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38. Nacht

Dinarsade, die eben so neugierig war, als der
Sultan, zu vernehmen, was die Ankunft des Kalifen bei den Frauen für Folgen
haben würde, vergaß nicht. Scheherasade aufzufordern, mit Erlaubnis des
Sultans die Geschichte der Kalender weiter zu erzählen.

„Der Kalif, sein Großwesir, und das
Oberhaupt seiner Verschnittenen,“ erzählte die Sultanin, „als sie von
der schönen Safie eingeführt wurden, grüßten die Frauen und die Kalender mit
großer Höflichkeit. Die Frauen empfingen ebenso die vermeintlichen Kaufleute;
und Sobeïde, als die vornehmste, sagte zu ihnen mit ernstem und würdigen
Anstande: „Seid willkommen; aber vor allen Dingen, nehmet es nicht übel, dass
wir euch um eine Gefälligkeit bitten.“ – „Und welche Gefälligkeit,
gnädige Frau?“ antwortete der Wesir. „Kann man so schönen Frauen
irgend etwas versagen?“ – „sie besteht darin,“ fuhr Sobeïde
fort, „nur Augen und keine Zunge zu haben; was ihr auch immer hier sehn
möget, keine Fragen an uns zu tun, um den Grund davon zu erfahren; und nicht
von Dingen zu reden, die euch nichts angehen, damit ihr nicht höret, was euch
nicht angenehm sein würde.“ – „Wir werden euch gehorchen, gnädige
Frau,“ antwortete der Wesir. „Wir sind weder Sittenrichter, noch
fürwitzige Neugierige; wir haben genug auf das zu achten, was uns angeht, ohne
uns in das zu mischen, das uns nichts angeht.“

Nach diesen Worten setzten sich alle, die
Unterhaltung knüpfte sich an, und man begann von neuem zu Ehren der
Neuangekommenen zu trinken.

Während der Wesir Giafar die Frauen
unterhielt, konnte der Kalif nicht aufhören, ihre außerordentliche Schönheit,
ihren außerordentlichen Anstand, ihre heitere Laune und ihren Geist zu
bewundern. Auf der andern Seite erschien ihm nichts auffallender, als die
Kalender, die alle drei auf dem rechten Auge blind waren. Er hätte sich gern
nach dieser Sonderbarkeit erkundigt; aber die Bedingung, welche man ihm und
seinen Gefährten auferlegt hatte, hinderte ihn, darnach zu fragen. Wenn er
dabei den Reichtum des Hausgeräts, die Einrichtung und Nettigkeit dieses Hauses
betrachtete, so konnte er sich nicht überreden, dass keine Zauberei dabei im
Spiele sein sollte.

Als die Unterhaltung auf die Vergnügen und
die verschiedenen Arten sich zu ergötzen gefallen war, standen die Kalender
auf, und tanzten auf ihre Weise einen Tanz, der die gute Meinung noch vermehrte,
welche sie schon von ihnen hegten, und ihnen die Achtung des Kalifen und seiner
Gefährten erwarb.

Als die drei Kalender ihren Tanz vollendet
hatten, erhob sich Sobeïde, fasste Aminen bei der Hand, und sagte zu ihr:
„Meine Schwester, steh auf; die Gesellschaft wird es nicht übel deuten, dass
wir uns keinen Zwang auferlegen, und ihre Gegenwart soll uns nicht hindern, das
zu tun, was wir gewohnt sind, zu tun.“

Amine, die wohl verstand, was ihre Schwester
meinte, stand auf, und räumte die Schüsseln, den Tisch, die Flaschen, die
Schalen, und die Instrumente, auf welchen die Kalender gespielt hatten, bei
Seite.

Safie blieb auch nicht müßig, sie kehrte
den Saal, stellte alles Verschobene an seinen Ort, putzte die Wachskerzen, und tat
von neuem Aloeholz und grauen Ambra daran.

Als dies geschehen war, bat sie die drei
Kalender, sich auf den Sofa an der Seite zu setzen, und den Kalifen und seinen
Gefährten, die andere Seite einzunehmen, zu dem Träger sagte sie: „Stehe
auf, und seid bereit, uns die Hand zu reichen bei demjenigen, was wir tun
wollen; ein Mensch wie ihr, der wie zum Hause gehört, darf nicht untätig
bleiben.“

Der Träger hatte seinen Rausch schon ein
wenig ausgeschlafen; er stand hurtig auf, und nachdem er seinen Rock mit dem
Gürtel geschürzt hatte, sagte er: „da bin ich, was gibt es zu tun?“
– „So ist’s gut,“ antwortete Safie, „wartet bis man euch ruft:
ihr sollt nicht lange mit gekreuzten Armen da stehen.“

Bald darauf erschien Amine mit einem Stuhle,
welchen sie mitten in den Saal stellte. Sie ging alsdann zu der Türe eines
Seitengemaches, öffnete sie, und winkte dem Träger sich zu nähern:
„Kommet,“ sagte sie zu ihm, „und helfet mir.“ Er gehorchte,
trat mit ihr hinein und kam bald wieder heraus, mit zwei schwarzen Hündinnen,
deren jede ein Halsband an einer Kette trug, woran er sie festhielt, und die von
Peitschenhieben sehr misshandelt schienen. Er schritt mit ihnen bis in die Mitte
des Saales.

