Project Description

373. Nacht

Saadi und Saad waren über diese neue Erscheinung nicht
minder überrascht als ich. Doch war ich es weit mehr als sie, da ich den Turban
als denjenigen wieder erkannte, den mir der Hühnergeier entführt hatte. Nachdem
ich ihn voll Verwunderung näher besichtigt und ihn auf alle Seiten gedreht
hatte, fragte ich meine beiden Freunde: „Meine Herren, ist euer Gedächtnis
wohl gut genug, um euch zu erinnern, dass dies hier der Turban ist, den ich an
dem Tag trug, wo ihr mir die Ehre erzeigtet, mich zum ersten Mal
anzureden?“

„Ich glaube nicht,“ erwiderte Saad, „dass
Saadi besser als ich darauf geachtet haben wird, allein weder er noch ich
können daran zweifeln, wenn die 190 Goldstücke sich darin finden.“

„Herr,“ antwortete ich, „ihr dürft nicht
zweifeln, dass es wirklich derselbe Turban ist, denn außer, dass ich ihn sehr
gut kenne, so bemerke ich auch an der Schwere, dass es kein anderer ist, und ihr
werdet es selber bemerken, wenn ihr euch die Mühe nehmen wollt, ihn in die Hand
zu nehmen.“

Ich überreichte ihm sodann denselben, nachdem ich die
Vögel herausgenommen hatte, die ich meinen Kindern gab. Er nahm ihn in die
Hände, und überreichte ihn dann an Saadi, damit dieser es aus der Schwere
desselben abnehmen könnte.

„Ich will es glauben, dass es dein Turban ist,“
sagte Saadi zu mir, „gleichwohl werde ich noch mehr davon überzeugt sein,
wenn ich die 190 Goldstücke bar vor mir sehen werde.“

Als ich den Turban wieder in die Hand genommen hatte, fuhr
ich fort: „Meine Herren, bemerkt wenigstens, ich bitte euch darum, bevor
ich ihn anrühre, dass er sich nicht erst seit heute auf dem Baum befindet, und
dass der Zustand, worin er ist, und das Nest, welches darin so bequem angelegt
ist, ohne dass eine menschliche Hand es berührt hat, sichere Zeichen sind, dass
er sich seit jenem Tag, wo der Hühnergeier mir ihn entführte, hier befindet,
und dass er ihn auf diesen Baum gelegt oder fallen gelassen hat, dessen äste
ihn auf die Erde herabzustürzen hinderten. Nehmt es nicht übel, dass ich euch
darauf aufmerksam mache, es liegt mir zu viel daran, dass ich euch jeden Argwohn
von Betrug von meiner Seite benehme.“

Saad unterstützte ich in meiner Absicht.
„Saadi,“ fing er an, „das geht auf dich und nicht auf mich, der
ich immer überzeugt gewesen bin, dass Hassan uns nicht täusche.“

Während Saad so sprach, nahm ich das Tuch weg, welches
mehrfach um die innere Kopfmütze des Turbans gewickelt war, und zog den Beutel
heraus, den Saadi sofort für denjenigen erkannte, den er mir gegeben hatte. Ich
schüttelte ihn vor ihren Augen auf den Teppich aus und sagte zu ihnen:
„Meine Herren, hier sind die Goldstücke, zählt sie selber, und seht zu,
ob die Zahl richtig ist.“

Saad zählte sie in Reihen zu zehnen auf, bis alle 190
voll waren, und nun nahm Saadi, der eine so augenscheinliche Wahrheit nicht mehr
ableugnen konnte, das Wort und wendete sich an mich: „Hassan,“ sagte
er, „ich gebe zu, dass diese 190 Goldstücke nicht haben dazu beitragen
können, dich zu bereichern. Allein die 190 anderen Goldstücke, welche du in
ein Kleiegefäß verstecktest, wie du mir vorspiegeln willst, haben wenigstens
dazu dienen können.“

„Herr,“ erwiderte ich, „ich habe dir in
Hinsicht dieser letzten Summe ebenso gut die Wahrheit gesagt, wie in Hinsicht
der ersteren. Ihr werdet doch nicht wollen, dass ich mein Wort widerrufe, um
euch eine Lüge zu sagen.“

