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383. Nacht

Als Ali Baba aus dem Bad in sein Zimmer zurückkam, war
die Sonne bereits aufgegangen. Er wunderte sich, dass die ölschläuche noch auf
ihrer Stelle lagen, und dass der Kaufmann sie mit seinen Eseln noch nicht auf
den Markt geführt hatte, und fragte deshalb Morgiane, die ihm die Tür öffnete
und alles so stehen und liegen gelassen hatte, um ihm den vollständigen Anblick
zu verschaffen und ihm umso mehr deutlich machen zu können, was sie für seine
Lebensrettung getan habe.

„Mein guter Herr!“, antwortete ihm Morgiane,
„Gott erhalte euch und euer ganzes Haus! Ihr werdet das, was ihr zu wissen
wünscht, umso besser einsehen, wenn ihr das, was ich euch zeigen will, in
Augenschein genommen haben werdet. Bemüht euch jetzt nur mit mir zu kommen.

Ali Baba folgte Morgiane. Sobald diese die Tür
verschlossen hatte, führte sie ihn zum ersten Schlauch und sagte: „Da seht
einmal in diesen Schlauch hinein, und seht zu, ob es öl darin gibt!“

Ali Baba blickte hinein, und als er einen Mann in dem
Schlauch gewahrte, fuhr er mit einem lauten Schrei erschrocken zurück.

„Fürchtet nichts,“ sagte Morgiane zu ihm,
„der Mann, den ihr da seht, wird euch nichts zu Leide tun. Er hat wohl
manches getan, doch jetzt ist er nicht mehr imstande, weder euch noch irgend
jemandem etwas zu tun. Er ist tot.“

„Morgiane,“ rief Ali Baba, „was soll das
bedeuten, was du mir zeigst? Erkläre es mir.“

„Ich werde es euch erklären,“ erwiderte
Morgiane, „doch mäßigt eure Verwunderung, und macht nicht die Neugierde
der Nachbarn auf einen Gegenstand rege, den euer eigenes Interesse geheim zu
halten erfordert. Doch beseht euch zuvor die anderen Schläuche.“

Ali Baba sah in die andern Schläuche nach der Reihe
hinein, von dem ersten bis zum letzten, worin öl war, das aber augenscheinlich
vermindert war. Als er dies getan hatte, blieb er starr und unbeweglich stehen,
indem er seine Augen bald auf die Schläuche bald auf Morgiane richtete, und
zwar ohne ein Wort zu reden, so groß war sein Erstaunen. Endlich bekam er
gleichsam die Sprache wieder und fragte: „Was ist denn nun aber aus dem
Kaufmann geworden?“

„Der Kaufmann,“ erwiderte Morgiane, „ist
ebenso wenig ein Kaufmann, als ich es bin. Ich werde euch erzählen, wer er ist,
und was aus ihm geworden. Doch ihr werdet die ganze Geschichte bequemer auf
eurem Zimmer hören, denn es ist nach gerade Zeit, dass ihr jetzt nach dem Bad
um eurer Gesundheit willen eine gute Fleischbrühe zu euch nehmt.“

Während Ali Baba sich in sein Zimmer begab, holte
Morgiane die Fleischbrühe aus der Küche, und reichte sie ihm. Doch Ali Baba
sagte, bevor er sie zu sich nahm:

„Fange nur immer an, meine Ungeduld zu befriedigen,
und erzähle mir eine so seltsame Geschichte mit allen einzelnen
Umständen.“

Morgiane fing daher, um Ali Baba zu gehorchen,
folgendermaßen an:

