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368. Nacht

Es dauerte diesmal länger als das erste Mal, ehe die
beiden Freunde kamen, und über meine Lage Erkundigung einzogen. Saad hatte oft
mit Saadi davon gesprochen, doch dieser hatte es immer aufgeschoben.

„Je länger wir es verschieben,“ sagte er,
„desto reicher wird Hassan werden, und desto größer wird das Vergnügen
sein, das ich darüber empfinden werde.“

Saad hatte von der Wirkung des Geschenks seines Freundes
nicht dieselbe Ansicht. „Glaubst du denn,“ äußerte er, „dass
Hassan dein Geschenk diesmal besser als das erste Mal angewendet haben wird? Ich
rate dir, nicht zu sehr darauf zu rechnen, damit dein ärger, wenn du das
Gegenteil davon finden wirst, nicht zu groß ist.“

„Allein,“ fuhr Saadi fort, „es kommt ja
doch nicht alle Tage vor, dass ein Hühnergeier einen Turban entführt. Hassan
ist von diesem Unfall einmal betroffen worden, und wird sich nun wohl vorgesehen
haben, dass es ihm nicht noch einmal so gegangen ist.“

„Ich zweifle daran gar nicht,“ erwiderte Saad.
„Allein jeder andere Zufall, an den wir beide gerade nicht denken konnten,
kann sich ebenso gut ereignet haben. Ich sage dir es nochmals, mäßige deine
Freude, und mache dich auf Hassans Unglück nicht minder gefasst, als auf sein
Glück. Um dir zu sagen, was ich denke, und was ich von jeher gedacht habe, –
wie schlechten Dank du mir auch für diesen Glauben wissen wirst – ich habe eine
Vorahnung, dass es dir nicht gelungen ist, und dass es mir besser gelingen wird
als dir, zu zeigen, dass ein Armer auf jedem anderen Weg eher reich werden kann,
als durch Geld.“

Als Saad eines Tages wiederum bei Saadi war, und sie sich
lange miteinander gestritten hatten, sagte Saadi: „Es ist genug. Ich will
mir heute noch Aufschluss darüber zu verschaffen suchen, wie es mit der Sache
steht. Es ist jetzt gerade die Zeit, wo man spazieren geht, lass sie uns nicht
versäumen, sondern hingehen und uns erkundigen, wer von uns beiden die Wette
gewonnen haben wird.“

Die beiden Freunde gingen aus, und ich sah sie von weitem
kommen. Ich wurde ganz bestürzt und war auf dem Punkt, meine Arbeit zu lassen,
und mich irgendwo zu verstecken, um ihnen nur nicht unter die Augen zu kommen.
Indessen ich blieb bei der Arbeit, und tat, als sähe ich sie nicht. So schlug
ich denn meine Augen nicht eher zu ihnen auf, als bis sie mir so nahe waren,
dass sie mich grüßten und ich den Gruß nicht füglich unerwidert lassen
konnte. Ich schlug jedoch meine Augen sogleich wieder nieder, und indem ich
ihnen meinen letzten Unfall ausführlich erzählte, machte ich ihnen
begreiflich, warum sie mich noch immer in derselben Armut fänden wie damals, wo
sie mich zum ersten Mal gesehen.

