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410. Nacht

Der Prinz Hussain beehrte das Fest nicht mit seiner
Gegenwart. Da seine Liebe zu der Prinzessin Nurunnihar sehr innig und herzlich
war, so fühlte er sich nicht stark genug, um es mit Gleichmut zu ertragen und
mit anzusehen, wie sie in die Arme des Prinzen Ali geführt würde, der – wie er
meinte – sie nicht mehr verdiente, noch auch sie feuriger liebte als er. Er
empfand im Gegenteil ein so tiefes Missfallen darüber, dass er den Hof verließ
und auf sein Recht der Thronfolge Verzicht leistend hinging, und Derwisch wurde,
und sich zu einem sehr berühmten Scheich in die Lehre gab, der wegen seines
musterhaften Lebenswandels in hohem Ansehen stand, und in einer anmutigen
Einöde seine und seiner Schüler Wohnung aufgeschlagen hatte.

Der Prinz Achmed war aus denselben Gründen wie Hussain
ebenfalls bei der Hochzeit des Prinzen Ali und der Prinzessin Nurunnihar nicht
zugegen, doch er entsagte deshalb nicht der Welt wie jener. Da er gar nicht
begreifen konnte, wie der von ihm abgeschossene Pfeil sozusagen unsichtbar
geworden sei, so entfernte er sich von seinen Leuten, und mit dem Entschluss,
ihn so eifrig zu suchen, dass er sich nichts vorzuwerfen habe, begab er sich an
den Ort hin, wo die Pfeile der Prinzen Hussain und Ali von der Erde aufgehoben
worden waren. Von da ging er in gerader Richtung vorwärts, immer rechts und
links blickend, und ohne zu finden, was er suchte, war er endlich so weit
gekommen, dass er seine Mühe für ganz vergeblich erkannte. Indessen gleichsam
wider seinen Willen weiter fortgezogen, setzte er dennoch seinen Weg immer
weiter fort, bis er zu sehr hohen Felsen kam, bei denen er offenbar seitwärts
ablenken musste, sofern er noch weiter gehen wollte. Diese Felsen waren
außerordentlich steil und lagen in einer öden und unfruchtbaren Gegend, etwas
vier
Stunden von da entfernt, wo er ausgegangen war.

Als der Prinz Achmed sich diesen Felsen näherte, bemerkte
er einen Pfeil, hob ihn auf, betrachtete ihn, und sah zu seiner großen
Verwunderung, dass es der von ihm abgeschossene sei.

„Er ist es wirklich,“ sprach er bei sich selbst,
„aber weder ich noch irgend ein anderer Sterblicher auf der ganzen Welt
kann die Kraft haben, einen Pfeil so weit zu schießen.“

Da er ihn auf der Erde liegend und nicht mit der Spitze
darin fest steckend gefunden hatte, so schloss er, dass er an den Felsen
geflogen und von da zurückgeprallt sei.

„Es steckt hinter dieser seltsamen Sache,“
dachte er bei sich selbst, „irgend ein Geheimnis und dieses Geheimnis kann
nicht anders als vorteilhaft für mich sein. Nachdem das Schicksal mich so
schwer betrübt und mich desjenigen Gutes beraubt hat, das, wie ich hoffte, das
Glück meines Lebens ausmachen sollte, hat es mir vielleicht zu meinem Trost
irgend ein anderes vorbehalten.“

Da die äußere Form der Felsen mehrere vorspringende
Spitzen und auch wieder mehrere tief sich hineinziehende Schluchten hatte, so
trat der Prinz unter solchen Gedanken in eine der Vertiefungen hinein, und
während er darin seine Augen von einem Winkel zum andern warf, zeigte sich ihm
eine eiserne Tür, an welcher aber kein Schloss zu sehen war. Er fürchtete, sie
würde wohl verschlossen sein, doch als er daran stieß, öffnete sie sich nach
innen zu, und er erblickte einen sanft abschüssigen Weg ohne Stufen, den er
sofort mit dem Pfeil in der Hand hinab stieg. Er glaubte hier in tiefe Finsternis
zu geraten, allein an die Stelle des entschwindenden Tageslichtes trat ein
anderes ganz verschiedenes Licht. Nach fünfzig bis sechzig Schritten gelangte
er auf einen geräumigen Platz, auf welchem er einen prachtvollen Palast
erblickte, dessen Wunderbau er aber zu bewundern nicht Zeit hatte. Denn in
demselben Augenblick trat eine Frau von majestätischem Anstand und Wesen und
von einer Schönheit, die durch den reichen Anzug und durch den
Edelsteinschmuck, den sie trug, nicht noch höher gehoben zu werden vermochte,
unter die Vorhalle heraus, begleitet von einer Anzahl von Frauen, unter denen
aber die Gebieterin leicht zu unterscheiden war.