„Hassan,“ sagte Saad zu mir, „lass den
Saadi bei seiner Meinung. Ich gebe es herzlich gern zu, dass er denkt, du
verdanktest ihm vermöge der letzteren Summe die Hälfte deiner Wohlhabenheit,
sofern er nur zugibt, dass ich in Betreff der anderen Hälfte durch das Stück
Blei, das ich dir gab, ebenfalls beigetragen habe, und wenn er nur nicht die
Findung des kostbaren Diamanten im Fischbauch in Zweifel zieht.“

„Saad,“ antwortete Saadi, „ich will alles,
was du willst, wenn du mir nur die Freiheit lassest zu glauben, dass man Geld
nur durch Geld zusammenhäufen kann.“

„Wie?“, erwidere Saad, „wenn der Zufall
wollte, dass ich einen Diamanten, der fünfzigtausend Goldstücke wert wäre,
fände, und auch wirklich die Summe dafür erhielte, hätte ich dann diese Summe
durch Geld erworben?“

Dabei hatte der Streit sein Bewenden. Wir standen auf,
kehrten in das Haus zurück, und da das Mittagmahl schon aufgetragen war, so
setzten wir uns zu Tisch. Nach dem Mittagessen ließ ich meinen Gästen die
Freiheit, die größte Hitze des Tages vorübergehen zu lassen und ihre Gemüter
unterdessen zu beruhigen, während ich fort ging und meinem Kastellan, wie auch
meinem Gärtner die nötigen Befehle gab. Ich kam dann wieder zu ihnen und wir
unterhielten uns von gleichgültigen Dingen, bis die größte Hitze vorüber
war. Sodann kehrten wir in den Garten zurück, wo wir in der Kühlung bis zu
Sonnenuntergang blieben. Hierauf stiegen die beiden Freunde nebst mir zu Pferd,
und in Begleitung eines Sklaven gelangten wir etwa um die zweite Stunde der
Nacht bei dem schönsten Mondschein in Bagdad an.

Ich weiß nicht, durch welche Nachlässigkeit meiner Leute
es gekommen war, dass es in meinem Haus an Gerste für meine Pferde fehlte. Die
Getreidespeicher waren verschlossen und auch zu weit entfernt, um so spät noch
dahin zu schicken.

Einer meiner Sklaven suchte in der Nachbarschaft umher,
und fand in einem Laden doch noch ein Gefäß voll Kleie. Er kaufte die Kleie
und brachte sie im Gefäß herbei, unter der Bedingung, dass er das Gefäß den
folgenden Tag wiederbringen müsse. Der Sklave schüttelte die Kleie in die
Krippe aus, und als er sie auseinander schürte, damit jedes von den Pferden
seinen Anteil bekommen möchte, fühlte er unter den Händen ein Tuch, welches
zusammengebunden und sehr schwer war. Er brachte mir das Tuch, ohne es
anzurühren und ganz so, wie er es gefunden hatte, und sagte mir bei
überreichung desselben, dass dies vielleicht das Leinentuch sein könnte, wovon
er mich so oft habe sprechen hören, wenn ich die Geschichte meinen Freunden
erzählte.

Voll Freude sagte ich zu meinen Wohltätern: „Meine
Herren, der Himmel will nicht, dass ihr von mir scheidet, ohne dass ihr von der
Wahrheit der Sache, die ich euch ohne Unterlass versichert habe, überzeugen
würdet. Hier sind,“ fuhr ich fort, indem ich mich an Saadi wendete,
„die andern 190 Goldstücke, die ich von eurer Hand empfangen, ich erkenne
sie an diesem Leinentuch hier.“

Ich band das Leinentuch auf und zählte die Summe vor
ihren Augen. Auch ließ ich mir das Gefäß bringen. Ich erkannte es wieder, und
schickte es an meine Frau mit der Frage, ob sie es kenne, doch zugleich mit dem
Befehl, dass ihr niemand etwas von dem, was vorgefallen, sagen möchte. Sie
erkannte es sogleich, und ließ mir sagen, es wäre dasselbe Gefäß, welches
sie mit Kleien angefüllt gegen Waschton vertauscht habe.

