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413. Nacht

Der Großwesir, der ebenso sehr der Person des Sultans
zugetan, als in der Verwaltung der Staatsangelegenheiten eifrig war, dachte auf
Mittel, um ihm einige Beruhigung zu verschaffen, und da fiel ihm eine Zauberin
ein, von welcher man Wunderdinge erzählte.

Er schlug ihm vor, diese kommen zu lassen und zu befragen.
Der Sultan genehmigte es. Der Großwesir ließ sie also aufsuchen und führte
sie selbst bei ihm ein.

Der Sultan sagte zu der Zauberin: „Die Betrübnis,
worin ich mich seit der Hochzeit meines Sohnes Ali mit der Prinzessin Nurunnihar
wegen der Abwesenheit des Prinzen Achmed befinde, ist so allgemein bekannt, dass
du ohne Zweifel darum wissen wirst. Kannst du mir nun nicht vermöge deiner
Kunst und Geschicklichkeit sagen, was aus ihm geworden ist? Ist er noch am
Leben? Was macht er? Darf ich hoffen, ihn noch einmal wieder zu sehen?“

Die Zauberin antwortete, um der Anfrage des Sultans
Genüge zu leisten: „Herr, welche Geschicklichkeit ich auch immer in meinem
Fach besitzen mag, so ist es mir doch nicht möglich, auf der Stelle der Anfrage
Euer Majestät zu genügen. Doch wenn ihr mir Frist bis morgen gestatten wollt,
so werde ich euch Bescheid geben können.“

Der Sultan gestattete ihr diesen Aufschub und entließ sie
mit dem Versprechen, sie gut zu belohnen, sofern der Bescheid seinen Wünschen
entsprechen würde.

Die Zauberin kam den folgenden Tag wieder und der
Großwesir stellte sie wiederum vor. Sie sagte zu dem Sultan:

„Herr, mit welchem Eifer ich auch die Regeln meiner
Kunst beobachtet habe, um Euer Majestät in Hinsicht dessen, was ihr zu wissen
wünscht, zu gehorchen, so habe ich doch nichts weiter ausmitteln können, als
dass der Prinz Achmed nicht tot ist. Dies ist ganz gewiss, und ihr könnt euch
darauf verlassen. Was den Ort betrifft, wo er sein mag, so habe ich diesen nicht
entdecken können.“

Der Sultan von Indien war genötigt, sich mit dieser
Antwort zu begnügen, die ihn in Hinsicht auf das Schicksal des Prinzen fast in
derselben Ungewissheit ließ, als er zuvor war.

Um wieder auf den Prinzen Achmed zurückzukommen, so
unterhielt sich dieser so oft mit der Fee Pari Banu über seinen Vater, den
Sultan, doch ohne weiter seinen Wunsch, denselben zu sehen, irgend zu erwähnen,
dass eben diese Absichtlichkeit ihr seine innere Gesinnung verriet. Da sie nun
seine Zurückhaltung und seine Furcht, nach jener abschlägigen Antwort noch
einmal ihr Missfallen zu erregen, bemerkte, so ersah sie erstens daraus, dass
seine Liebe zu ihr, wovon er bei allen Gelegenheiten unablässig Beweise gab,
aufrichtig sei, zweitens, da sie selber das Unrecht einsah, welches sie begehen
würde, wenn sie einem Sohn in Hinsicht auf seine Liebe zu seinem Vater Gewalt
antun, und ihn zwingen wollte, seine natürliche Neigung, die ihn zu jenem
hinzog, zu unterdrücken, so beschloss sie, ihm das zu bewilligen, was er
immerfort so feurig wünschte. Sie sagte daher eines Tages zu ihm:

„Prinz, die Erlaubnis, um die ihr mich batet, dass
ihr nämlich euren Vater, den Sultan, besuchen wolltet, hatte mir die gerechte
Besorgnis eingeflößt, dass dies bloß ein Vorwand sei, um mir ein Zeichen
eurer Unbeständigkeit zu geben und mich zu verlassen. Es war dies der einzige
Beweggrund, warum ich euch eure Bitte abschlug. Doch heute, wo ich durch euer
Benehmen und durch eure Worte so vollkommen überzeugt bin, dass ich mich auf
eure Beständigkeit und auf den Bestand eurer Liebe verlassen kann, bin ich
einer andern Ansicht geworden und gewähre euch diese Erlaubnis, doch nur unter
der Bedingung, dass ihr mir zuvor schwört, dass eure Abwesenheit nicht lange
dauern werde und dass ihr sehr bald wieder zurückkehren werdet. Diese Bedingung
darf euch nicht bekümmern, als forderte ich sie etwa von euch aus Misstrauen,
sondern ich tue das bloß, weil ich meiner überzeugung zufolge, die ich von der
Aufrichtigkeit eurer Liebe habe, im voraus weiß, dass sie euch in keine
Verlegenheit setzen wird.“

Der Prinz Achmed wollte sich der Fee zu Füßen werfen, um
ihr deutlicher an den Tag zu legen, wie sehr er von Dankbarkeit gegen sie
durchdrungen sei, allein die Fee hinderte ihn daran.

„Meine Sultanin,“ sagte er zu ihr, „ich
erkenne den vollen Wert der Gunst, die ihr mir erweist, allein es fehlt mir an
Worten, um euch dafür zu danken, als ich es wohl wünschte. Ergänzt in
Gedanken, was ich nicht auszudrücken vermag, und seid überzeugt, dass alles,
was ihr euch nur irgend selber hierüber sagen mögt, doch noch weit hinter dem
zurücksteht, was ich innerlich darüber empfinde. übrigens habt ihr sehr
Recht, wenn ihr glaubt, dass der Schwur, den ihr von mir fordert, mir keine
Bekümmernis machen werde. Ich leiste ihn euch umso lieber, da es mir von nun an
durchaus unmöglich ist, ohne euch zu leben. Ich werde also von euch reisen,
doch die Eilfertigkeit, womit ich zu euch wiederkehren werde, wird euch zeigen,
dass ich es nicht aus Furcht vor einem Meineid gegen euch, sondern aus wahrer
Neigung meines Herzens tue, welche mich antreibt, mein Leben in eurem Umgang
zuzubringen, und wenn ich jemals mit eurer Genehmigung mich von euch entfernen
sollte, so werde ich doch stets dabei der Bekümmernis, die mir eine zu lange
Abwesenheit verursachen könnte, auszuweichen suchen.“

Pari Banu freute sich über diese Gesinnung des Prinzen
Achmed umso mehr, weil sie dadurch von ihrem Argwohn gegen ihn und von der
Furcht befreit wurde, dass seine Sehnsucht nach seinem Vater, dem Sultan von
Indien, bloß ein scheinbarer Vorwand sein möchte, um ihr untreu werden zu
können.

„Prinz,“ sagte sie zu ihm, „ihr könnt
abreisen, sobald es euch beliebt. Allein, nehmt mir es nicht übel, wenn ich
euch zuvor einige Winke über die Art und Weise gebe, wie ihr euch auf dieser
Reise am besten benehmen könnt. Erstens, halte ich es nicht für angemessen,
dass ihr von unserer Verbindung, noch auch von meinem Stand, oder von dem Ort,
wo ihr euch niedergelassen, und seit der Trennung von ihm euren Aufenthalt
genommen habt, gegen euren Vater, den Sultan, das mindeste erwähnt. Bittet ihn,
dass er sich mit der Nachricht begnüge, dass ihr euch nichts weiter wünscht,
und dass der einzige Grund eurer Hinreise zu ihm bloß der gewesen, dass ihr ihm
seine unruhige Besorgnis über euer Schicksal benehmen wolltet.“