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408. Nacht

Als der Sultan von Kaschmir sah, dass die ärzte seines
Hofes in Hinsicht auf die Heilung der Prinzessin nichts ausgerichtet hatten,
berief er die seiner Hauptstadt, deren Wissenschaft, Geschicklichkeit und
Erfahrung keinen bessern Erfolg hatten. Endlich ließ er die ärzte aus den
übrigen Städten seines Reiches, und zwar diejenigen, welche in ihrem Fach die
berühmtesten waren, zu sich berufen. Indessen sie fanden bei der Prinzessin
keine günstigere Aufnahme als die früheren, und alles, was sie verordneten,
blieb ohne Erfolg. Zuletzt fertigte er in die Länder, Reiche, und an die Höfe
der benachbarten Fürsten Eilboten mit förmlichen Anfragen an die berühmtesten
ärzte ab, mit dem Versprechen, dass er diejenigen, die nach seiner Hauptstadt
kommen wollten, reichlich bezahlen, und den, der die Kranke heilen würde,
fürstlich belohnen werde.

Mehrere dieser ärzte unternahmen wirklich die Reise, doch
auch nicht ein einziger konnte sich rühmen, glücklicher gewesen zu sein als
die ärzte des Landes und des Hofes, und kein einziger konnte ihren Verstand
wieder zurecht bringen, – weil dies überhaupt nicht von ihnen, noch auch von
ihrer Kunst, sondern von dem Willen der Prinzessin selber abhing.

In dieser Zwischenzeit hatte der Prinz Firus Schach, als
Derwisch verkleidet, mehrere Länder und deren Hauptstädte durchstreift, und
zwar, abgesehen von den Beschwerden der Reise, mit umso betrübterem Herzen, da
er nicht wusste, ob er nicht gerade eine entgegen gesetzte Richtung eingeschlagen
habe, als er sollte, um von dem gesuchten Gegenstand Nachricht zu erfahren.

Indem er fortwährend auf alle Neuigkeiten, die man sich
in den Städten, durch welche er reiste, erzählte, aufmerksam war, gelangte er
endlich in eine große Stadt Indiens, wo man sehr viel von einer Prinzessin von
Bengalen sprach, die an demselben Tag, den der Sultan von Kaschmir zur
Vermählung mit ihr bestimmt gehabt, an ihrem Verstand verwirrt worden sei. Bei
der Nennung der Prinzessin von Bengalen vermutete er sogleich, dass es diejenige
sei, um derentwillen er diese Reise machte, und zwar umso mehr, da er am Hofe
von Bengalen nie von einer andern Prinzessin, außer der seinigen, je das
geringste gehört hatte. Im Vertrauen auf dies allgemein verbreitete Gerücht
nahm er nun seinen Weg nach dem Königreich Kaschmir und dessen Hauptstadt. Bei
seiner Ankunft in dieser Stadt kehrte er in einem Kan ein, wo er noch an
demselben Tag die Geschichte der Prinzessin von Bengalen und das traurige,
obwohl verdiente, Ende des Inders erfuhr, der sie auf dem Zauberpferd entführt
hatte, – ein Umstand, der ihn nicht länger zweifeln ließ, dass es wirklich die
Prinzessin sei, die er suchte, und dass folglich der Sultan umsonst sein Geld an
die ärzte verschwendet hatte, die sie nicht zu heilen vermochten.

Sobald der Prinz von Persien sich von allen einzelnen
Umständen unterrichtet hatte, ließ er sich den folgenden Tag schon die
Kleidung eines Arztes machen, und in dieser Kleidung und in dem langen Bart, den
er sich unterdessen hatte wachsen lassen, ging er durch die Straßen und gab
sich für einen Arzt aus. Voll Ungeduld, seine Prinzessin zu sehen, säumte er
nicht, nach dem Palast des Sultans zu gehen, wo er mit einem der Hofbeamten zu
sprechen verlangte. Man wies ihn an den Oberaufseher der Verschnittenen, zu
welchem er sagte, man werde es ihm vielleicht als eine Keckheit auslegen, dass
er als Arzt komme und sich erbiete, mit der Heilung der Prinzessin noch einen
Versuch zu machen, nachdem so viele vor ihm dies nicht imstande gewesen wären,
indessen er hoffe, vermöge gewisser eigentümlicher Mittel, die er kenne, und
bewährt gefunden habe, bei ihr jene Heilung zu bewirken, welche die früheren
nicht hätten bewirken können. Der Oberaufseher der Verschnittenen sagte zu
ihm, dass er sehr willkommen sei, und dass der Sultan ihn sehr gern sehen
würde, und, wenn es ihm gelänge, die frühere Gesundheit der Prinzessin wieder
herzustellen, er eine Belohnung erwarten dürfe, die der Freigebigkeit des
Sultans, seines Herrn, angemessen sein werde. „Wartet ein wenig,“ fuhr
er fort, „ich werde augenblicklich wieder bei euch sein.“

Es war schon lange Zeit her, dass kein Arzt sich mehr
angeboten hatte, und der Sultan von Kaschmir hatte zu seiner großen Betrübnis
fast schon die Hoffnung verloren, die Prinzessin von Bengalen jemals wieder zu
ihrer vorigen Gesundheit zurückkehren zu sehen, und zugleich auch die Hoffnung,
ihr durch eine Verheiratung mit ihr den hohen Grad seiner Liebe an den Tag zu
legen. Darum befahl er dem Oberhaupt seiner Trabanten, den angemeldeten Arzt
schnell vor ihn zu führen.

Der Prinz von Persien wurde nun dem Sultan von Kaschmir in
der Tracht und Verkleidung eines Arztes vorgestellt, und der Sultan ließ, ohne
weiter mit unnützen Reden die Zeit zu verlieren, nachdem er ihm zuvor angezeigt
hatte, dass die Prinzessin von Bengalen den Anblick keines Arztes ertragen
könnte, ohne in eine heftige Wut zu geraten, die ihr übel nur noch vermehrte,
ihn sofort in ein in der Höhe angebrachtes Gemach hinaufsteigen, von wo er sie
durch ein Gitterfenster unbemerkt beobachten konnte.

Der Prinz Firus Schach stieg hinauf, und erblickte seine
liebenswürdige Prinzessin nachlässig dasitzend, indem sie mit Tränen in den
Augen ein Lied sang, worin sie ihr unglückliches Los beklagte, welches sie für
immer vielleicht ihres zärtlich geliebten Gegenstandes beraubt habe.

Der Prinz, von den traurigen Lage gerührt, worin er seine
teure Prinzessin erblickte, bedurfte keiner andern Kennzeichen um einzusehen,
dass ihre Krankheit bloß Verstellung sei und dass sie bloß aus Liebe zu ihm
sich diesen grausamen Zwang auflege. Er stieg aus dem verborgenen Gemach wieder
herab, meldete dem Sultan, von welcher Art die Krankheit der Prinzessin und dass
sie gar nicht unheilbar sei, und sagte zugleich, dass er, sofern er ihre Heilung
bewirken solle, durchaus mit ihr allein und unter vier Augen sprechen müsse.
Was übrigens ihre Anwandlungen beim Anblick eines jeden Arztes anbetrifft, so
hoffe er, dass sie ihn günstig aufnehmen und anhören würde.