Project Description

369. Nacht

Als ich mich am Abend auskleidete, um schlafen zu gehen,
und eben meinen Gürtel ablegte, fiel das Stück Blei, das mir Saad gegeben und
woran ich nicht weiter gedacht hatte, auf die Erde. Ich hob es von der Erde auf,
und legte es an den ersten besten Ort, den ich gerade fand.

Dieselbe Nacht traf es sich, dass einer meiner Nachbarn,
ein Fischer, bei Zubereitung seiner Netze bemerkte, dass es ihm an einem Stück
Blei fehle. Er hatte keines, um es an die Stelle zu setzen, auch war es nicht
mehr an der Zeit, um sich welches zu kaufen, da die Kaufläden alle verschlossen
waren. Gleichwohl musste er, sofern er mit den Seinen für den folgenden Tag
Lebensunterhalt haben wollte, zwei Stunden vor Tagesanbruch auf den Fischfang
ausgehen. Er gab daher seiner Frau seinen Verdruss zu erkennen und schickte sie
aus, um in der Nachbarschaft für diesen Notfall irgend etwas Blei aufzutreiben.

Die Frau gehorchte ihrem Mann, und ging von Tür zu Tür
auf beiden Seiten der Straße, fand aber nirgends etwas. Sie brachte diese
Antwort ihrem Mann, der ihr mehrere seiner Nachbarsleute nannte, und zugleich
fragte: Ob sie an deren Tür auch schon angeklopft habe. Sie antwortete: Ja.
„Und auch bei Hassan Alhabbal?“, fuhr er fort, „ich wette, du
bist bei dem nicht gewesen.“

„Es ist wahr,“ erwiderte die Frau, „ich bin
nicht bis da gewesen, denn es war mir zu weit, aber wenn ich mich auch die Mühe
nicht hätte verdrießen lassen, glaubst du denn, dass ich bei ihm etwas
gefunden hätte? Zudem muss man nur hingehen, wenn man nichts nötig hat. Ich
weiß das aus Erfahrung.“

„Das tut nichts zur Sache,“ sagte darauf der
Fischer, „du bist bloß faul, und ich will, dass du dahin gehst. Du bist
hundert Mal bei ihm gewesen, ohne das zu finden, was du suchtest, vielleicht
aber wirst du gerade heute das Blei finden, dessen ich bedarf. Noch einmal, ich
will, dass du dahin gehst.“

Die Frau des Fischers ging murrend und brummend fort, und
klopfte an meine Tür. Ich schlief bereits, wachte aber auf und fragte, was es
gäbe.

„Hassan Alhabbal,“ sagte die Frau mit
verstärkter Stimme, „mein Mann bedarf etwas Blei, um seine Netze zurecht
zu machen. Solltet ihr etwas dergleichen haben, so lässt er euch darum
bitten.“

Die Erinnerung an das Stück Blei, welches mir Saad
gegeben, war mir, besonders nach dem, was mir beim Auskleiden begegnet war, noch
in so frischem Andenken, dass ich es nicht vergessen haben konnte. Ich
antwortete also der Nachbarin, ich hätte etwas, und sie möchte nur einen
Augenblick warten, so würde meine Frau ihr ein Stück geben.

Meine Frau, welche bei dem Lärm ebenfalls aufgewacht war,
steht auf, findet im Dunkeln tappend das Blei an der Stelle, wo ich es ihr
bezeichnet hatte, öffnet die Tür ein wenig und reicht es der Nachbarin hinaus.

Die Frau des Fischers war ganz entzückt darüber, dass
sie nicht vergebens gekommen war, und sagte zu meiner Frau: „Nachbarin, die
Freude, die ihr mir und meinem Mann damit macht, ist so groß, dass ich euch
alle die Fische verspreche, welche mein Mann beim ersten Wurf seiner Netze
fangen wird. Ich weiß, er wird mein gegebenes Wort nicht zurücknehmen.“

Der Fischer, voll Freude, dass er wider Erwarten das ihm
fehlende Blei noch bekommen, billigte das Versprechen, das seine Frau uns getan
hatte. „Ich weiß dir vielen Dank dafür,“ sagte er, „dass du
hierin meiner Absicht nachgekommen bist.“

Er setzte nun die Netze vollends in Stand und ging, seiner
Gewohnheit gemäß, zwei Stunden vor Tag auf den Fischfang aus. Er zog beim
ersten Wurf seiner Netze bloß einen einzigen Fisch herauf, der aber über eine
Elle lang und verhältnismäßig dick war. Hierauf machte er mehrere andere
Würfe, die alle sehr glücklich ausfielen, doch fehlte viel, dass unter alle
den Fischen, die er fing, auch nur ein einziger dem ersten gleichgekommen wäre.

Als der Fischer seinen Fischzug vollendet und seine
Wohnung wieder reicht hatte, so war seine erste Sorge, an mich zu denken, und
ich war nicht wenig erstaunt, als ich bei meiner Arbeit ihn mit dem Fisch
beladen vor mich hintreten sah.

