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403. Nacht

Zwei volle Monate hindurch überließ sich der Prinz Firus
Schach ganz dem Willen der Prinzessin von Bengalen, indem er bei allen
Lustbarkeiten erschien, die sie nur irgend ersann und ihm zu Ehren geben mochte,
als hätte er nichts weiter zu tun, als mit ihr auf diese Weise sein Leben
hinzubringen. Sobald indessen diese Zeitfrist verstrichen war, erklärte er ihr
ganz ernsthaft, dass er schon zu lange seine Pflicht versäumt habe, und sie
nunmehr um die Erlaubnis bitten müsse, dieselbe erfüllen zu dürfen, indem er
ihr nochmals das Versprechen wiederholte, dass er unverzüglich, und zwar in
einem ihrer und seiner würdigen Aufzug, wiederkommen und bei dem König von
Bengalen um ihre Hand anhalten würde.

„Prinzessin,“ fügte der Prinz hinzu,
„meine Worte mögen euch vielleicht Verdacht erregen, und auf meine Bitte
um die erwähnte Erlaubnis mögt ihr mich vielleicht schon in die Reihe jener
treulosen Liebenden gestellt haben, die den Gegenstand ihrer Liebe vergessen,
sobald sie von ihm entfernt sind. Indessen zum Beweis der Wahrhaftigkeit und
Aufrichtigkeit meiner Liebe zu einer so liebenswürdigen Prinzessin als ihr
seid, die mich, wie ich nicht mehr zweifeln darf, wieder liebt, würde ich es
wagen, um die Erlaubnis zu bitten, euch mitnehmen zu dürfen, wenn ich nicht
fürchten müsste, dass ihr mein Begehren als eine Beleidigung aufnehmen
könntet.“

Da der Prinz Firus Schach bemerkte, dass die Prinzessin
bei diesen letzten Worten errötete und ohne das mindeste Zeichen von Unwillen
bei sich hin und her schwankte, welchen Entschluss sie fassen sollte, so fuhr er
fort.

„Prinzessin, was die Einwilligung des Königs, meines
Vaters, und den Empfang, womit er euch in seine Familienverbindung aufnehmen
wird, anbetrifft, so kann ich euch vollkommen darüber beruhigen. Was aber den
König von Bengalen betrifft, so müsste er nach alle den Beweisen von
Zärtlichkeit, Freundschaft und Achtung, die er euch stets erwiesen und noch
erweist, ein ganz anderer sein, als ihr mir ihn geschildert habt, das heißt, er
müsste ein Feind eurer Ruhe und eures Glücks sein, wenn er die Gesandtschaft,
die mein königlicher Vater an ihn senden wird, um seine Genehmigung zu unserer
Vermählung zu erhalten, nicht wohlwollend aufnehmen sollte.“

Die Prinzessin von Bengalen antwortete auf diese
äußerung des Prinzen weiter nichts. Doch ihr Stillschweigen und ihre zur Erde
gesenkten Augen verrieten deutlicher als jede Erklärung, dass sie keine
Abneigung dagegen habe, ihn nach Persien zu begleiten, und dass sie darein
willige. Die einzige Schwierigkeit, die sie noch an der Sache zu finden schien,
bestand darin, dass der Prinz von Persien noch nicht genug geübt sei, um das
Pferd lenken zu können, und dass sie fürchtete, mit ihm wieder in dieselbe
Verlegenheit zu geraten, als die war, da er allein den Versuch gemacht hatte.
Indessen der Prinz Firus Schach wusste ihr so gut diese Furcht zu benehmen,
indem er sie überzeugte, dass sie sich ihm ganz anvertrauen und dass er seit
dem letzten Vorfall es mit dem Inder selber in Lenkung des Pferdes aufnehmen
könne, so dass sie von nun an bloß darauf dachte, mit ihm so geheime
Maßregeln für ihre Abreise zu treffen, dass niemand von ihrem Plan das
mindeste ahnen könnte.

Es gelang, und schon am folgenden Morgen kurz vor
Tagesanbruch, während ihr ganzer Palast noch im tiefsten Schlaf lag, begab sie
sich mit dem Prinzen auf die Terrasse, und dieser wendete das Pferd nach der
Gegen von Persien hin und stellte es so, dass die Prinzessin sich mit
Leichtigkeit auf das Hinterkreuz desselben setzen konnte. So stieg er zuerst
hinauf, und nachdem die Prinzessin zu größerer Sicherheit seine Hand
angefasst, und sich mit aller Bequemlichkeit hinter ihn gesetzt und ihm
angezeigt hatte, dass er jetzt aufbrechen könnte, drehte er denselben Wirbel,
den er vormals in der Hauptstadt von Persien herumgedreht, und das Pferd führte
sie in die Lüfte empor.

Das Pferd eilte mit der gewohnten Schnelligkeit, und der
Prinz Firus Schach lenkte es so, dass er etwa binnen dreieinhalb Stunden die
Hauptstadt Persiens erblickte. Er stieg weder auf dem großen Platz, von wo er
abgegangen war, noch in dem Palast des Sultans, sondern in einem Lustschloss ab,
das nicht weit von der Stadt entfernt war. Hier führte er die Prinzessin in das
schönste Zimmer, und sagte ihr, dass er, um ihr die gebührenden
Ehrenbezeugungen zu verschaffen, den Sultan, seinen Vater, von ihrer Ankunft
benachrichtigen gehen, und dass sie ihn nach kurzer Frist wieder sehen würde,
unterdessen aber gebe er dem Kastellan des Schlosses, der zugegen war, Befehl,
es ihr an keiner Sache, die sie irgend bedürfen würde, fehlen zu lassen.

Nachdem der Prinz die Prinzessin in ihrem Zimmer verlassen
hatte, befahl er dem Kastellan, ihm ein Pferd satteln zu lassen. Das Pferd wurde
ihm herbeigeführt, er schwang sich hinauf, und nachdem er den Kastellan zur
Prinzessin zurückgeschickt hatte, mit dem Befehl, ihr vor allen Dingen aufs
schleunigste Frühstück vorsetzen zu lassen, ritt er von dannen. Unterwegs und
in den Straßen der Stadt, durch die er reiten musste, um nach dem Palast zu
gelangen, wurde er von dem Volk, das seit seinem Verschwinden bereits
verzweifelt hatte, ihn je wieder zu sehen, und dessen Traurigkeit sich jetzt in
Freude verwandelte, mit lautem Beifallsruf begrüßt. Der Sultan, sein Vater,
hielt eben eine öffentliche Sitzung, als er in der Mitte der ganzen
Ratsversammlung, die so wie der Sultan seit jenem Tag seines Verschwindens
Trauer angelegt hatte, plötzlich erschien. Der Sultan umarmte ihn beim Empfang
mit Tränen der Freude und der Zärtlichkeit, und fragte ihn neugierig, was aus
dem Pferd des Inders geworden sei.