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381. Nacht

Als die Bande sich im Wald wieder versammelt hatte, setzte
ihnen der Hauptmann die Gründe auseinander, um derentwillen er sie hatte wieder
zurückkehren lassen. Sogleich wurde der Führer des Todes schuldig erklärt,
und zwar einstimmig. Er selber erklärte sich für schuldig, indem er
anerkannte, dass er hätte bessere Vorsichtsmaßregeln nehmen sollen, und somit
reichte er gefasst demjenigen seinen Hals dar, der ihm den Kopf vom Rumpf
trennen sollte.

Da um der Erhaltung der ganzen Bande willen sehr viel
daran lag, dass der Streich, welcher ihr soeben gespielt worden war, nicht
ungerächt bliebe, so trat ein anderer Räuber auf, welcher versprach, dass es
ihm besser gelingen würde als dem vorigen, und sich die übertragung dieses
Geschäfts als einen Vorzug ausbat. Die Sache wird genehmigt. Er macht sich nun
auf, besticht den Baba Mustafa, so wie es der erste getan, und Baba Mustafa
führt ihn mit verbundenen Augen wiederum vor Ali Babas Haus. Er bezeichnet
sofort dasselbe an einer minder bemerkbaren Stelle mit rot, in der Meinung, er
werde es dadurch um so sicherer von den weiß bezeichneten unterscheiden
können.

Doch bald darauf trat Morgiane aus dem Haus, ganz so wie
den vorigen Tag, und bei ihrer Wiederkehr entging das rote Merkzeichen ihren
scharf sehenden Augen nicht. Sie stellte dieselben Betrachtungen an, wie früher,
und unterließ nicht, dasselbe Zeichen mit Rötel an die benachbarten Türen und
zwar an dieselbe Stelle hin zu machen.

Der Räuber unterließ nicht, bei seiner Rückkehr in den
Wald seine genommene Maßregel vor der ganzen Bande als eine untrügliche
auszugeben, so dass man das bezeichnete Haus jetzt gar nicht mehr verfehlen
könne. Der Hauptmann und seine Leute glaubten mit ihm, dass die Sache nun
durchaus gelingen müsse. Sie begaben sich daher in derselben Ordnung und mit
derselben Sorgfalt wie früher, auch ganz ebenso bewaffnet, in die Stadt, um den
Streich, den sie vorhatten, auszuführen, und der Hauptmann nebst dem Räuber
ging gleich bei seiner Ankunft in die Straße Ali Babas, fand aber dieselbe
Schwierigkeit wie das erste Mal. Der Hauptmann wurde darüber erzürnt und er
Räuber geriet in dieselbe Bestürzung wie derjenige, welcher zuvor denselben
Auftrag gehabt.

So war denn der Hauptmann gezwungen, sich noch denselben
Tag mit seinen Leuten zurückzuziehen, und zwar ebenso wenig befriedigt als den
vorigen Tag. Der Räuber unterzog sich, als Urheber dieses Missgriffs, auf
gleiche Weise der Strafe, welcher er sich freiwillig unterworfen hatte.

Der Hauptmann, welcher seine Bande um zwei brave Leute
vermindert sah, fürchtete eine noch größere Verminderung, wenn er fortführe,
bei Erkundigung nach Ali Babas Haus sich auf andere zu verlassen. Ihr Beispiel
belehrte ihn, dass sie mehr zu kühnen Gewaltstreichen geeignet wären, als zu
solchen Dingen, wo Kopf nötig sei. Er übernahm daher die Sache selber, ging
nach der Stadt, und geleitet von Baba Mustafa, der ihm denselben Dienst
leistete, wie den beiden vorigen Abgeordneten seiner Bande, gab er sich nicht
erst damit ab, irgend ein Merkzeichen an Ali Babas Haus zu machen, sondern er
besichtigte es genau, indem er es nicht bloß aufmerksam betrachtete, sondern
auch verschiedene Male vorüber ging, dass er es durchaus nicht mehr verfehlen
konnte.

Der Räuberhauptmann kehrte nun, zufrieden mit seiner
Reise und von allem, was er nur wünschte, unterrichtet, nach dem Wald zurück,
und als er nun in die Felsenhöhle, wo die Räubertruppe ihn erwartete,
eingetreten war, sprach er zu ihnen: „Kameraden, jetzt kann uns nichts mehr
hindern, volle Rache für den Schaden zu nehmen, der uns zugefügt worden ist.
Denn ich kenne nun mit Gewissheit das Haus des Strafbaren, auf den die Rache
fallen muss. Unterwegs habe ich auf Mittel und Wege gedacht, dieselbe so
geschickt zu vollziehen, dass niemand von unserm Zufluchtsort, noch weniger von
unserem Schatz Kunde erhält. Denn dies ist das Ziel, was wir bei unserer
Unternehmung im Auge behalten müssen, sonst könnte sie, anstatt zu nützen,
sehr verderblich werden. Um dieses Ziel zu erreichen,“ fuhr der Hauptmann
fort, „habe ich mir folgendes ausgesonnen. Wenn ich es euch werde
auseinandergesetzt haben, und irgend einem von euch fällt ein noch besseres
Auskunftsmittel ein, so mag er es uns mitteilen.“

Nun erklärte er ihnen, wie er sich dabei zu benehmen
gedenke, und als sie ihm alle ihren Beifall zu erkennen gegeben hatten, trug er
ihnen auf, sich in die umliegenden Dörfer, Flecken und Städte zu zerteilen,
neunzehn Maulesel zu kaufen, und achtunddreißig große Lederschläuche, um öl
darin fortzuschaffen, und zwar den einen voll, die andern aber leer.

