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386. Nacht

Ali Baba und sein Sohn stießen voll Schrecken über diese
Handlung einen lauten Schrei aus.

„Ach, Unglückliche,“ rief Ali Baba, „was
hast du getan? Willst du mich und meine Familie zu Grunde richten?“

„Nicht um euch zu Grunde zu richten,“ erwiderte
Morgiane, „sondern um euch zu retten, habe ich es getan.“

Nun öffnete sie Hussains Kleid, zeigte ihrem Herrn den
Dolch, womit jener bewaffnet war, und sagte: „Da seht einmal, mit welchem
kühnen Feind ihr zu tun hattet, und fasst ihn nur ja gut ins Auge, ihr werdet
in ihm den angeblichen ölhändler und den Hauptmann der vierzig Räuber wieder
erkennen. Ist es euch nicht aufgefallen, dass er kein Salz mit euch essen
wollte? Verlangt ihr noch mehr Beweise, um euch von seinem verderblichen
Anschlag zu überzeugen? Noch ehe ich ihn gesehen, hatte ich schon Argwohn
geschöpft, von dem Augenblick an, wo ihr mir anzeigtet, dass ihr den und den
Gast hättet. Ich sah ihn dann selber, und ihr seht nun, dass mein Verdacht
nicht unbegründet gewesen ist.“

Ali Baba, welcher die neue Verbindlichkeit, welche er
Morgiane für die abermalige Rettung seines Lebens schuldig war, anerkannte,
umarmte sie und sagte:

„Morgiane, ich habe dir die Freiheit geschenkt um dir
sodann versprochen, dass meine Erkenntlichkeit es nicht dabei bewenden lassen
würde, und dass ich bald auch noch das letzte an dir tun würde. Dieser
Augenblick ist nun da, und ich mache dich hiermit zu meiner
Schwiegertochter.“

Hierauf wendete er sich an seinen Sohn und sagte:
„Mein Sohn, ich denke, du bist ein zu guter Sohn, als dass du es
befremdlich finden könntest, dass ich dir Morgiane zur Frau gebe, ohne dich
zuvor befragt zu haben. Du bist ihr nicht weniger Dank als ich schuldig. Du
siehst, dass Hussain deine Freundschaft bloß gesucht hatte, um mit desto
gewisserem Erfolg mir meuchlerischer Weise das Leben zu rauben, und wenn es ihm
gelungen wäre, so darfst du nicht zweifeln, dass er dich ebenfalls seiner Rache
zum Opfer gebracht haben würde. überlege ferner, dass er dich ebenfalls seiner
Rache zum Opfer gebracht haben würde. überlege ferner, dass, indem du Morgiane
heiratest, du in ihr die Stütze der Deinigen bis an das Ende deines Lebens
besitzen wirst.“

Der Sohn, anstatt die mindestes Unzufriedenheit zu
äußern, versicherte, dass er zu dieser Verheiratung nicht bloß aus Gehorsam
gegen seinen Vater, sondern auch aus eigener Neigung seine Zustimmung gäbe.

Man dachte nun in Ali Babas Hause darauf, die Leiche des
Hauptmanns neben den übrigen Räubern zu begraben, und dies geschah so
insgeheim, dass die Sache erst nach langen Jahren auskam, als niemand mehr am
Leben war, der bei der Bekanntwerdung dieser denkwürdigen Geschichte
persönlich interessiert gewesen wäre.

Wenige Tage nachher feierte Ali Baba die Hochzeit seines
Sohnes und Morgianes mit vielem Glanz und durch ein prächtiges Gastmahl,
welches von Tänzen, Schauspielen und den gewöhnlichen Lustbarkeiten begleitet
war. Er hatte das Vergnügen, zu sehen, dass seine Freunde und Nachbarn, die
dazu eingeladen waren, und die zwar nicht die eigentlichen Beweggründe zu
dieser Heirat, wohl aber von sonst her die guten und schönen Eigenschaften
Morgianes kannten, sie ganz laut wegen ihrer edlen Gesinnung und ihres guten
Herzens lobten.

Nach der Heirat hütete sich Ali Baba, welcher seit jener
Abholung der Leiche seines Bruders Kassim und des Goldes sich aus Furcht vor den
Räubern enthalten hatte, in die Felsengrotte zurückzukehren, auch noch ferner
davor, obwohl neununddreißig Räuber mit Inbegriff des Hauptmanns tot waren,
weil er vermutete, das die beiden anderen, deren Schicksal ihm nicht bekannt
geworden noch am Leben wären.