Sobeïde, die sich zwischen den Kalendern und
dem Kalifen niedergesetzt hatte, stand nun auf, und trat ernsthaft bis zu dem
Träger hin: „Auf!“ sagte sie, indem sie einen tiefen Seufzer
ausstieß, „lasst uns unsere Pflicht tun.“ Sie streifte siech die ärmel
bis zum Ellenbogen auf, und nachdem sie die Geißel, die Safie ihr reichte,
genommen hatte, sagte sie: „Träger, übergebt eine dieser beiden
Hündinnen meiner Schwester Amine, und bringet mir die andere her.“

Der Träger tat, was man ihm befahl; und als
er sich Sobeïde nahte, so fing die Hündin, welche er führte, an zu heulen,
und drehte sich nach Sobeïde, indem sie auf flehende Weise den Kopf emporhob.
Aber Sobeïde, ohne Rücksicht auf die traurige und Mitleid erregende Gebärde
der Hündin, noch auf ihr Geheul, welches das ganze Haus erfüllte, peitschte
sie mit der Geißel, bis ihr der Atem versagte; und als sie keine Kraft mehr
hatte, sie zu peitschen, warf sie die Geißel auf den Boden; darauf nahm sie dem
Träger die Kette aus der Hand, hub die Hündin bei den Vorderpfoten empor, und
indem beide auf traurige und rührende Weise sich anblickten, weinten sie, eins
wie das andere. Endlich zog Sobeïde ihr Schnupftuch hervor, trocknete der
Hündin die Tränen ab, und küsste sie; und indem sie sie wieder dem Träger
übergab, sagte sie: „Gehet und führet sie wieder hin, wo ihr sie hergeholt
habt, und bringet mir die andere.“

Der Träger führte die gepeitschte Hündin
in das Gemach zurück, nahm die andere aus Amines Händen, und brachte sie zu
Sobeïde, die sie erwartete: „Haltet sie, wie die vorige,“ sagte sie
zu ihm. Dann nahm sie die Geißel wieder auf, und misshandelte diese Hündin auf
dieselbe Weise. Darnach weinte sie mit ihr, und trocknete ihre Tränen, küsste
sie, und übergab sie wieder dem Träger; welchem die schöne Amine die Mühe
ersparte, sie in die Kammer zurückzuführen; denn sie tat es selber.

Unterdessen waren die drei Kalender, der Kalif
und seine Gefährten außerordentlich erstaunt über dieses Strafgericht. Sie
konnten nicht begreifen, wie Sobeïde, nachdem sie die beiden Hündinnen, diese
(nach dem Glauben der Muselmänner) unreinen Tiere mit solcher Anstrengung
gepeitscht hatte, hierauf mit ihnen weinen, ihnen die Tränen abtrocknen und sie
küssen konnte. Sie murmelten darüber bei sich selber. Der Kalif vor allen,
ungeduldiger als die übrigen, starb fast vor Neugier, den Grund einer so
auffallenden Handlung zu wissen, und hörte nicht auf, dem Wesir zu winken, dass
er sich darnach erkundigen sollte. Aber der Wesir drehte den Kopf nach der
andern Seite, bis er auf die so oft wiederholten Zeichen durch andere Zeichen
antwortete, dass es jetzo nicht Zeit wäre, seine Neugier zu befriedigen.

Sobeïde blieb einige Zeit auf derselben
Stelle in der Mitte des Saales, als wenn sie sich von der Anstrengung erholen
wollte, welche sie bei der Geißelung der Hündinnen gemacht hatte. „Meine
liebe Schwester,“ sprach Afie zu ihr, „wollt ihr nicht auf euern Platz
zurückkehren, damit ich nun auch meine Rolle spiele?“

„Ja,“ antwortete Sobeïde; und
indem sie dies sagte, ging sie hin, und setzte sich wieder auf den Sofa, wo sie
zur Rechten den Kalifen, Giafar und Mesrur hatte, zur Linken die drei Kalender
und den Träger …

„Herr!“ sprach Scheherasade bei
dieser Stelle, „was Euer Majestät bisher gehört hat, muss ihr schon
wunderbar vorkommen: aber das übrige der Erzählung ist es wohl noch weit mehr;
ich bin überzeugt, dass ihr die nächste Nacht dieses selber gestehen werdet,
wenn ihr mir zu erlauben geruhet, euch diese Geschichte zu Ende zu
erzählen.“

Der Sultan willigte drein, und stand auf,
weil es Tag war.