„Nachbar,“ sagte er zu mir, „meine Frau hat
euch in der verflossenen Nacht zum Dank für eure mir erzeigte Gefälligkeit den
Fisch versprochen, den ich beim ersten Auswurf meiner Netze fangen würde, und
ich habe ihr Versprechen gebilligt. Gott hat mir für euch bloß diesen einzigen
beschert, und ich bitte euch, ihn von mir anzunehmen. Hätte er mir mein Netz
voll Fische gegeben, so würden sie ebenfalls euer gewesen sein. Nehmt ihn
daher, ich bitte euch, so wie er nun da ist, an, und nehmt damit vorlieb.“

„Nachbar,“ antwortete ich, „das Stück
Blei, das ich euch geschickt habe, ist eine solche Kleinigkeit, dass es gar
nicht wert ist, von euch so hoch angeschlagen zu werden. Nachbarsleute müssen
sich in ihren kleinen Bedürfnissen aushelfen, und ich habe bloß das für euch
getan, was ich in einem ähnlichen Fall ebenfalls von euch erwartet haben
würde. Ich würde daher euer Geschenk ausschlagen, wenn ich nicht wüsste, dass
ihr mir es aus gutem Herzen gebt, und dass ich euch sogar beleidigen würde,
wenn ich es täte. Ich nehme es folglich an, da ihr es so wollt, und sage euch
dafür meinen besten Dank.“

Damit hatten unsere gegenseitigen Artigkeiten ein Ende,
und ich trug den Fisch zu meiner Frau.

„Da nimm,“ sagte ich zu ihr, „diesen Fisch,
den unser Nachbar, der Fischer, mir soeben zum Dank für das Stück Blei, um
welches er uns verflossene Nacht bitten ließ, gebracht hat. Es ist dies, denke
ich, alles, was wir von diesem Geschenk hoffen dürfen, welches mir Saad gestern
mit der Verheißung machte, es werde mir Glück bringen.“

Zugleich erzähle ich ihr bei dieser Gelegenheit von der
Rückkehr der beiden Freunde, und was zwischen ihnen und mir vorgegangen.

Meine Frau geriet beim Anblick dieses großen und dicken
Fisches in Verlegenheit. „Was meinst du denn,“ sagte sie, „dass
wir damit anfangen sollen? Unser eiserner Bratrost ist nicht rein und auch nur
für kleine Fische geeignet, und um ihn mit einer kurzen Brühe zu kochen, haben
wir keinen Topf, der groß genug wäre.“

„Das ist deine Sache,“ sagte ich zu ihr,
„richte ihn nach deinem Belieben zu. Sei er gebraten oder gekocht, ich
werde schon damit zufrieden sein.“ Nachdem ich dies gesprochen, kehrte ich
zu meiner Arbeit zurück.

Während der Zubereitung des Fisches zog meine Frau mit
den Eingeweiden einen großen Diamant heraus, den sie, nachdem sie ihn rein
abgespült, für bloßes Glas hielt. Sie hatte wohl schon von Diamanten reden
hören, aber wenn sie auch deren schon gesehen oder in den Händen gehabt
hätte, so war sie doch nicht Kennerin genug, um sie genau unterscheiden zu
können. Sie gab ihn also unserem jüngsten Kind, auf dass es mit seinen
übrigen Geschwistern damit spielen möchte, die ihn alle nach der Reihe sehen
und betasten wollten, und sich ihn einander wechselweise in die Hände gaben, um
seine Schönheit, seinen Glanz und sein Feuer zu bewundern.

Als des Abends die Lampe angezündet worden war, bemerkten
unsere Kinder, die noch immer ihr Spiel fortsetzten und sich ihn einander
zureichten, um ihn zu betrachten, das er, je nachdem meine Frau bei Zubereitung
des Abendessens zufällig vor der Lampe vorbeiging und Schatten machte, einen
Schein von sich gab, und dies bewog denn die Kinder, sich ihn einander aus den
Händen zu reißen, um Versuche damit zu machen. Dabei weinten die Kleinen, wenn
die größeren ihnen denselben nicht so lange lassen wollten, als sie es
wünschten, und diese waren dann gezwungen, ihnen den Stein wiederzugeben, um
sie nur zu besänftigen.

Da oft eine Kleinigkeit hinlänglich ist, um Kinder zu
unterhalten oder Streit unter ihnen zu erregen, und da dies sehr häufig bei
ihnen der Fall ist, so gab weder ich noch meine Frau darauf Acht, was wohl
Anlass zu diesem Lärm und Getümmel gäbe, womit sie unsere Ohren betäubten.
Endlich hörte es auf, als die größeren sich mit uns an den Tisch gesetzt
hatten, um zu Abend zu essen, und meine Frau den kleineren jedem seinen Teil
gegeben hatte.

