Project Description

375. Nacht

Ali Baba hatte erwartet, einen dunkeln und finstern Ort zu
erblicken, aber wie erstaunte er, als er einen sehr hellen, weiten und
geräumigen Raum erblickte. Dieses war von Menschenhänden in Form eines hohen
Gewölbes ausgehöhlt worden, das oben vom Felsen herab durch eine angebrachte
öffnung sein Licht empfing. Er sah da große Mundvorräte, Ballen von reichen
Kaufmannswaren in Haufen getürmt, Stoffe von Seide und Brokat, Tapeten von
großem Wert, und besonders viele Gold- und Silbermünzen, die teils in Haufen
aufgeschüttet, teils in ledernen Säcken oder Beuteln übereinander lagen. Beim
Anblick aller dieser Dinge kam es ihm vor, als ob diese Felsenhöhle nicht bloß
seit Jahren, sondern seit Jahrhunderten schon Räubern zum Zufluchtsort gedient
haben müsse.

Ali Baba schwankte nicht, welcher Entschluss hier zu
fassen sei. Er trat in die Höhle, und kaum war er hinein, so schloss sie sich
wieder. Doch beunruhigte ihn das nicht. Er wusste ja das Geheimnis, sie wieder
zu öffnen. Er machte sich hier nicht an das Silbergeld, sondern an das
gemünzte Gold, und besonders an das, welches in Säcken war. Von diesem nahm er
zu wiederholten Malen so viel, als er wegtragen konnte, und als hinreichend war,
um seien drei Esel, welche sich unterdessen zerstreut hatten, zu beladen. Als er
sie wieder an den Felsen zusammen getrieben hatte, bepackte er sie mit den
Säcken, und um diese etwas zu verstecken, belegte er sie oben mit Holz, so dass
niemand etwas davon gewahr werden konnte. Als er fertig war, stellte er sich vor
die Tür, und kaum hatte er die Worte: „Sesam, schließe dich!“,
ausgesprochen, als sie sich auch wieder schloss. Sie hatte sich nämlich jedes
Mal, wenn er hineingegangen war, von selber geschlossen, und war jedes Mal, wenn
er herausgegangen war, offen geblieben.

Sobald diese geschehen war, nahm Ali Baba seinen Weg nach
der Stadt zurück. Als er bei seiner Behausung anlangte, ließ er seine drei
Esel in einen kleinen Hof treten und schloss die Tür hinter sich sorgfältig
zu. Dann ladete er das wenige Holz, das seinen Schatz bedeckte, ab, und trug die
Säcke in sein Haus, die er vor seiner Frau, die auf dem Sofa saß, hinlegte,
und in Ordnung setzte.

Seine Frau nahm die Säcke in die Hand, und da sie
fühlte, dass sie voll Geld wären, argwöhnte sie, ihr Mann habe sie gestohlen,
so dass, als er sie alle herein getragen hatte, sie sich nicht enthalten konnte,
zu ihm zu sagen:

„Ali Baba, solltest du so elend gewesen sein, diese
Säcke zu…“ Ali Baba unterbrach sie mit den Worten: „Ruhig, liebe
Frau, mache dir keine Sorge darum. Ich bin kein Dieb, es müsste denn etwa
Diebstahl heißen, wenn man Räubern etwas nimmt. Du wirst aufhören, diese
schlimme Meinung von mir zu hegen, wenn ich dir mein Glück erzählt haben
werde.“

Er schüttelte die Säcke aus, so dass daraus ein großer
Haufen Gold wurde, wovon seine Frau ganz geblendet wurde. Hierauf erzählte er
ihr sein Abenteuer von Anfang bis zu Ende, und zuletzt befahl er ihr vor allen
Dingen, die Sache als ein Geheimnis zu behandeln.

Als die Frau von ihrem Erstaunen sich etwas erholt hatte,
freute sie sich mit ihrem Mann über das Glück, das ihnen zu Teil geworden. Sie
wollte dann gleich das ganze Gold, das vor ihr aufgeschüttet war, Stück für
Stück zählen.

„Liebe Frau,“ sagte Ali Baba zu ihr, „du
bist nicht recht klug. Was nimmst du dir da vor? Wann würdest du mit dem
Zählen fertig werden? Ich werde eine Grube machen, und es da hinein vergraben,
denn wir haben keine Zeit zu verlieren.“

„Es wäre doch gut,“ erwiderte die Frau,
„wenn wir wenigstens ungefähr wüssten, wie viel es ist. Ich werde gehen,
und mir in der Nachbarschaft ein kleines Maß borgen, und es damit messen,
während du die Grube höhlen wirst.“

„Liebe Frau,“ sagte darauf Ali Baba, „was
du da tun willst, nützt zu gar nichts, und wenn du mir folgen wolltest, so
würdest du es sein lassen. Indessen tue, was du Lust hast. Nur vergiss nicht,
die Sache zu verschwiegen zu halten.“

Um ihren Wunsch zu befriedigen, ging die Frau Ali Babas
fort und zu ihrem Schwager Kassim, der nicht fern wohnte. Kassim war nicht zu
Hause und sie wendete sich daher an dessen Frau mit der Bitte, ihr doch auf
einige Augenblicke ein Maß zu leihen. Die Schwägerin fragte sie, ob sie ein
großes oder ein kleines wollte, und Ali Babas Frau bat sich ein kleines aus.

„Sehr gern,“ sagte die Schwägerin, „wartet
nur ein wenig, ich werde es euch sogleich bringen.“

Die Schwägerin suchte das Maß und fand es. Da sie
indessen Ali Babas Armut kannte, so war sie neugierig zu wissen, was für
Getreide dessen Frau damit messen wollte, und ihr fiel ein, unten an das Maß
unvermerkt etwas Talg zu kleben. Darauf kehrte sie zurück, überreichte Ali
Babas Frau das Maß, und entschuldigte sich wegen ihres langen Wartenlassens
damit, dass sie es erst mühsam habe suchen müssen.

Ali Babas Frau kehrte nach Hause zurück, setzte das Maß
auf den Goldhaufen, füllte es an und schüttete es in einiger Entfernung davon
auf das Sofa, bis alles gemessen war. Sie war mit der ansehnlichen Anzahl der
Maße sehr zufrieden.

Während Ali Baba das Gold vergrub, trug seine Frau, um
ihrer Schwägerin ihre Ordnung und Pünktlichkeit zu zeigen, derselben das Maß
zurück, doch ohne darauf Acht zu haben, dass ein Goldstück unten daran klebte.

„Schwägerin,“ sagte sie zu ihr, indem sie ihr
es zurück gab, „ihr seht, dass ich euer Maß nicht allzu lange bei mir
behalten habe: Ich bin euch sehr dafür verbunden, hier habt ihr es
wieder.“

Ali Babas Frau hatte ihr kaum den Rücken gekehrt, als Kassims Frau das Maß
unten besah, und sie war nicht wenig erstaunt, als sie da ein Goldstück kleben
fand. Augenblick bemächtigte sich ihres Herzens der Neid gegen ihre Schwester.

„Wie?“, sagte sie. „Ali Baba hat so viel
Gold, um es messen zu können? Und wo hat dieser Elende das Gold denn her?“

Kassim, ihr Mann, war nicht zu Hause, wie wir schon gesagt
haben, sondern befand sich in seinem Laden, von woher er vor Abend nicht
zurückkehren sollte. Die Zeit bis zu seiner Heimkehr dünkte ihr eine Ewigkeit,
so groß war ihre Ungeduld, ihm eine Neuigkeit mitzuteilen, wovon er nicht
minder überrascht sein musste, als sie.