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415. Nacht

Der Sultan von Indien drang nicht weiter in den Prinzen
Achmed, sondern sagte zu ihm:

„Mein Sohn, ich will nicht weiter in dein Geheimnis
eindringen, ich überlasse es ganz deinem Gutbefinden, und sage dir bloß, dass
du mir kein größeres Vergnügen machen konntest als dasjenige, dass du mich
durch deine Gegenwart, die ich so lange schon entbehren musste, erfreutest, und
dass du mir jedes Mal sehr willkommen sein wirst, wenn du unbeschadet deiner
Geschäfte oder Vergnügungen mich einmal besuchen kannst.“

Der Prinz Achmed blieb am Hof seines Vaters, des Sultans,
nicht länger als drei Tage, und schon am vierten reiste er sehr früh wieder
ab. Die Fee Pari Banu freute sich umso mehr ihn wieder zu sehen, da sie eine so
baldige Rückkehr gar nicht erwartet hatte, und sie machte sich nun selber
Vorwürfe darüber, dass sie ihn für fähig gehalten hatte, jene Treue zu
brechen, die er ihr so feierlich angelobt hatte. Sie verhehlte dies dem Prinzen
nicht, sie gestand ihm frei und offen ihre Schwachheit, und bat ihn deshalb um
Verzeihung. Von nun an war die Eintracht der beiden Liebenden so vollkommen,
dass, was der eine wollte, auch der andere wollte.

Einen Monat nach der Rückkehr des Prinzen bemerkte die
Fee Pari Banu, dass, seitdem der Prinz ihr von seiner Reise und von seiner
Unterhaltung mit seinem Vater, die er während seiner Abwesenheit gehabt.
Bericht abgestattet hatte, er nie mehr mit ihr über den Sultan gesprochen
hatte, gerade als ob er nicht mehr auf der Welt wäre, anstatt dass er zuvor so
oft mit ihr von jenem sich unterhalten hatte. Sie mutmaßte, dass er bloß aus
Achtung gegen sie dies vermiede, und nahm daher eines Tages Gelegenheit,
folgendes gegen ihn zu äußern:

„Prinz, sagt mir doch, habt ihr euren Vater, den
Sultan, denn so ganz vergessen? Erinnert ihr euch nicht mehr an das Versprechen,
welches ihr ihm getan, ihn von Zeit zu Zeit zu besuchen? Ich für mein Teil habe
noch nicht vergessen, was ihr mir bei eurer Rückkehr gesagt habt, und ich
bringe es euch hiermit in Erinnerung, damit ihr nicht länger wartet, um euer
Versprechen zum ersten Mal zu erfüllen.“

„Verehrte Frau,“ erwiderte der Prinz Achmed in
demselben heiteren Ton wie die Fee, „ich fühle mich einer solchen
Vergesslichkeit, als ihr erwähnt, nicht fähig, indessen ich wollte lieber
diesen euren Vorwurf unverdient ertragen, als mich einer abschlägigen Antwort
aussetzen, wenn ich gegen euch eine Sehnsucht nach etwas blicken ließe, was
euch irgend hätte in Unruhe versetzen können.“

„Prinz,“ sagte die Fee zu ihm, „ich will
nicht, dass ihr länger diese Rücksicht gegen mich nehmt, und damit dergleichen
nicht wieder vorkommt, so dachte ich, da ihr den Sultan, euren Vater, bereits
seit einem Monat nicht gesehen, ihr setzt den Besuch, den ihr ihm abzustatten
habt, nicht über einen Monat aus. Fangt also morgen damit an, und fahrt so von
Monat zu Monat fort, ohne dass ihr deshalb mir jedes Mal etwas sagt oder von mir
eine äußerung hierüber erwartet. Ich genehmige es sehr gern.“

Der Prinz Achmed reiste schon den folgenden Tag ab, mit
demselben Gefolge, aber weit geschmackvoller gekleidet, so wie er selber weit
prächtiger ausgerüstet und gekleidet war, als das erste Mal. Er wurde von dem
Sultan wieder ebenso freudig und vergnügt empfangen. So setzte er denn seine
Besuche mehrere Monate lang fort, und immer erschien er in einem reicheren und
glänzenderen Aufzug.