Nach dem Abendessen versammelten sich die Kinder wieder,
und der vorige Lärm begann aufs neue. Ich wollte jetzt die Ursache ihres
Streites ausmitteln, rief dem ältesten, und fragte ihn, warum sie denn einen so
großen Lärm machten? Er antwortete: „Lieber Vater, die Ursache ist ein
Stück Glas, das einen Schein von sich gibt, wenn wir es mit dem Rücken gegen
die Lampe gekehrt betrachten.“ Ich ließ mir es bringen, und machte selber
damit den Versuch.

Die Sache schien mir seltsam, und veranlasste mich, meine
Frau zu fragen, was denn das für ein Stück Glas wäre. „Ich weiß
nicht,“ antwortete sie, „es ist ein Stück Glas, das ich aus dem Bauch
des Fisches, als ich ihn zubereitete, herausgezogen habe.“

Mir fiel so wenig als ihr ein, dass es etwas anderes als
Glas sein könnte. Doch trieb ich meine Versuche noch weiter. Ich sagte meiner
Frau, sie möchte doch einmal die Lampe in den Kamin verstecken. Sie tat es, und
ich sah nun, dass das vermeintliche Stück Glas einen so hellen Schein
verbreitete, dass wir keiner Lampe bedurften, um uns zu Bett zu legen. Ich ließ
sie daher auslöschen, und ich selber legte das Stück Glas auf den Rand des
Kamins, damit es uns leuchtete.

„Das ist,“ sagte ich, „nun schon ein
zweiter Vorteil, den das Stück Blei, was der Freund Saadis uns gegeben,
verschafft, dass wir uns nämlich die Ausgabe auf öl ersparen können.“

Als meine Kinder sahen, dass ich die Lampe hatte
auslöschen lassen, und dass das Stück Glas die Stelle derselben vertrat, so
stießen sie über dieses Wunder ein so lautes und gellendes Geschrei aus, dass
man es weit umher in der Nachbarschaft hören konnte.

Meine Frau und ich vermehrten den Lärm, indem wir ihnen
zuschrieen, sie sollten schweigen, doch konnten wir unsern Zweck nicht
erreichen, als bis sie zu Bett gegangen und eingeschlafen waren, nachdem sie
sich zuvor noch eine lange Weile nach ihrer Weise von dem wunderbaren Schein des
Glasstückes unterhalten hatten.

Meine Frau und ich legten uns darauf auch nieder. An dem
folgenden Morgen, als es heller Tag war, ging ich, ohne weiter an das Stück
Glas zu denken, an meine gewöhnliche Arbeit. Es wird niemanden befremden, dass
dies einem Mann, wie ich war, begegnen konnte, der in seinem Leben bloß Glas,
aber niemals Diamanten gesehen, und der, hätte er auch je dergleichen vor die
Augen bekommen, sich doch nie um ihren Wert oder Preis gekümmert hatte.

Ich muss Euer Majestät bei dieser Stelle bemerkbar
machen, dass zwischen meinem Haus und dem meines nächsten Nachbars bloß eine
mit Ziegeln ausgesetzte Wand aus Bindwerk sich befand, die noch dazu sehr dünn
war. Dies Haus gehörte einem sehr reichen Juden, der seinem Gewerbe nach ein
Juwelier war, und das Zimmer, worin er und seine Frau schliefen, stieß an die
Scheidewand. Sie waren schon zu Bett und eingeschlafen gewesen, als meine Kinder
den ärgsten Lärm gemacht hatten. Sie waren davon aufgeweckt worden, und es
hatte lange Zeit gedauert, ehe sie wieder einschlafen konnten.

Den folgenden Morgen kam die Frau des Juden in ihrem und
ihres Mannes Namen, und beschwerte sich bei meiner Frau darüber, dass sie bei
Nacht in ihrem ersten Schlaf gestört worden wären.

„Meine liebe Rachel,“ – so hieß nämlich die
Jüdin, sagte meine Frau zu ihr, „es tut mir sehr leid, dass dies
vorgefallen ist und ich bitte deshalb um Entschuldigung. Ihr wisst ja, wie es
mit Kindern ist. Sie lachen oft über eine Kleinigkeit. Tretet herein, so werde
ich euch die Ursache zeigen, die eure Beschwerden veranlasst hat.“

Die Jüdin trat herein, und meine Frau nahm den Diamanten,
denn es war wirklich einer und zwar ein sehr ausgezeichneter – der noch auf dem
Kaminrand lag, zeigte ihr denselben und sagte: „Da seht, dies Stück Glas
war die Ursache des ganzen Lärms, den ihr gestern Abend hörtet.“ Während
die Jüdin, die eine sehr gute Kenntnis von allen Arten von Edelsteinen hatte,
den Diamanten voll Bewunderung besichtigte, erzählte sie ihr, wie sie denselben
in dem Bauch des Fisches gefunden, und wie alles gekommen.

Als meine Frau ausgeredet hatte, sagte die Jüdin zu ihr,
indem sie ihr den Diamanten wieder einhändigte: „A