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374. Nacht

Geschichte
des Ali Baba und der vierzig Räuber

Die Sultanin Scheherasade, welche durch die Wachsamkeit
ihrer Schwester Dinarsade geweckt worden war, erzählte ihrem Gemahl, dem Sultan
von Indien, folgende Geschichte, worauf er sich schon Rechnung gemacht hatte:

„Mächtiger Sultan,“ begann sie, „in einer
Stadt Persiens an den Grenzen eures Reiches, lebten zwei Brüder, von denen der
eine Kassim und der andere Ali Baba hieß. Da ihr Vater ihnen nur wenig
Vermögen hinterlassen hatte, und sie es gleichmäßig unter sich verteilt
hatten, so sollte man denken, ihre äußere Lage hätte sich ziemlich gleich
sein müssen. Doch der Zufall wollte es anders.

Kassim heiratete eine Frau, die bald nach ihrer Hochzeit
Erbin eines sehr wohlversehenen Kaufladens, eines reich angefüllten
Warenlagers, und von liegenden Gründen wurde, die ihn auf einmal in Wohlstand
versetzten und ihn zu einem der reichsten Kaufleute in der Stadt machten.

Ali Baba dagegen, der eine ebenso arme Frau, als er selber
war, geheiratet hatte, wohnte sehr armselig, und hatte keinen andern Erwerb, um
sich seinen Lebensunterhalt zu verschaffen, und sich und die Seinigen zu
ernähren, als dass er in einen benachbarten Wald Holz fällen ging, und es auf
drei Eseln, die sein einziges Besitztum waren, nach der Stadt führte und
verkaufte.

Einst war Ali Baba ebenfalls wieder im Wald und hatte
ebenso viel Holz abgehauen, als zur Beladung seiner Esel hinlänglich war, als
er von ferne eine gewaltige Staubwolke aufsteigen sah, welche sich in gerader
Richtung dem Ort näherte, wo er sich soeben befand. Er gab genau darauf Acht,
und konnte bald eine zahlreiche Truppe von Reitern unterscheiden, die in der
besten Ordnung daher geritten kam.

Obwohl in der Gegen d nie von Räubern die Rede gewesen
war, so kam doch Ali Baba auf den Gedanken, dass diese Reiter dergleichen sein
könnten, und ohne daran zu denken, was aus seinen Eseln werden würde, dachte
er bloß auf Rettung seiner Person. Er stieg auf einen Baum, dessen äste in
geringer Höhe außerordentlich dicht belaubt waren, und setzte sich mitten auf
denselben mit umso größerer Zuversicht hin, da er von da aus alles sehen
konnte, ohne selber gesehen zu werden.

Die Reiter, welche sämtlich sehr groß, gewaltig, wohl
bekleidet und wohl bewaffnet waren, näherten sich dem Felsen, wo sie von den
Pferden stiegen, und Ali Baba, der ihrer vierzig zählte, konnte ihren Mienen
und ihrer Rüstung zufolge nicht mehr zweifeln, dass es wirklich Räuber waren.
Er täuschte sich auch nicht. Es waren wirklich Räuber, die, ohne der Umgegend
das mindeste zu Leide zu tun, ihre Räubereien in weiter Ferne trieben, und da
bloß ihre Zusammenkünfte hatten. Was er sie da tun sah, bestärkte ihn in
dieser Meinung.

Jeder Reiter zäumte sein Pferd ab, band es an, warf ihm
über den Kopf einen Sack voll Gerste, den er hinter sich auf dem Pferd gehabt
hatte, und packte das Felleisen ab. Die meisten dieser Felleisen schienen Ali
Baba so schwer zu sein, dass er schloss, sie müssten voll Gold und Silbergeld
sein.

Der stattlichste unter ihnen, den Ali Baba für den
Hauptmann der Räuber hielt, näherte sich mit seinem Felleisen beladen dem
Felsen, der sich dicht neben dem großen Baum befand, worauf Ali Baba sich
geflüchtet hatte, und nachdem er sich durch einige Sträucher den Weg gebahnt,
sprach er die Worte: Sesam, öffne dich! Und zwar so laut, dass Ali Baba es
hörte. Sobald der Räuberhauptmann sie ausgesprochen hatte, öffnete sich eine
Tür, und nachdem er alle seine Leute vor sich her hatte durch dieselbe
eintreten lassen, ging er ebenfalls hinein und die Pforte schloss sich.

Die Räuber bleiben lange Zeit in dem Felsen, und Ali
Baba, welcher fürchtete, dass einer von ihnen oder alle zusammen in dem
Augenblick, wo er seinen Platz verließe, um sich zu retten, herauskommen
könnten, war genötigt, auf dem Baum zu bleiben und geduldig zu warten.
Gleichwohl geriet er in Versuchung, herunter zu steigen, sich zweier Pferde zu
bemächtigen, eines zu bestiegen, das andere am Zügel neben sich her zu
führen, und die drei Esel vor sich her jagend, die Stadt zu erreichen. Allein
die Unsicherheit des Ausgangs dieses Unternehmens machte, dass er lieber das
Sicherste wählte.

Endlich öffnete sich die Tür wieder, die vierzig Räuber
traten heraus, und zwar der Hauptmann, der zuletzt hineingegangen, kam jetzt
zuerst heraus und ließ die übrigen an sich vorüber ziehen. Ali Baba hörte,
dass er die Worte sprach: Sesam, schließe dich! Worauf die Tür sich wieder
schloss. Jeder kehrte zu seinem Pferd zurück, zäumte es wieder, band sein
Felleisen wieder auf und schwang sich wieder hinauf. Als der Hauptmann endlich
sah, dass sie alle zum Fortreiten bereit waren, setzte er sich an ihre Spitze
und ritt mit ihnen denselben Weg wieder zurück, den sie gekommen waren.

Ali Baba stieg nicht sogleich vom Baum herunter. „Sie
könnten,“ sprach er bei sich selbst, „irgend etwas vergessen haben,
das sie wieder umzukehren nötigte, und ich würde, wenn dieser Fall einträte,
dann von ihnen ertappt werden.“ Er verfolgte sie mit den Augen, bis er sie
aus dem Gesicht verloren hatte, und stieg zur größeren Sicherheit erst lange
nachher herunter. Da er sich die Worte behalten hatte, wodurch der Hauptmann der
Räuber die Tür geöffnet und geschlossen hatte, so war er neugierig, zu
versuchen, ob wohl diese Worte, wenn er sie ausspräche, dieselbe Wirkung haben
würden. Er drängte sich daher durch das Gesträuch, und gewahrte bald die
Tür, welche dahinter versteckt war. Dann stellte er sich vor sie hin, sprach
die Worte: Sesam, öffne dich! Und augenblicklich tat sich die Tür angelweit
auf.