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392. Nacht

Dieser Tausch schien dem ganzen persischen Hof wahrhaft
königlich. Gleichwohl war er noch weit unter dem, den der Inder in Gedanken
hatte. Bei ihm war es auf etwas weit höheres abgesehen, und er antwortete dem
König:

„Herr, ich bin Euer Majestät für das mir gemachte
Anerbieten unendlich verbunden, und ich kann euch für eure Großmut nicht genug
danken. Gleichwohl bitte ich euch, es nicht übel zu nehmen, wenn ich so dreist
bin, euch anzuzeigen, dass ich mein Pferd bloß dann zu eurem Besitz ablassen
kann, wenn ich von eurer Hand eure Prinzessin Tochter zur Gemahlin erhalte. Ich
bin entschlossen, nur um diesen Preis mein Eigentumsrecht aufzugeben.“

Die Hofleute, welche um den König von Persien
herumstanden, konnten sich nicht enthalten, bei dieser überspannten Forderung
des Inders ein lautes Gelächter aufzuschlagen. Indessen der Prinz Firus1)
Schach, der älteste Sohn des Königs und künftige Thronerbe, hörte ihn nur
mit Unwillen an. Doch der König dachte ganz anders, und glaubte die Prinzessin
von Persien dem Inder aufopfern zu dürfen, um seine Neugier zu befriedigen.
Gleichwohl schwankte er lange hin und her, ehe er sich zu dieser Wahl
entschloss.

Der Prinz Firus Schach, welcher sah, dass sein
königlicher Vater wegen der dem Inder zu erteilenden Antwort schwankte,
fürchtete, er möchte die Forderung desselben bewilligen, – was er als den
ärgsten Schimpf für die königliche Würde, für seine Schwester, und für
seine eigene Person betrachtete. Er nahm also das Wort und sagte, ihm
zuvorkommend:

„Herr, Euer Majestät verzeihe, wenn ich frage, ob es
möglich ist, dass ihr auch nur einen Augenblick euch wegen der abschlägigen
Antwort bedenkt, welche auf diese unverschämte Forderung eines nichtswürdigen
Menschen und Taschenspielers zu erteilen ist, und dass ihr ihm auch nur einen
Augenblick Frist gestattet, sich mit der Hoffnung zu schmeicheln, er werde mit
einem der mächtigsten Fürsten der Erde in eine solche Verbindung treten
können. Ich bitte euch, doch zu überlegen, was ihr nicht bloß euch selber,
sondern auch eurem Stand und dem hohen Rang eurer Ahnen schuldig seid.“

„Mein Sohn,“ erwiderte der König von Persien,
„ich nehme dir deine Erinnerung gar nicht übel, und weiß dir vielmehr
vielen Dank für den Eifer, den du bezeigst, deine Abkunft in demselben Glanz zu
erhalten, weil sie bisher gewesen ist, doch du überlegst nicht genug die
Vortrefflichkeit dieses Pferdes, noch auch, dass der Inder, der mir diesen Weg
zu Erlangung desselben vorschlägt, sofern ich ihn zurückweise, denselben
Vorschlag anderswo machen wird, wo man sich über diesen Punkt vielleicht
hinwegsetzt. Ich würde dann in Verzweiflung sein, wenn ein anderer Fürst sich
rühmen könnte, er habe mich an Großmut übertroffen und mich des Ruhmes
beraubt, das Pferd zu besitzen, welches ich für die einzigste und
bewunderungswürdigste Sache halte, die es auf der Welt gibt. Gleichwohl will
ich nicht sagen, dass ich ihm diese Forderung zu bewilligen gedenke. Vielleicht
ist er noch nicht mit sich selber eins über seine überspannten Ansprüche, und
wenn er nur erst meine Tochter, die Prinzessin, aus dem Spiel lässt, so will
ich gern jedes andere Abkommen mit ihm treffen, das er nur wünschen mag. Doch
bevor ich in diesem Handel den äußersten Schritt tue, wäre es mir lieb, wenn
du das Pferd besichtigtest und selber einen Versuch damit machtest, damit du mir
dann deine Ansicht hierüber sagen könntest. Ich zweifle nicht, dass er dir es
erlauben wird.“

Da man natürlicherweise das hofft, was man wünscht, so
war der Inder, welcher aus dem angehörten Gespräch mutmaßen zu können
glaubte, dass der König von Persien nicht ganz abgeneigt sei, ihn für
überlassung des Pferdes in seine Familienverbindung aufzunehmen, und dass der
Prinz, anstatt, wie er bisher hatte merken lassen, ihm entgegen zu sein, ihm
vielleicht sogar sehr günstig werden könnte, weit entfernt, sich dem Wunsch
des Königs zu widersetzen, ja er bezeigte sogar Freude darüber, und zum
Zeichen, dass er mit Vergnügen darin willige, kam er dem Prinzen zuvor, indem
er dem Pferd sich näherte, um ihm aufsteigen zu helfen und ihm sodann die
nötige Anweisung zu geben, um es gut lenken zu können.