Saadi ergab sich nun auf Treu und Glauben, und von seinem
Unglauben zurückkommend sagte er zu Saad: „Ich gebe dir jetzt nach und
erkenne wie du, dass das Geld nicht immer ein sicheres Mittel ist, um mehr Geld
aufzuhäufen und reich zu werden.“

Als Saadi ausgeredet hatte, sagte ich zu ihm: „Herr,
ich wage nicht euch vorzuschlagen, das ihr die 380 Goldstücke, die der Himmel
heute wieder zum Vorschein gebracht hat, um eure schlechte Meinung von meiner
Wahrheitsliebe zu berichtigen, wieder zurücknehmen möchtet. Ich bin
überzeugt, das ihr mir sie nicht in der Absicht geschenkt, um sie einst von mir
wieder zurückzubekommen. Ich für mein Teil bin zufrieden mit dem, was der
Himmel mir von anderweitig her beschert hat, und mache keinen Anspruch auf dies
Geld. Indessen hoffe ich, dass ihr es nicht missbilligen werdet, wenn ich
dasselbe morgen unter die Armen verteile, damit Gott es mir und euch einst
vergelte.“

Die beiden Freunde brachten diese Nacht noch in meinem
Haus zu. Den folgenden Morgen umarmten sie mich, und kehrten ein jeder in seine
Behausung zurück, vergnügt über die Aufnahme, die sie bei mir gefunden, und
darüber, dass ich, wie sie gesehen hatten, das Glück, das ich ihnen nächst
Gott verdankte, nicht übel anwendete. Ich unterließ nicht, zu einem jeden von
ihnen persönlich hinzugehen, und mich noch besonders zu bedanken. Seitdem
schätze ich mir es zur großen Ehre, dass sie mir erlaubt haben, mit ihnen
Freundschaft zu halten und sie häufig zu sehen und zu sprechen.“

Der Kalif Harun Arreschyd schenkte dem Kodja Hassan eine
so große Aufmerksamkeit, dass er erst aus seinem Stillschweigen gewahr wurde,
die Geschichte sei zu Ende. Er sagte hierauf zu ihm: „Hassan, seit langer
Zeit habe ich nichts erzählen hören, was mir so viel Vergnügen gemacht
hätte, als die wunderbaren Wege, wodurch es dem Himmel gefallen hat, dich auf
dieser Welt glücklich zu machen. Du musst ihm dafür fortwährend durch gute
Anwendung seiner Wohltaten dich dankbar bezeigen. Ich will dir zugleich sagen,
dass der Diamant, welcher dein Glück gemacht hat, sich gegenwärtig in meinem
Schatz befindet, und es freut mich, zu erfahren, wie er dahin gekommen ist. Da
indessen in dem Herzen Saadis doch noch vielleicht ein Zweifel über die ganze
einzige Vorzüglichkeit dieses Diamanten obwaltet, den ich für das kostbarste
und bewunderungswürdigste aller meiner Besitztümer halte, so will ich, dass du
ihn nebst Saad hierher führest, damit mein Schatzaufseher ihm denselben zeige,
und sollte er auch nur einigermaßen noch ungläubig sein, so soll er hier
erkennen, dass das Geld nicht immer ein sicheres Mittel ist, um einem Armen in
kurzer Zeit und ohne sonderliche Mühe Reichtümer zu verschaffen. Auch will
ich, dass du diese Geschichte meinem Schatzaufseher erzählst, damit er sie
schriftlich aufsetzen lasse und sie in meinem Schatz nebst dem Diamanten
aufbewahre.“

Als nach diesen Worten der Kalif dem Kodja Hassan, Sidi
Numan und Baba Abdallah durch Kopfnicken zu verstehen gegeben hatte, dass er mit
ihnen zufrieden sei, nahmen sie Abschied, indem sie sich vor seinem Thron
niederwarfen, und entfernten sich sodann.“

Die Sultanin Scheherasade wollte eine andere Erzählung
beginnen, doch der Sultan von Indien, welcher den Anbruch der Morgenröte
bemerkte, verschob die Anhörung derselben bis auf den folgenden Tag.