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371. Nacht

Es war schon einige Zeit vergangen, seit ich mein
ehemaliges kleines Häuschen verlassen und dies neue und große bezogen hatte,
als Saadi und Saad, die gar nicht mehr an mich gedacht hatten, sich auf einmal
meiner erinnerten. Sie verabredeten eines Tages einen Spaziergang, und indem sie
durch die Straße gingen, wo sie mich sonst immer gesehen hatten, wunderten sie
sich außerordentlich, als sie mich da nicht mehr, wie sonst, an meinem kleinen
Seilergestell arbeitend antrafen. Sie fragten, was aus mir geworden, und ob ich
noch am Leben oder tot sei? Ihr Erstaunen stieg, als sie vernahmen, dass der,
nach dem sie fragten, ein großer Kaufmann geworden sei, und nicht mehr
schlechthin Hassan, sondern Kodjah1) Hassan
Alhabbal, d.h. „der Kaufmann Hassan der Seiler“ heiße, und sich in
der und der Straße ein Haus habe erbauen lassen, das von außen wie ein Palast
aussehe.

Die beiden Freunde gingen und suchten mich nun in der
ihnen bezeichneten Straße auf, und unterwegs sagte Saadi, der sich gar nicht
denken konnte, dass das Stück Blei, welches mir Saad gegeben, Ursache eines so
großen Glücks für mich geworden sein sollte, zu Saad:

„Meine Freude ist vollkommen, dass ich das Glück
Hassan Alhabbals gegründet habe. Allein ich kann es doch nicht billigen, dass
er mich zwei Mal belogen hat, um mir vierhundert Goldstücke, statt zweihundert,
abzulocken. Denn sein Glück dem Stück Blei zuzuschreiben, welches du ihm
gegeben, scheint mir ganz undenkbar, und niemand würde auf einen Gedanken der
Art verfallen können.“

„So denkst du freilich,“ erwiderte Saad,
„aber nicht ich. Ich sehe nicht ein, warum du gegen Kodja Hassan so
ungerecht sein willst, ihn für einen Lügner zu halten. Lass mich vielmehr
glauben, dass er uns die Wahrheit gesagt und an nichts weniger gedacht hat, als
sie uns zu verhehlen, und dass gerade das Stück Blei, das ich ihm gegeben, die
einzige Ursache seines Glückes ist. Kodja Hassan wird uns beiden sehr bald
hierüber Aufschluss geben.“

Unter solchen Gesprächen hatten die beiden Freunde die
Straße, wo mein Haus liegt, erreicht. Sie fragten nach demselben, und man
zeigte es ihnen. Als sie die Vorderseite desselben betrachteten, wollten sie
kaum glauben, dass es dasselbe sein könne. Dennoch klopften sie ans Tor und
mein Pförtner öffnete es ihnen.

Saadi, welcher eine Unhöflichkeit zu begehen fürchtete,
wenn er das Haus, welches er suchte, mit dem irgend eines bedeutenden Mannes
verwechselte, sagte zu dem Pförtner: „Man hat uns dies Haus als das des
Kodja Hassan Alhabbal bezeichnet, sagt uns daher, ob wir uns irren oder
nicht.“

„Nein, Herr, ihr irrt euch gar nicht,“
antwortete der Pförtner, indem er die Pforte noch weiter auftat, „es ist
dasselbe. Tretet nur herein. Er befindet sich soeben im Saal, und ihr werdet
schon einen unter den Sklaven finden, der euch anmeldet.“

Die beiden Freunde ließen sich bei mir anmelden und ich
erkannte sie sogleich. Als ich sie herein treten sah, stand ich von meinem Sitz
auf, eilte ihnen entgegen, und wollte den Saum ihres Kleides fassen, um ihn zu
küssen. Sie lehnten dies aber ab, und ich musste mir wider meinen Willen
gefallen lassen, dass sie mich umarmten. Ich lud sie ein, auf eine mit Teppichen
belegte Erhöhung herauf zu treten, und bot ihnen da ein Sofa an, welches die
Aussicht nach dem Garten hatte. Ich bat sie, Platz zu nehmen, sie verlangten
aber, dass ich mich oben an setzen sollte.

„Edle Herren,“ sagte ich zu ihnen, „ich
habe keineswegs vergessen, dass ich der arme Hassan bin, und wäre ich auch ein
ganz anderer als ich bin, und hätte ich auch nicht die Verpflichtungen gegen
euch, die ich wirklich habe, so weiß ich doch, was euch gebührt. Ich bitte
euch also, mich nicht länger zu beschämen.“

Sie nahmen jetzt den ihnen gebührenden Platz ein, und ich
setzte mich ihnen gegenüber.

Saadi nahm nun das Wort, und sagte zu mir sich wendend:
„Kodja Hassan, ich kann dir nicht sagen, wie sehr es mich freut, dich in
der Lage zu sehen, wie ich sie dir damals wünschte, als ich dir zweimal
nacheinander jenes Geschenk von zweihundert Goldstücken machte, und ich bin
überzeugt, dass jene vierhundert Goldstücke diese wunderbare Veränderung
deiner Lage, die mich so sehr erfreut, hervorgebracht haben. Bloß eins macht
mir Kopfzerbrechen. Ich kann nämlich gar nicht begreifen, welchen Grund du
haben mochtest, mir zweimal die Wahrheit zu verhehlen, und mir Verlust
vorzuspiegeln, deren Veranlassung mir heute noch so unglaublich erscheint, wie
damals. War es nicht das letzte Mal, als wir dich sahen, wo du deine
Angelegenheiten weder mit Hilfe der ersten zweihundert Goldstücke, noch mit
Hilfe der letzteren hattest verbessern können, so dass du dich schämtest, es
uns zu gestehen? Ich will dies wenigstens zum voraus annehmen, und ich erwarte,
dass du meine Meinung bestätigen wirst.“

Saad hörte diese Rede Saadis mit großer Ungeduld, um
nicht zu sagen mit Unwillen, an, und gab dies durch Niedersenken seiner Augen
und durch Kopfschütteln zu verstehen. Gleichwohl ließ er ihn bis zu Ende
reden, ohne den Mund zu öffnen. Als jener ausgeredet hatte, nahm er das Wort,
und sagte: „Saadi, verzeihe, wenn ich noch vor Hassan dir antworte. Ich
komme ihm zuvor, um dir zu erklären, dass ich mich wundere, sowohl über dein
Vorurteil gegen seine Aufrichtigkeit, als auch, dass du fortwährend den
Versicherungen, die er dir vor diesem gegeben, keinen Glauben beimisst. Ich habe
dir es schon einmal gesagt, und wiederhole es noch einmal, dass ich es ihm
gleich anfangs auf den bloßen Bericht von diesen seinen Begebnissen geglaubt
habe, und was du auch immer dazu sagen magst, ich bin überzeugt, dass alles
wirklich sich so verhält. Doch, lassen wir ihn selber reden, er wird uns den
besten Aufschluss geben, wer von uns beiden ihm Recht oder Unrecht getan
hat.“


1)
Der Titel Kodja bedeutet zugleich: Herr, Greis und Verschnittener. Man gibt ihn
auch wohl großen Kaufleuten.