Der Prinz Firus Schach stieg indessen mit
bewunderungswürdiger Gewandtheit und ohne Beihilfe des Inders auf das Pferd
hinauf, und kaum hatte er den Fuß in beiden Steigbügeln befestigt, als er auch
schon, ohne erst auf die Anweisung des Inders zu warten, den Wirbel ganz ebenso
herumdrehte, wie er es zuvor von jenem gesehen hatte. Augenblicklich führte ihn
nun das Pferd mit der Schnelligkeit eines Pfeils empor, der vom stärksten und
gewandtesten Bogenschützen emporgeschossen ist, so dass binnen wenigen
Augenblicken der König, der ganze Hof, und die ganze zahlreiche Versammlung ihn
aus dem Gesicht verlor.

Weder das Pferd noch der Prinz waren mehr in der Luft zu
erblicken, und der König von Persien strengte seine Augen vergeblich an, um ihn
noch zu entdecken, als der Inder über das, was soeben vorgegangen, beunruhigt,
sich vor dem Thron niederwarf und den König nötigte, die Augen auf ihn zu
richten und seiner Rede einige Aufmerksamkeit zu schenken, die er mit folgenden
Worten begann:

„Herr, Euer Majestät hat selber gesehen, dass der
Prinz mir vermöge seiner Schnelligkeit gar nicht Zeit gelassen hat, ihm die
nötige Anleitung zu geben, um mein Pferd regieren zu können. Nachdem er mir
zugesehen, wollte er zeigen, dass er meiner Belehrung nicht weiter bedürfe, um
fort zu reiten und sich in die Luft zu erheben. Allein er weiß nicht, dass ich
ihm Anleitung geben wollte, wie er das Pferd umlenken und mit ihm wieder auf
denselben Fleck zurückkehren könne, von wo er ausgeritten ist. Ich bitte daher
Euer Majestät um die Gnade, mich nicht für das verantwortlich zu machen, was
etwa seiner Person zustoßen mag. Ihr seid zu gerecht und billig, als dass ihr
das Unglück, das unvermutet etwa sich ereignen könnte, mir zurechnen
solltet.“

Die äußerungen des Inders betrübten den König von
Persien, welcher wohl einfach, dass die Gefahr, worin sein Sohn schwebe,
unvermeidlich sei, wenn es wirklich noch ein Geheimnis dabei gäbe, um das Pferd
zur Umkehr zu zwingen, und zwar ein ganz verschiedenes von dem, wodurch es zum
Aufschwung in die Luft gebracht werden könne. Er fragte ihn daher, warum er ihn
nicht in dem Augenblick zurückgerufen, als er ihn fort reiten gesehen.

„Herr,“ antwortete der Inder, „Euer
Majestät war selber Zeuge von der reißenden Schnelligkeit, womit das Pferd und
der Prinz davon flog. Die Bestürzung, die mich ergriff und noch ergriffen hat,
raubte mir anfangs den Gebrauch der Sprache, und als ich sie wieder erhielt, war
er schon so weit entfernt, dass er meine Stimme nicht mehr gehört haben würde,
und hätte er sie auch gehört, so würde er doch das Pferd nicht haben umlenken
können, da er das Geheimnis nicht wusste und auch nicht so viel Geduld hatte,
um es von mir zu lernen. Indessen, Herr,“ fuhr er fort, „es steht zu
hoffen, dass der Prinz in der Verlegenheit vielleicht den andern Wirbel bemerken
und durch Umdrehung desselben bewirken wird, dass das Pferd sogleich
emporzusteigen aufhört und sich nach der Erde zu herabsenkt, so dass er es dann
mit dem Zügel lenken und sich auf jeden beliebigen Ort niederlassen kann.“

Ungeachtet dieser ganz richtigen Schlussfolgerung des
Inders, erwiderte der König von Persien voll Unruhe über die augenscheinliche
Gefahr seines Sohnes: „Gesetzt auch, wiewohl die Sache noch sehr unsicher
ist, dass mein Sohn den andern Wirbel bemerken und davon den erwähnten Gebrauch
machen sollte, so könnte ja aber das Pferd, anstatt sich auf die Erde
niederzulassen, auf Felsen herabfallen, oder sich mit ihm in den tiefsten
Abgrund des Meeres stürzen.“

„Herr,“ nahm hierauf der Inder wieder das Wort,
„von dieser Besorgnis kann ich Euer Majestät durch die Versicherung
befreien, dass das Pferd über die Meere setzt, ohne je hinein zu fallen, und
dass es seinen Reiter stets dahin trägt, wohin er zu gelangen Willens ist, und
Euer Majestät kann versichert sein, dass sofern nur der Prinz den andern, schon
erwähnten Wirbel bemerkt, das Pferd ihn bloß dahin tragen wird, wohin er will,
und es ist nicht zu glauben, dass er sich anderswohin begeben wird, als an einem
Ort, wo er Hilfe finden und sich zu erkennen geben kann.“

Auf diese Worte des Inders antwortete der König von
Persien: „Wie dem auch sein mag, ich kann den Versicherungen, die du mir
gibst, nicht trauen, sondern dein Kopf soll mir für das Leben meines Sohnes
haften, sofern ich binnen drei Monaten ihn nicht gesund und lebend zurückkehren
sehe oder sichere Nachricht vernehme, dass er noch am Leben ist.“


1)
Das Wort bedeutet: Frühling.