Indessen als er nach Verlauf eines Jahres gesehen hatte,
dass nichts gegen seine Ruhe unternommen worden war, so befiel ihn die
Neugierde, eine Reise dahin zu machen, wobei er denn freilich die nötigen
Vorsichtsmaßregeln für seine Sicherheit nahm. Er setzte sich zu Pferde, und
als er bei der Grotte anlangte, hielt er es für ein gutes Vorzeichen, dass er
weder Spuren von Menschen noch von Pferden bemerkte. Er stieg ab, band sein
Pferd an, trat vor die Tür und sprach die Worte: „Sesam, öffne
dich!“, die er noch nicht vergessen hatte. Die Tür öffnete sich, er ging
hinein, und aus dem Zustand, worin er alles in der Grotte fand, konnte er
annehmen, dass seit jener Zeit ungefähr, wo der angebliche Kodjah Hussain
seinen Laden in der Stadt eröffnet hatte, niemand darin gewesen, und dass die
Bande von vierzig Räubern seitdem gänzlich zerstreut und ausgerottet worden
sei. Er zweifelte nun nicht mehr daran, dass er der einzige sei, der um das
Geheimnis, die Schatzhöhle zu öffnen, wisse, und dass er über den darin
befindlichen Schatz frei schalten könne. Er hatte sich mit einem Felleisen
versehen. Dies füllte er nun so weit mit Gold an, als sein Pferd nur zu tragen
vermochte, und kehrte sodann in die Stadt zurück.

Seitdem lebten Ali Baba und sein Sohn, den er nach der
Felsengrotte führte, und dem er das Geheimnis, sie zu öffnen, lehrte,
desgleichen ihre Nachkommen, auf die sie dies Geheimnis vererbten, durch weise
Benutzung ihres Glückes in hohem Glanz, und geehrt von den ersten Männern der
Stadt.

Als Scheherasade dem Sultan Schachriar diese Geschichte
bis zu Ende erzählt hatte und sah, dass es noch nicht Tag war, so begann sie
die Erzählung der folgenden:

Geschichte
des Ali Kodjah, Kaufmanns zu Bagdad

Unter der Regierung des Kalifen Harun Arreschyd lebte zu
Bagdad ein Kaufmann, Namens Ali Kodjah, der weder zu den reichsten noch zu den
ärmsten gehörte, und der ohne Frau und ohne Kinder in seinem väterlichen Haus
lebte. In der Zeit, wo er frei von anderweitigen Geschäften, mit dem Ertrag
seines Handels zufrieden lebte, hatte er drei Tage nacheinander einen Traum,
worin ihm ein ehrwürdiger Greis mit strengem Blick erschien und ihm einen
Verweis darüber gab, dass er noch nicht die schuldige Wallfahrt nach Mekka1)
gemacht habe.

Dieser Traum beunruhige Ali Kodjah, und setzte ihn in die
größte Verlegenheit. Ihm war, als einem guten Muselmann, die Verpflichtung zu
dieser Wallfahrt keineswegs unbekannt. Allein da er ein Haus, Möbel und einen
Laden besaß, so hatte er immer geglaubt, dies seien hinlängliche Gründe, um
jene Reise zu unterlassen, und dafür lieber Almosen und andere gute Werke zu
stiften. Doch seit dem Traum peinigte ihn sein Gewissen so sehr, dass die
Furcht, es könne ihn irgend ein Unfall treffen, ihn zu dem Entschluss bewog,
diese Wallfahrt nicht länger zu verschieben.

Um sich in gehörigen Stand zu setzen, seinen Vorsatz noch
im laufenden Jahr auszuführen, fing Ali zuerst an, seine Gerätschaften zu
verkaufen, sodann verkaufte er seinen Laden und den größten Teil der Waren,
womit derselbe versehen war, indem er bloß diejenigen zurückhielt, die in
Mekka Absatz finden konnten. Was sein Haus betrifft, so fand er einen Mieter, an
dem er es verpachtete. Nachdem er alles so angeordnet hatte, war er um die Zeit,
wo die Karawane von Bagdad nach Mekka aufbrechen sollte, mitzureisen bereit. Das
einzige, was ihm noch zu tun übrig blieb, war, eine Summe von tausend
Goldstücken, die ihn unterwegs doch bloß belästigt haben würde, in
Sicherheit zu bringen, nachdem er sich das Geld, welches er sich zu seinen
Ausgaben und für andere Bedürfnisse mitzunehmen gedachte, bei Seite gelegt
hatte.


1)
Der Koran verpflichtet jeden Muselmann, der die Mittel dazu hat, wenigstens
einmal in seinem Leben eine Wallfahrt nach Mekka, dem Geburtsort des Propheten,
zu machen.