Project Description

394. Nacht

Jeder andere als der Prinz Firus Schach würde es
vielleicht nicht gewagt haben, in das tiefe Dunkel, welches auf dieser Treppe
herrschte, hinab zu steigen, abgesehen von der Ungewissheit, worin er schwebte, ob
er da Freunde oder Feinde finden würde. Indessen diese Rücksicht konnte ihn
nicht zurückhalten.

„Ich komme ja nicht, um jemanden hier etwas zu Leide
zu tun,“ sprach er bei sich selbst, „und offenbar werden diejenigen,
die auf mich zuerst sehen, und keine Waffen in meiner Hand erblicken werden,
wenigstens so menschlich sein, mich zuvor anzuhören, ehe sie nach meinem Leben
trachten.“

Er öffnete die Tür noch weiter, ohne Geräusch zu
machen, und stieg dann ebenso vorsichtig herunter, um nur ja keinen Fehltritt zu
tun, dessen Geräusch irgend jemanden hätte aus dem Schlaf wecken können. Dies
gelang ihm denn auch, und an der einen Stelle der Treppe fand er eine offene
Tür, die in einen Saal ging, worin Licht war.

Der Prinz Firus Schach blieb an der Tür stehen, und indem
er horchte, hörte er Leute, die im tiefsten Schlummer lagen, laut schnarchen.
Er trat einige Schritte weit in den Saal hinein, und sah beim Schein einer
Laterne, dass die Schlafenden sämtlich schwarze Verschnittene waren, deren
jeder einen blanken Säbel neben sich hatte, woraus er schloss, dass es die
Wache in dem Vorzimmer einer Königin oder Prinzessin sein müsse, welche
Vermutung, wie sich nachher fand, auch ganz richtig war.

Das Zimmer, worin die Prinzessin schlief, folgte gleich
hinter dem Saal, wie man aus dem hellen Lichtschimmer abnehmen konnte, der aus
jenem durch einen Türvorhang aus leichtem Seidenstoff hervordrang.

Der Prinz Firus Schach näherte sich ganz leise dem
Türvorhang, ohne die Verschnittenen aufzuwecken, öffnete ihn, und als er
herein getreten war, wendete er, ohne sich bei Betrachtung der Pracht des
Zimmers, die wahrhaft königlich war, ihn aber in seiner damaligen Lage wenig
rührte, im mindesten aufzuhalten, seine ganze Aufmerksamkeit auf etwas, das ihn
weit mehr interessierte. Er sah nämlich darin mehrere Betten stehen, und zwar
ein einziges auf der mit Teppichen belegten Erhöhung des Zimmers, die übrigen
unten auf dem Fußboden des Gemachs. In den letzteren schliefen Kammerfrauen der
Prinzessin, um ihr Gesellschaft zu leisten und ihr bei ihren verschiedenen
Bedürfnissen hilfreiche Hand zu leisten, in dem ersteren schlief die
Prinzessin.

Bei dieser Unterscheidung konnte der Prinz Firus Schach
sich nicht weiter in der Wahl irren, die er zu treffen hatte, wenn er sich an
die Prinzessin selber wenden wollte. Er näherte sich nun ihrem Bett, ohne sie
oder eine von ihren Kammerfrauen zu wecken. Als er nahe genug war, da erblickte
er eine so seltene und überraschende Schönheit, dass er gleich beim ersten
Anblick davon bezaubert wurde.

„O Himmel,“ rief er in seinem Herzen aus,
„hat mich mein Schicksal bloß darum hierher geführt, damit ich meine
Freiheit einbüßen soll, die ich so lange und bis diesen Augenblick mir bewahrt
habe! Muss ich mich nicht auf eine unvermeidliche Sklaverei gefasst machen,
sobald sie die Augen aufschlägt, – sofern nämlich diese Augen wie sich
erwarten lässt, diesem Verein der seltensten Reize und Schönheiten, den
höchsten Glanz und die höchste Vollendung geben! Gleichwohl muss ich mich dazu
entschließen, weil ich jetzt nicht mehr zurückgehen kann, ohne mein eigener
Mörder zu werden, und weil es die Notwendigkeit nun einmal so gefügt
hat.“

Nach diesen Betrachtungen ließ sich der Prinz Firus auf
seine beiden Knie nieder, fasste den äußersten Rand des herabhängenden
Hemdärmels der Prinzessin, aus welchem ein schön gerundeter, schneeweißer Arm
hervorblickte, und zupfte sie ganz leise.