Sobald der Prinz Achmed die schöne Frau bemerkt hatte,
beschleunigte er seine Schritte, um ihr seine Ehrerbietung zu bezeigen. Doch die
schöne Frau, welche ihn kommen sah, kam ihm ihrerseits durch die Anrede
entgegen: „Prinz Achmed, tretet näher, ihr seid hier willkommen.“

Die überraschung des Prinzen war nicht gering, als er
seinen Namen in einer Gegend nennen hörte, von welcher er noch nie das
geringste vernommen, obwohl diese Gegend so nahe an der Hauptstadt seines
Vaters, des Sultans, lag, und er konnte gar nicht begreifen, wie er einer Dame
bekannt sein könnte, die er durchaus nicht kannte. Endlich warf er sich zu den
Füßen der schönen Frau und redete sie auf folgende Weise an:

„Gnädige Frau, bei meiner Ankunft in einer Gegend,
wo ich fürchten musste, dass mein unvorsichtiger Vorwitz mich zu weit gelockt,
bin ich euch tausendfachen Dank für eure Versicherung schuldig, dass ich hier
willkommen sei. Aber darf ich wohl so dreist sein euch zu fragen, durch welchen
seltsamen Zufall es kommt, dass ich euch nicht unbekannt bin, euch, die ihr zwar
in unserer Nachbarschaft wohnt, doch ohne dass ich jemals bis diesen Augenblick
etwas davon erfahren hätte?“

„Prinz,“ erwiderte die schöne Frau, „lasst
uns in den Saal hineintreten, dort werde ich mit größerer Bequemlichkeit für
mich und euch eure Frage beantworten können.“

Mit diesen Worten führte die Dame, um dem Prinzen Achmed
den Weg zu zeigen, ihn in den Saal hinein. Der wundervolle Bau desselben, das
Gold und das Himmelblau, womit das kuppelförmige Gewölbe geschmückt war, und
der unschätzbare Reichtum des Geräts erschienen ihm als etwas so ganz neues,
dass er seine Verwunderung darüber an den Tag legte und ausrief: Er habe noch
nie etwas der Art gesehen, und er glaubte nicht, dass man in der Welt irgend
etwas sehen könne, was diesem hier beikäme.

„Gleichwohl versichere ich euch,“ erwiderte die
schöne Frau, „dass dies gerade das unbedeutendste Zimmer meines Palastes
ist, und ihr werdet meiner Ansicht beistimmen, wenn ich euch erst die übrigen
alle gezeigt haben werde.“

Sie stieg einige Stufen empor und setzte sich auf ein
Sofa, und als der Prinz auf ihre Bitten neben ihr Platz genommen hatte, sagte
sie ihm:

„Prinz, ihr seid, wie ihr sagt, darüber erstaunt,
dass ich euch kenne, ohne dass ihr mich kennt. Doch eure Verwunderung wird
nachlassen, wenn ihr erst wissen werdet, wer ich bin. Euch wird ohne Zweifel
nicht unbekannt sein, was ja schon eure Religion euch lehrt, dass nämlich die
Welt ebenso wohl von Geistern als von Menschen bewohnt wird. Ich bin die Tochter
eines dieser Geister, und zwar eines der mächtigsten und ausgezeichnetesten,
und mein Name ist Pari Banu. so wirst du dich denn also nicht mehr wundern, das
ich dich, deinen Vater, den Sultan, und deine beiden Brüder kenne. Ich weiß
sogar von deiner Liebe und von deiner Reise, deren einzelne Umstände ich dir
alle hier wiedererzählen könnte, weil ich es eben war, die zu Samarkand den
künstlichen Apfel, den du gekauft hast, zum Verkauf ausbieten ließ, so wie zu
Bisnagar den Teppich, den der Prinz Hussain bekommen hat, und endlich zu Schiras
das elfenbeinerne Rohr, welches der Prinz Ali von da mitgebracht hat. Dies mag
hinreichend sein, um dir begreiflich zu machen, dass nichts von allem, was dich
betrifft, mir unbekannt ist. Ich will nur dies eine hinzufügen, dass du mir ein
glücklicheres Los zu verdienen scheinst, als das war, die Prinzessin Nurunnihar
zu besitzen, und da ich gerade zugegen war, als du den Pfeil, den du da in der
Hand hast, abschossest, und ich voraus sah, dass er nicht einmal so weit als der
des Prinzen Hussain fliegen würde, so fasste ich ihn in der Luft an und gab ihm
den erforderlichen Schwung, so dass er an die Felsen anprallen musste, neben
denen du ihn gefunden hast. Es wird nun bloß von dir abhängen, die
Gelegenheit, die sich dir jetzt bietet, zu benutzen, um noch glücklicher zu
werden.“