Binnen zwei bis drei Tagen hatten die Räuber alles
beisammen. Da die leeren Schläuche an der Mündung für seinen Zweck etwas zu
eng waren, so ließ der Hauptmann sie ein wenig weiter machen, und nachdem er in
jeden Schlauch einen seiner Leute mit den nötigen Waffen hatte hineinkriechen
lassen, und um des freien Atemholens willen bloß einen aufgetrennten Ritz offen
gelassen hatte, verschloss er sie so, dass es aussah, als wäre öl darinnen,
und um die Täuschung noch größer zu machen, befeuchtete er sie auswendig mit
öl, welches er aus dem vollen Schlauch nahm.

Nachdem die Sachen alle angeordnet und die
siebenunddreißig Räuber, jeder in einem Schlauch steckend, nebst dem vollen
ölschlauch auf die Maulesel geladen worden waren, nahm der Hauptmann, als
Führer derselben, um die festgesetzte Stunde seinen Weg nach der Stadt und kam
in der Abenddämmerung, etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang, wie er sich es
vorgenommen hatte, dort an. Kaum war er angelangt, so ging er gerades Weges nach
dem Hause Ali Babas, in der Absicht, da anzuklopfen und sich da von der
Gefälligkeit des Hausherrn ein Nachtlager für sich und seine Maulesel
auszubitten. Er durfte nicht erst anklopfen, sondern fand Ali Baba schon an der
Tür, der nach dem Abendessen die Abendkühlung genoss. Er ließ sogleich seine
Maulesel halten, wendete sich an Ali Baba, und sagte zu ihm: „Herr, ich
bringe das öl, welches ihr hier seht, sehr weit her, um es morgen auf dem Markt
zu verkaufen, und weiß bei dieser späten Abendstunde nicht wo ich ein
Unterkommen finden soll. Wenn es euch nicht etwa unbequem ist, so erzeigt mir
die Gefälligkeit, mich für diese Nacht in eurem Hause aufzunehmen. Ich werde
auch dafür vielen Dank wissen.“

Obwohl Ali Baba den Mann, der jetzt mit ihm sprach,
bereits im Wald gesehen und sogar reden gehört hatte, so konnte er ihn doch
unter dieser Verkleidung eines ölhändlers unmöglich als den Hauptmann jener
vierzig Räuber wieder erkennen.

„Seid schön willkommen,“ sagte er zu ihm,
„tretet herein.“ Und mit diesen Worten machte er ihm Platz, dass er
mit seinen Mauleseln hineingehen könne. Zugleich rief Ali Baba seinem Sklaven
und befahl ihm, sobald die Maulesel abgepackt sein würden, sie nicht bloß
unter Dach und Fach zu bringen, sondern ihnen auch noch Heu und Gerste zu
reichen. Auch nahm er sich die Mühe, selbst in die Küche zu gehen und Morgiane
zu befehlen, sie möge nur schnell für den neu angekommenen Gast ein gutes
Abendbrot bereiten und in einem Zimmer ein Bett für ihn aufschlagen.

Ali Baba tat noch mehr, um seinen Gast aufs beste
aufzunehmen. Als er nämlich sah, dass der Räuberhauptmann seine Maulesel
abgepackt habe, dass diese ferner, wie er es befohlen, in den Stall geführt
worden seien, und dass er einen Ort suche, um die Nacht unter freiem Himmel
zuzubringen, so ging er hin und fasste ihn bei der Hand, um ihn in den Saal
herein zu führen, in welchem er seine Besuche zu empfangen pflegte, indem er
ihm sagte, dass er es nicht zugeben würde, dass er im Hof übernachte. Der
Räuberhauptmann machte indessen die größten Entschuldigungen, dem Vorgeben
nach, weil er nicht gern zur Last fallen wollte, in der Tat aber um in
Ausführung dessen, was er im Schilde führte, freieres Spiel zu haben, und gab
erst auf die inständigsten Bitten dem höflichen Andringen Ali Babas nach.

Ali Baba begnügte sich nicht, dem, der ihm nach dem Leben
trachtete, so lange Gesellschaft zu leisten, bis Morgiane ihm das Abendessen
auftrug, sondern unterhielt sich auch noch fortwährend mit ihm über allerlei
Dinge, von denen er glaubte, dass sie ihm Vergnügen machen könnten, und
verließ ihn nicht eher, als bis er die Mahlzeit, womit er ihn bewirtete,
verzehrt hatte.

„Ich überlasse dir nun die freie Wahl,“ fuhr er
fort, „du darfst alles das, was du etwa verlangst, bloß sagen, in meinem
ganzen Hause steht alles dir zu Diensten.“