von der
feinsten Leinwand und die Oberdecke von Goldstoff. Als sie ihr nun ins Bett
geholfen hatten, denn die Zauberin stellte sich fortwährend so, als ob ihr
Fieberanfall sie so quäle, dass sie sich selber nicht helfen könne, ging eine
von den Frauen hinaus, und kam bald darauf mit einem sehr feinen
Porzellangefäß in der Hand, zurück, welches mit einer Flüssigkeit angefüllt
war. Sie reichte es der Zauberin, während die andere Frau ihr half, sich im
Bett aufzusetzen, und sagte zu ihr:

„Da nehmt die Flüssigkeit, es ist Wasser aus der
Löwenquelle, ein Universalmittel gegen jede Art von Fieber. Ihr werdet binnen
einer Stunde die Wirkung davon empfinden.“

Die Zauberin, um sich noch besser zu verstellen, ließ
sich lange bitten, als hätte sie gleichsam eine unüberwindliche Abneigung
gegen diesen Trunk. Endlich nahm sie das Porzellangefäß, und schluckte die
Flüssigkeit hinunter, während sie den Kopf schüttelte, als ob sie sich eine
große Gewalt antue. Als sie sich wieder gelegt hatte, deckten die beiden Frauen
sie gut zu, und die, welche den Trank gebracht hatte, sagte zu ihr:

„Bleibt jetzt ganz ruhig und schlaft, wenn ihr Lust
habt. Wir wollen euch jetzt verlassen, und hoffen, euch bei unserer Wiederkehr
nach einer Stunde vollkommen genesen zu finden.“