Project Description

378. Nacht

Den folgenden Tag kommt Morgiane wieder zu demselben
Apotheker, und fordert mit Tränen in den Augen eine Essenz, die man Kranken nur
in der äußersten Lebensgefahr einzugeben pflegt.

„Ach,“ sagt sie voll tiefer Betrübnis, als sie
dieselbe aus den Händen des Apothekers empfängt, „ich fürchte sehr, dass
dies Mittel ebenso wenig anschlagen wird, als die Arzneitäfelchen! Ach, was
für einen guten Herrn verliere ich!“

Als man nun auch noch von der andern Seite den Ali Baba
und seine Frau den ganzen Tag mit betrübtem Gesicht zu Kassims Haus hin und her
laufen sah, so wunderte man sich umso weniger, als man des Abends das
Jammergeschrei von Kassims Frau und besonders das von Morgiane hörte, welches
verkündigte, dass Kassim gestorben sei.

Den nächsten Tag sehr früh, als kaum der Morgen
angebrochen, ging Morgiane, welche wusste, dass auf dem Platz da ein alter
ehrlicher Schuhflicker zu finden sei, der alle Morgen seinen Laden zuerst und
lange vor den andern öffnete, aus dem Haus und suchte ihn auf. Bei dem ersten
Gruß und der ersten Anrede drückte sie ihm ein Goldstück in die Hand.

Der Schuhflicker, der in der ganzen Stadt unter dem Namen
Baba Mustafa bekannt war, und der zugleich von sehr fröhlicher Gemütsart und
voll lustiger Einfälle war, sah das Stück an und da er bemerkte, es sei Gold,
so sagte er: „Ein schönes Handgeld! Was steht zu Befehl? Ich bin bereit,
alles zu tun.“

„Baba Mustafa,“ sagte Morgiane zu ihm,
„nehmt alles Handwerkzeug, das zum Flicken nötig ist, mit euch und kommt
eilig mit mir. Doch unter der Bedingung, dass ich euch, wenn wir an dem und dem
Ort sein werden, die Augen verbinden darf.“

Bei diesen Worten stellte sich Baba Mustafa etwas
schwierig.

„Ach,“ erwiderte Morgiane, indem sie ihm ein
zweites Goldstück in die Hand drückte, „ich fordere nichts von euch, was
ihr nicht in allen Ehren tun könntet. Kommt nur, und fürchtet nichts.“

Baba Mustafa ließ sich führen, und Morgiane, nachdem sie
ihm an der bezeichneten Stelle ein Schnupftuch vor die Augen gebunden, führte
ihn in das Haus ihres verstorbenen Herrn und nahm ihm das Schnupftuch erst in
dem Zimmer ab, wo sie die Leiche aus den vier Stücken zusammengesetzt hatte.
Als sie ihm das Schnupftuch abgenommen, sagte sie zu ihm: „Baba Mustafa,
ich habe euch hierher geführt, damit ihr diese vier Stücke hier aneinander
nähen sollt. Verliert keine Zeit, und wenn ihr fertig seid, so werde ich euch
noch ein Goldstück geben.“

Als Baba Mustafa fertig war, verband ihm Morgiane in
demselben Zimmer wieder die Augen, und nachdem sie ihm das dritte Goldstück,
dass sie ihm versprochen, gegeben und ihm Verschwiegenheit anempfohlen hatte,
führte sie ihn bis zu dem Ort zurück, wo sie ihm beim Herführen die Augen
verbunden hatte, und von da ließ sie ihn, nachdem sie ihm das Schnupftuch
wieder abgenommen, nach Hause zurückkehren, indem sie, so weit sie nur konnte,
ihn mit den Augen verfolgte, um ihm die Neugierde zu vertreiben, dass er nicht
etwa hinter ihr herkommen und sie selber beobachten möchte.

Morgiane hatte heißes Wasser bereiten lassen, um Kassims
Leiche zu waschen. So konnte denn Ali Baba, der soeben herein trat, ihn waschen,
mit Weihrauch durchräuchern und mit den gewöhnlichen Zeremonien ins
Leichengewand hüllen. Zugleich brachte der Tischler den Sarg, den Ali Baba
bereits bestellt hatte.

Damit der Tischler nichts merken möchte, nahm Morgiane
den Sarg an der Tür in Empfang, und nachdem sie ihn bezahlt und weggeschickt
hatte, legte sie mit Ali Babas Beihilfe die Leiche hinein. Sobald Ali Baba den
Deckel darauf genagelt hatte, ging sie nach der Moschee und meldete, dass alles
zur Beerdigung bereit sei. Die Leute der Moschee, die zum Waschen der Leichen
bestimmt sind, boten ihre Dienste zu diesem Geschäft an, doch sie sagte ihnen,
dass es schon geschehen sei.

Als Morgiane kaum zurück war, kam auch schon der Imam mit
den übrigen Dienern der Moschee. Vier Nachbarn nahmen den Sarg auf ihre
Schultern, und trugen ihn, hinter dem vorangehenden Imam, welcher fortwährend
Gebete hersagte, dem Begräbnisplatz zu. Morgiane, als die Sklavin des
Verstorbenen, folgte unter Tränen und mit entblößtem Haupt, während sie ein
klägliches Geschrei erhob, sich heftig an die Brust schlug und sich die Haare
ausraufte. Hinter ihr ging Ali Baba, begleitet von den Nachbarn, welche von Zeit
zu Zeit und nach der Reihe die andern Nachbarn, welche den Sarg trugen,
ablösten, bis man allmählich den Begräbnisplatz erreicht hatte.

Was Kassims Frau betrifft, so war diese zu Hause
geblieben, um ihrer Betrübnis nachzuhängen und laut zu jammern, im Verein mit
den Frauen der Nachbarschaft, die der bestehenden Sitte zufolge während der
Begräbnisfeierlichkeit herbeigeeilt waren, um ihre Wehklagen, mit denen der
Witwe vereinigend, das ganze Stadtviertel weit umher mit Trauer erfüllten.

Auf diese Art wurde Kassims trauriges Ende von Ali Baba,
dessen Frau, Kassims Witwe und Morgiane verhehlt und verheimlicht, und zwar mit
einer solchen Behutsamkeit, dass kein Mensch in der Stadt darüber etwas
argwöhnte, geschweige denn etwas erfuhr.

Drei oder vier Tage nach der Beerdigung Kassims schaffte
Ali Baba das wenige Gerät, das er besaß, nebst dem Geld, das er aus der
Schatzhöhle der Räuber genommen, bei Nacht in das Haus der Witwe seines
Bruders, um fortan da zu wohnen, wodurch er zugleich seine Verheiratung mit
seiner Schwägerin zur öffentlichen Kunde brachte. Da diese Art von Heiraten in
unserer Religion nicht ungewöhnlich sind, so wundert sich auch niemand weiter
darüber.

Was den Laden Kassims betrifft, so hatte Ali Baba einen
Sohn, der seit einiger Zeit seine Lehrjahre bei einem andern großen Kaufmann
vollendet hatte, der ihm stets das beste Zeugnis wegen seiner Aufführung
gegeben, diesem übergab er nun den Laden mit dem Versprechen, dass, wenn er
sich fortwährend gut aufführte, er ihn mit der Zeit seinem Stand gemäß
vorteilhaft verheiraten würde.