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414. Nacht

Endlich gab sie ihm zu seiner Begleitung zwanzig
wohl gerüstete und stattliche Reiter. Als alles bereit war, nahm der Prinz
Achmed von der Fee Abschied, indem er sie umarmte und sein Versprechen einer
baldigen Wiederkehr erneuerte. Man führte ihm das Pferd vor, welches sie für
ihn hatte in Bereitschaft setzen lassen: Dies war nicht bloß reich angeschirrt,
sondern auch so schön und von einem noch höheren Wert als irgend eines in dem
Marstall des Sultans von Indien. Er bestieg es zu großer Freude der Fee mit
vielem Anstand, winkte ihr sein letztes Lebewohl zu, und sprengte von dannen.

Da der Weg nach der Hauptstadt nicht lang war, so langte
der Prinz Achmed auch binnen kurzer Zeit dort an. Sobald er in die Stadt
eintrat, empfing ihn das Volk, voll Freude über sein Wiedererscheinen, mit
lautem Beifallsruf, und ein großer Teil riss sich von den übrigen los und
begleitete ihn Scharenweise bis an die Zimmer des Sultans. Der Sultan umfing und
umarmte ihn voll Freude, beklagte sich gleichwohl aber vermöge seiner
väterlichen Zärtlichkeit über die Betrübnis, worin ihn seine lange
Abwesenheit versenkt habe. „Diese deine Abwesenheit,“ fuhr er fort,
„war für mich umso schmerzlicher, da ich seit jenem Tag, wo der Zufall zu
deinem Nachteil und zu Gunsten deines Bruders Ali entschied, Ursache hatte zu
glauben, dass du dich zu irgend einem Schritt der Verzweiflung habest hinreisen
lassen.“

„Herr,“ erwiderte der Prinz Achmed, „ich
überlasse es Euer Majestät zu überlegen, ob ich nach dem Verlust der
Prinzessin Nurunnihar, welche der einzige Gegenstand meiner Wünsche gewesen
war, mich wohl noch entschließen konnte, Zeuge des Glücks meines Bruders, des
Prinzen Ali, zu sein. Wenn ich eines so unwürdigen Betragens fähig gewesen
wäre, was hätte man da wohl am Hof und in der Stadt, ja was hätte Euer
Majestät selber von meiner Liebe denken können? Die Liebe ist eine
Leidenschaft, die man nicht nach Belieben aufgeben kann. Sie beherrscht und
bemeistert sich unser, und lässt einem wahrhaft Liebenden nicht Zeit, von
seiner Vernunft Gebrauch zu machen. Euer Majestät weiß, dass mir beim
Abschießen meines Pfeils etwas so außerordentliches begegnete, als wohl noch
nie jemandem begegnet ist, dass nämlich der von mir abgeschossene Pfeil in
einer so ununterbrochenen und freien Ebene, als jene war, nicht aufgefunden
werden konnte, was denn zur Folge hatte, dass ich ein Gut verlor, dessen Besitz
mir ebenso gut als meinen beiden Brüdern gebührte. Besiegt durch den Eigensinn
des Zufalls, verlor ich meine Zeit nicht mit unnützen Klagen. Um mein Gemüt zu
beruhigen, welches über diesen unbegreiflichen Zufall bestürzt war, entfernte
ich mich unbemerkt von meinen Leuten und kehrte ganz allein nach dem Ort
zurück, um meinen Pfeil zu suchen. Ich suchte ihn diesseits, jenseits, links
und rechts von der Stelle, wo ich die Pfeile Hussains und Alis hatte von der
Erde aufheben gesehen und wo der meinige ebenfalls hingefallen sein musste. Doch
die Mühe, die ich mir gab, war fruchtlos. Ich ließ mich indessen nicht
abschrecken und setzte meine Nachforschungen fort, indem ich in grader Linie
nach der Richtung, wo er hingefallen sein musste, immer weiter vorwärts ging.
Ich war schon eine Stunde lang, immerfort links und rechts blickend und mich
zuweilen sogar noch umdrehend fort gegangen, so dass mir auch der geringste
Gegenstand, der nur irgend einem Pfeil ähnlich sah, nicht hätte entgehen
können, als ich endlich überlegte, dass ja unmöglich mein Pfeil soweit habe
fliegen können. Ich stand still und fragte mich selbst, ob ich denn meinen
Verstand verloren und ich so weit von Sinnen gekommen sei, dass ich mir träumen
lassen könnte, ich sei stark genug, um einen Pfeil bis in eine solche Weite zu
treiben, als keiner unserer ältesten und durch ihre Kraft berühmtesten Helden
es jemals im Stande gewesen. Diese Betrachtungen stellte ich an und war im
Begriff, mein Unternehmen ganz aufzugeben. Doch als ich meinen Entschluss
ausführen wollte, fühlte ich mich unwillkürlich weiter fortgezogen, und
nachdem ich vier Stunden weit gegangen, bis wo die Ebene von Felsen begrenzt
wird, bemerkte ich einen Pfeil. Ich eilte hin, hob ihn auf und erkannte ihn für
den, welchen ich abgeschossen, der aber weder am rechten Ort noch zu rechter
Zeit aufgefunden worden war. Anstatt nun die Entscheidung, welche Euer Majestät
zu Gunsten des Prinzen Ali gefällt hatte, als eine Ungerechtigkeit gegen mich
zu betrachten, legte ich mir das, was mir zugestoßen war, ganz anders aus und
zweifelte nicht, dass hierbei irgend ein für mich vorteilhaftes Geheimnis
obwalten und dass ich alles aufbieten müsse, um darüber Aufschluss zu
erhalten, ohne mich zu weit zu entfernen. Indessen dies ist ein neues Geheimnis,
wobei ich Euer Majestät bitten muss, es nicht ungnädig aufzunehmen, wenn ich
darüber stillschweige. Euer Majestät bitte ich, sich mit meiner Versicherung
zu begnügen, dass ich glücklich und mit meinem Glück ganz zufrieden bin. Da
in meinem Glück nichts war, was mich so beunruhigen und dasselbe zu stören
vermochte, als der Gedanke an den Kummer, den, wie ich voraussetze, Euer
Majestät über mein Verschwinden vom Hofe und über mein Schicksal haben
musste, so hielt ich es für meine Pflicht, euch denselben zu benehmen. Dies ist
der einzige Grund, warum ich komme. Die einzige Gnade, die ich mir für die
Zukunft von Euer Majestät erbitte, besteht darin, dass ihr mir erlaubt, von
Zeit zu Zeit hierher zu kommen, um euch meine Ehrerbietung zu bezeigen und mich
nach eurem Befinden zu erkundigen.“

„Mein Sohn,“ antwortete der Sultan von Indien,
„ich kann dir diese Erlaubnis nicht verweigern, doch würde ich es weit
lieber gesehen haben, wenn du dich hättest entschließen können, hier in
meiner Nähe zu bleiben. Indessen sage mir wenigstens, wo ich von dir Nachricht
erhalten kann, so oft du mir selber keine zukommen lässt, oder wenn deine
Gegenwart einmal nötig sein sollte.“

„Herr,“ erwiderte der Prinz Achmed, „das,
um was Euer Majestät mich fragt, gehört mit zu dem erwähnten Geheimnis, und
ich bitte euch daher, mir zu gestatten, dass ich über diesen Punkt schweige.
Ich werde mich übrigens so oft zu Erfüllung meiner Pflicht einstellen, dass
ich eher fürchte lästig zu werden, als euch irgend einen Anlass zu geben, mich
der Nachlässigkeit anzuklagen, wenn meine Gegenwart einmal nötig sein
sollte.“