Endlich wussten einige Wesire, welche die Lieblinge des
Sultans waren, und die aus dem Aufwand des Prinzen auf seine Macht und Größe
einen Schluss machten, die Freiheit, die ihnen gestattet war, mit dem Sultan zu
reden. Sie stellten ihm vor, die Klugheit erfordere es, zu wissen, wo der Prinz
seinen eigentlichen Aufenthalt habe, und wovon er seinen großen Aufwand
bestreite, da ihm doch weder eine Leibrente noch ein bestimmtes Jahresgehalt
angewiesen worden sei, und er bloß an den Hof zu kommen schiene, um ihm zu
trotzen und ihm zu zeigen, dass er seiner Geschenke nicht bedürfe, um als Prinz
zu leben. überhaupt sei zu fürchten, er werde das Volk aufwiegeln um ihn
frevelhafter Weise zu entthronen.

Der Sultan von Indien, welcher weit entfernt war zu
glauben, dass der Prinz Achmed fähig sein könnte, einen so verbrecherischen
Plan zu fassen, sagte zu ihnen:

„Ihr scherzt wohl nur. Mein Sohn liebt mich, und ich
bin umso mehr von seiner Zuneigung und Treue versichert, da ich mich nicht
erinnern kann, ihm je den geringsten Anlass zur Unzufriedenheit mit mir gegeben
zu haben.“

Bei diesen letzten Worten nahm einer dieser Günstlinge
Anlass ihm zu sagen:

„Herr, obwohl Euer Majestät nach dem allgemeinen
Urteil aller Verständigen keinen bessern Entschluss fassen konnte als der war,
den ihr damals fasstet, um die drei Prinzen in Betreff der Verheiratung der
Prinzessin Nurunnihar zufrieden zu stellen, wer weiß, ob der Prinz Achmed sich
der Entscheidung des Loses mit derselben Entsagung unterworfen hat, als der
Prinz Hussain? Kann er sich nicht vielleicht eingebildet haben, dass er allein
sie verdiene, und dass Euer Majestät, anstatt sie ihm vorzugsweise vor seinen
älteren Brüdern zu bewilligen, gegen ihn dadurch eine Ungerechtigkeit begangen
habe, dass ihr die Entscheidung darüber dem Lose überließt?“

„Euer Majestät wird vielleicht sagen,“ fügte
der boshafte Günstling hinzu, „dass Prinz Achmed kein Zeichen von
Unzufriedenheit blicken lasse, dass unsere Furcht leer sei, das wir uns gar zu
leicht beunruhigen lassen, und endlich, dass wir Unrecht haben, gegen einen
Prinzen seines Geblütes euch einen Verdacht einzuflößen, der vielleicht
unbegründet ist. Allein, Herr,“ fuhr der Günstling fort, „dieser
Verdacht kann auch wohl sehr gegründet sein. Euer Majestät ist nicht
unbekannt, dass man bei einer so zarten und doch auch so wichtigen
Angelegenheit, den sichersten Weg wählen müsse. Dazu erwägt, dass die
Verstellung des Prinzen euch Vergnügen machen und euch täuschen könnte, und
dass die Gefahr umso bedenklicher ist, da Prinz Achmed von eurer Hauptstadt
nicht gar so weit entfernt zu sein scheint. In der Tat, wenn ihr eben so
aufmerksam darauf gewesen seid wie wir, so werdet ihr bemerkt haben, dass jedes
Mal, wenn er ankommt, er und seine Leute ganz frisch und munter, und ihre
Kleider, die Decken der Pferde und der übrige Schmuck so blank aussehen, als
wären sie soeben erst neu gemacht. Sogar ihre Pferde sind nicht müder, als
kämen sie von einem bloßen Spazierritt. Diese Beweise von dem benachbarten
Aufenthaltsort des Prinzen Achmed sind so augenscheinlich, dass wir unsere
Pflicht zu verletzen glauben würden, wenn wir dies euch nicht untertänigst
vorstellten, damit ihr zu eurer eigenen Erhaltung und zum Wohl eures Reichs die
erforderliche Rücksicht darauf nehmen könnt.“

Als der Günstling diese lange Rede geendigt hatte, brach
der Sultan das Gespräch mit den Worten ab:

„Wie dem auch sein mag, ich glaube nicht, dass mein
Sohn Achmed so böse ist, als ihr mich überreden wollt, unterdessen danke ich
euch für euren guten Rat, und zweifle nicht, dass ihr mir ihn aus der besten
Absicht gegeben.“