„Herr, gestern Abend, als ihr bereits zu Bett
gegangen wart, setzte ich, wie ihr mir befohlen, eure Badewäsche in Stand und
übergab sie an Abdallah. Hierauf setzte ich den Topf mit Fleischbrühe ans
Feuer, und während ich diese schäumte, erlosch plötzlich aus Mangel an öl
die Lampe. Ich fand auch nicht einen Tropfen mehr im Krug. Ich suchte daher
einige Enden Licht, fand aber auch kein einziges. Abdallah, der meine
Verlegenheit bemerkte, erinnerte mich an die ölschläuche im Hof, wofür er sie
nämlich hielt, wie denn auch ich und ihr selber dies geglaubt habt. Ich nahm
also den ölkrug und lief zu dem nächsten Schlauch. Doch als ich nahe daran
war, kam eine Stimme aus demselben, die mich fragte: „Ist es Zeit?“
Ich erschrak nicht, sondern merkte auf der Stelle die Bosheit des angeblichen
Kaufmanns, und antwortete ohne zu zögern: „Noch nicht, aber bald!“
Ich trat zum folgenden Schlauch, und eine andere Stimme tat an mich dieselbe
Frage, und ich gab dieselbe Antwort. So ging ich denn von einem Schlauch zum
andern, immer dieselbe Frage, und ich gab dieselbe Antwort. So ging ich denn von
einem Schlauch zum andern, immer dieselbe Frage und dieselbe Antwort, und erst
im letzten Schlauch fand ich öl, womit ich meinen Krug anfüllte. Als ich nun
überlegte, dass sich mitten in eurem Hof 37 Räuber befanden, die bloß auf das
Zeichen oder den Befehl ihres Anführers warteten, – den ihr für einen Kaufmann
gehalten, und so gut aufgenommen – und die im Begriff waren, das ganze Haus
anzuzünden, so verlor ich keine Zeit, sondern trug den Krug zurück, zündete
die Lampe an, und nahm den größten Küchenkessel und füllte ihn mit öl an.
Diesen setzte ich dann über das Feuer, und als er im sieden war, so goss ich in
jeden Schlauch, worin ein Räuber steckte, so viel als hinlänglich war, um sie
zu hindern, den verderblichen Plan auszuführen, um dessentwillen sie gekommen
waren. Nachdem nun die Sache ein solches Ende genommen, wie ich mir es
ausgedacht hatte, kehrte ich in die Küche zurück, löschte die Lampe aus, und
bevor ich zu Bett ging, fing ich an, durchs Fenster ganz ruhig zu beobachten,
welchen Entschluss der vermeintliche ölhändler nehmen würde. Nach einer Weile
hörte ich, dass er zum Zeichen kleine Steine aus dem Fenster warf, welche auf
die Schläuche herab fielen. Er warf dergleichen zum zweiten und dritten Mal, und
da er nichts sich regen und bewegen hörte, kam er herunter, und ich sah ihn von
einem Schlauch zum anderen gehen, worauf ich ihn aber wegen der Dunkelheit der
Nacht aus dem Gesicht verlor. Ich gab noch einige Zeit Acht und da ich ihn nicht
wieder zurückkommen sah, so zweifelte ich nicht, dass er aus Verzweiflung über
das Misslingen durch den Garten entflohen sei. In der überzeugung, dass das
Haus nunmehr ganz sicher sei, legte ich mich zu Bett.“

„Dies ist nun,“ fügte Morgiane am Schluss
hinzu, „die Geschichte um die ihr mich befragt habt, und ich bin
überzeugt, dass dies alles die Folge einer Beobachtung ist, die ich vor zwei
oder drei Tagen gemacht habe, und die ich euch nicht erst mitteilen zu dürfen
glaubte. Als ich das eine Mal sehr früh von einem Gange in die Stadt
zurückkam, bemerkte ich, dass die Tür nach der Straße weiß bezeichnet war,
und den Tag darauf bemerkte ich ein rotes Zeichen. Ohne zu wissen, zu welchem
Zweck dies geschehen sei, bezeichnete ich jedes Mal zwei bis drei Haustüren
unserer Nachbarn, sowohl vor als hinter uns in der Reihe, eben so und an
derselben Stelle. Wenn ihr nun dies mit dem, was geschehen, zusammenhaltet, so
werdet ihr finden, dass dies alles durch jene Räuber im Wald angezettelt worden
ist, deren Zahl indessen – ohne dass ich begreifen kann, wie – um zwei
verringert worden ist. Wie dem aber auch sein mag, so sind ihrer höchstens nur
noch drei davon übrig. übrigens beweist dies alles, dass sie euch den
Untergang geschworen hatten, und dass es gut wäre, wenn ihr euch so lange, als
nur noch einer derselben am Leben ist, in Acht nehmt. Was mich betrifft, so
werde ich nichts unterlassen, um meiner Pflicht gemäß für die Erhaltung eures
Lebens zu wachen.“

Als Morgiane ausgeredet hatte, sagte Ali Baba,
durchdrungen von der höchsten Dankbarkeit gegen sie:

„Ich will nicht eher sterben, als bis ich dich nach
Verdienst belohnt habe. Ich verdanke dir das Leben, und um dir gleich vorläufig
ein Zeichen meiner Erkenntlichkeit zu geben, so schenke ich dir von nun an die
Freiheit, bis ich das, was ich mir vorgenommen, werde ausführen können.
übrigens bin ich wie du der überzeugung, dass die vierzig Räuber mir diese
Falle gelegt haben. Gott hat mich durch deine Hand von ihnen befreit, und ich
hoffe, dass er auch fernerhin mich vor ihrer Bosheit bewahren, sie vollends von
meinem Haupt abwenden, und die Welt von ihrem Nachstellungen und von dieser
verruchten Brut befreien wird. Was wir jetzt zu tun haben, ist, die Leichen
dieser Pest des menschlichen Geschlechts unverzüglich und so insgeheim zu
beerdigen, dass niemand von ihrem Schicksal das mindeste ahnen kann, und daran
will ich denn jetzt mit Abdallah arbeiten.“