Als ich damit zu Ende war, fuhr ich fort: „Ihr werdet
mir vielleicht einwenden, dass ich die 190 Goldstücke hätte anderswo aufheben
sollen, als in einem irdenen Gefäß, welches noch an demselben Tag aus meinem
Haus fortgeschafft wurde. Allein schon seit einer Reihe von Jahren stand das
Gefäß immer auf derselben Stelle, und so oft auch meine Frau, wenn es voll
war, die Kleien verkauft hatte, so war doch das Gefäß immer stehen geblieben.
Konnte ich mir nun träumen lassen, dass gerade an demselben Tag in meiner
Abwesenheit ein Waschton-Verkäufer da vorbeigehen, und dass meine Frau ohne
Geld sein und mit ihm diesen Tauschhandel abschießen würde? Ihr könntet mir
freilich einwerfen, dass ich meiner Frau etwas davon hätte sagen sollen.
Indessen Personen von so klugem Verstand wie ich bei euch voraussetzen muss,
würden mir einen Rat von der Art gewiss nie geben. Was aber den Punkt betrifft,
dass ich sie nicht anderswo versteckt habe, so frage ich euch, wer bürgt mir
dafür, dass ich sie da sicherer gehabt hätte? – Herr,“ fuhr ich dann
fort, indem ich mich an Saadi wendete, „es hat Gott nicht gefallen, dass
ich durch eure Freigebigkeit reich werden sollte. Es gehört mit zu seinen
unerforschlichen Geheimnissen, die wir nicht ergründen können, dass ich arm
und nicht reich sein soll. Deshalb werde ich doch nie aufhören, gegen euch
dieselbe Dankbarkeit zu fühlen, als wenn eure Freigebigkeit, wie ihr
gewünscht, ihren Zweck völlig erreicht hätte.“

Ich schwieg, und Saadi nahm hierauf das Wort und sagte:
„Hassan, wenn ich mich auch überreden wollte, dass alles das, was du mir
da sagst, so gewiss wahr ist, als du es uns gern glauben machen möchtest, und
dass es kein bloßer Deckmantel ist, um deine Liederlichkeit oder deine
schlechte Wirtschaft zu beschönigen, so würde ich mich dennoch sehr hüten,
irgend einen Schritt weiter zu tun, und hartnäckig in Versuchen fort zu fahren,
die mich am Ende zu Grunde richten würden. Mich dauern die vierhundert
Goldstücke nicht, deren ich mich beraubt habe, um einen Versuch zu machen, dich
aus deiner Dürftigkeit zu ziehen. Ich tat es dem Himmel zu gefallen, und
erwartete von dir keinen Dank, sondern bloß das Vergnügen, dir etwas Gutes
erwiesen zu haben. Wenn mich irgend etwas dabei reuen könnte, so wäre es bloß
das, dass ich mich an dich und nicht lieber an einen andern gewendet habe, der
dies vielleicht besser benutzt haben würde.“ Nach diesen Worten wendete er
sich zu seinem Freund und fuhr fort: Saad, du kannst aus dem, was ich soeben
gesprochen, abnehmen, dass ich das Spiel noch nicht ganz verloren gebe.
Gleichwohl steht es dir frei, die Wahrheit deiner bisherigen Behauptung
ebenfalls durch einen Versuch zu erproben. Zeige mir, dass es außer dem Geld
noch andere Mittel und Wege gibt, um das Glück eines Armen – in dem Sinn, wie
ich und du es meinen – zu gründen, und suche dir keinen andern dazu aus, als
Hassan. Was du ihm auch immer geben magst, ich kann mich nicht überreden, dass
er dadurch reicher werden könnte, als er durch die vierhundert Goldstücke
hätte werden können.“

Saad hatte ein Stück Blei in der Hand und zeigte es Saadi. „Du hast gesehen,“ sagte er dann zu diesem, „wie ich das
Stück Blei zu meinen Füßen aufraffte. Ich werde es jetzt Hassan schenken, und
du wirst sehen, wie viel es ihm einbringen wird.“

Saadi lachte laut auf, und machte sich über Saad lustig.
„Ein Stück Blei?“, rief er aus, „nun was das dem Hassan weiter
einbringen, als einen Heller, und was wird er mit einem Heller anfangen?“

Saad überreichte mir indessen das Stück Blei und sagte:
„Lass jenen da immer lachen, und nimm du es nur. Du wirst uns dereinst von
dem Glück, das es dir ins Haus gebracht, viel zu sagen haben.“

Ich glaubte, Saad meinte dies nicht im Ernst, sondern
wollte bloß seinen Scherz treiben. Gleichwohl nahm ich das Stück Blei mit Dank
an, und um ihm seinen Willen zu tun, steckte ich es zum Schein in meine Weste.
Darauf verließen mich die beiden Freunde, um ihren Spaziergang fortzusetzen,
und ich ging wieder an meine Arbeit.