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405. Nacht

In demselben Augenblick kam der Sultan von Persien in
Begleitung seines ganzen Hofes aus seinem Palast, um sich nach dem Lustschloss
zu begeben, und der Prinz von Persien eilte soeben voraus, um die Prinzessin von
Bengalen auf den Empfang vorzubereiten, als der Inder absichtlich mit seiner
Beute über die Stadt hinschwebte, um gleichsam dem Sultan und dem Prinzen Trotz
zu bieten und sich für die ungerechte Behandlung, die er erlitten, zu rächen.

Als der Sultan von Persien den Entführer bemerkte, den er
bald erkannte, so machte er mit umso größerer Bestürzung Halt, da es
unmöglich war, jenen für die entsetzliche Beschimpfung, die er ihm so vor
aller Augen antat, irgend zu züchtigen. Er stieß nebst seinen Hofleuten und
allen denen, welche Zeugen einer so ausgezeichneten Unverschämtheit und einer
so beispiellosen Bosheit waren, tausend Verwünschungen gegen ihn aus. Doch der
Inder ließ durch diese Schmähungen, deren dumpfer Laut bis zu ihm hinauf
drang, sich nicht im mindesten rühren, sondern setzte seine Reise fort,
während der Sultan von Persien in seinen Palast zurückkehrte, voll der
tödlichsten Kränkung darüber, dass er eine so abscheuliche Beleidigung
erleiden und den Urheber derselben zu bestrafen außer Stande sein sollte.

Indessen wie groß war erst die Betrübnis des Prinzen
Firus Schach, als er mit eigenen Augen, ohne es im geringsten hindern zu
können, sehen musste, wie der Inder ihm die Prinzessin von Bengalen entführte,
die er so leidenschaftlich liebte, dass er nicht mehr ohne sie zu leben
vermochte. Bei diesem Anblick, auf den er gar nicht gefasst war, blieb er wie
starr und unbeweglich. Doch ehe er noch überlegt hatte, ob er in die heftigsten
Schmähworte gegen den Inder ausbrechen, oder das traurige Los der Prinzessin
beklagen, oder sie um Verzeihung bitten solle, wegen der zu wenigen Vorsicht,
womit er für sie gesorgt, die sich ihm so ganz auf eine Weise hingegeben hatte,
die ihre Liebe zu ihm genügend bewies, – hatte das Pferd, welches die beiden
mit unglaublicher Schnelligkeit davon trug, sie bereits seinen Augen entzogen.
Was sollte er nun tun? Sollte er in den Palast des Sultans, seines Vaters,
zurückkehren, sich in sein Zimmer verschließen, und sich in seine Betrübnis
versenken, ohne einen Schritt zur Verfolgung des Entführers zu tun, um die
Prinzessin aus seinen Händen zu befreien und ihn nach Gebühr zu bestrafen?
Sein Edelsinn, seine Liebe, sein Mut ließen dies nicht zu, und er setzte also
seinen Weg nach dem Lustschloss fort.

Bei seiner Ankunft trat ihm der Kastellan, der seine
Leichtgläubigkeit und dass ihn der Inder hintergangen, nunmehr einsah, mit
Tränen in den Augen entgegen, warf sich ihm zu Füßen, klagte sich selber des
Verbrechens an, das er begangen zu haben vermeinte, und verurteilte sich selber
zum Tod, den er von der Hand des Prinzen erwartete.

„Steh auf,“ sagte der Prinz zu ihm, „nicht
dir lege ich die Entführung der Prinzessin zur Last, sondern mir allein und
meiner Einfalt. Geh jetzt ohne Zeit zu verlieren, und suche mir ein
Derwisch-Kleid, doch hüte dich, jemandem zu sagen, dass es für mich ist.“

Nicht weit von dem Lustschloss lag ein Derwisch-Kloster,
dessen Scheich oder Oberer ein Freund des Kastellans war. Der Kastellan ging zu
diesem, vertraute ihm fälschlicher Weise, ein bedeutender Hofbeamte, dem er
große Verbindlichkeiten schuldig, sei in Ungnade gefallen, und er wünsche ihm
gern dazu behilflich zu sein, dass er sich dem Zorn des Sultans entziehen
könne, und so bekam er denn ohne Schwierigkeit, was er wollte, und brachte dem
Prinzen Firus Schach eine vollständige Derwisch-Kleidung. Der Prinz legte
sofort seine Kleidung ab, und zog dies an. Nachdem er sich nun so verkleidet,
und für seine Ausgaben und Reisebedürfnis sich mit einer Schachtel voll Perlen
und Diamanten, die er eigentlich zu einem Geschenk für die Prinzessin von
Bengalen bestimmt gehabt, versehen hatte, entfernte er sich bei Anbruch der
Nacht aus dem Lustschloss, ohne zu wissen, welchen Weg er einschlagen solle,
doch fest entschlossen, nicht eher zurückzukehren, als bis er seine Prinzessin
gefunden hätte und sie wieder zurückbrächte.

Um indessen wieder auf den Inder zurückzukommen, so
lenkte dieser das Zauberpferd dergestalt, dass er noch an demselben Tag sehr
zeitig in einem Gehölz nahe an der Hauptstadt des Königreichs Kaschmir1)
anlangte. Da ihn hungerte und er vermutete, dass die Prinzessin von Bengalen
wohl ein gleiches Bedürfnis empfinden möchte, so stieg er in diesem Gehölz ab
und ließ die Prinzessin dort auf einem grünen Rasenplatz an einem sehr kühlen
und silberhellen Bach.


1)
Das Königreich Kaschmir liegt im Norden von Hindustan, und befindet sich
heutzutage unter der Herrschaft der Afghanen.