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367. Nacht

„Herr,“ erwiderte ich, „ich ertrage gerne
diese Vorwürfe und bin bereit, noch weit heftigere zu erdulden. Ich ertrage sie
umso geduldiger, da ich auch nicht einen einzigen verdient zu haben glaube. Die
Sache ist im ganzen Stadtviertel so allgemein bekannt, dass mir jeder dies
bezeugen wird. Erkundigt euch selber, und ihr werdet finden, dass ich euch nicht
hintergehe. Ich gestehe es, ich selber habe noch nie gehört, dass Hühnergeier
auch Turbane entführen, allein die Sache ist mir begegnet, und so gut wie
unzählige Dinge, die sonst noch nie vorgefallen sind, und gleichwohl
tagtäglich sich ereignen.“

Saad nahm meine Partei, und erzählte Saadi so viele
andere, nicht minder überraschende Geschichten von Hühnergeiern, die er
wusste, dass dieser zuletzt seinen Geldbeutel aus dem Busen zog. Er zählte mir
zweihundert Goldstücke in die Hand, und in Ermangelung eines Beutels steckte
ich es dem gemäß ebenfalls in meinen Busen. Als Saadi diese Summe mir
zugezählt hatte, sagte er zu mir: „Hassan, ich will dir noch diese
zweihundert Goldstücke schenken. Aber verwahre sie ja an einem sicheren Ort,
damit du nicht etwa wieder so unglücklich bist, sie wie die vorigen zu
verlieren, und denke zugleich darauf, dir durch sie denselben Vorteil zu
verschaffen, den dir eigentlich schon die früheren hätten verschaffen
sollen.“

Ich versicherte ihn, dass die Dankverpflichtung, die ich
um dieser zweiten Gnade willen gegen ihn fühlte, um so größer sei, da ich sie
nach meinem letzten Begebnis eigentlich nicht verdiente, und dass ich nicht
unterlassen würde, seinen guten Rat zu benutzen. Ich wollte noch weiter reden,
aber er ließ mir nicht Zeit dazu, sondern verließ mich, indem er mit seinem
Freund seinen Spaziergang fortsetzte.

Ich ging nach ihrem Weggang nicht wieder an meine Arbeit,
sondern kehrte nach meiner Wohnung zurück, wo ich weder meine Frau noch meine
Kinder anwesend fand. ich legte nun von den zweihundert Goldstücken zehn
beiseite und hüllte die übrigen in ein Tuch, welches ich mit Knoten
zuknüpfte. Es kam nun darauf an, das Tuch an einem sichern Ort zu verbergen.
Nach reiflicher überlegung fiel mir endlich ein, es in ein irdenes, mit Kleie
angefülltes Gefäß, das in einem Winkel stand, unten auf den Boden zu legen,
da ich nicht glauben konnte, dass meine Frau oder meine Kinder es darin suchen
würden. Meine Frau kam bald darauf nach Hause, und da ich nur noch sehr wenig
Hanf in Vorrat hatte, sagte ich zu ihr – ohne die beiden Freunde zu erwähnen –
dass ich welchen einkaufen ginge.

Ich ging fort, doch während ich diesen Einkauf machte,
kam ein Mann, welcher Waschton, wie ihn die Frauen beim Baden brauchen, zu
verkaufen hatte, durch die Straße gegangen, und rief seine Ware aus.

Meine Frau, die von diesem Ton nichts mehr vorrätig
hatte, rief den Verkäufer an, und da sie nicht bei Geld war, so fragte sie ihn,
ob er ihr wohl etwas von seinem Ton durch Austausch gegen Kleie ablassen wolle.
Der Verkäufer verlangte die Kleie zu sehen. Meine Frau zeigte ihm das Gefäß,
worin sie waren, und der Handel wurde abgeschlossen. Sie empfing den Waschton,
und der Händler nahm sich das Gefäß mit der Kleie.

Ich kam zurück, mit einer solchen Menge von Hanf bepackt,
als ich nur immer fortbringen konnte, hinter mir her folgten fünf Packträger,
die gleich mir mit derselben Ware beladen waren, womit ich einen hölzernen
Verschlag anfüllte, den ich in meinem Haus angebracht hatte. Ich bezahlte die
Lastträger für ihre Mühe, und als sie fort gegangen waren, wendete ich einige
Augenblicke dazu an, um mich von meiner Müdigkeit zu erholen. Sodann warf ich
meine Blicke nach der Stelle hin, wo ich das irdene Gefäß zuvor gelassen
hatte, und sah es jetzt nicht mehr.

Es ist unmöglich, Euer Majestät die Größe meines
Erstaunens, noch die Wirkung desselben auf mein Gemüt zu schildern. Ich fragte
hastig meine Frau, wo es denn hingekommen sei, und sie erzählte mir den
Tauschhandel, den sie damit getroffen, als wobei sie sehr viel gewonnen zu haben
glaubte.

„Ach, unglückliches Weib,“ rief ich aus,
„du weißt nicht, welches Unheil du mir, dir und deinen Kindern durch
diesen Handel, der uns rettungslos zu Grunde richtet, zugefügt hast. Du
glaubtest bloß Kleien zu verkaufen, und hast durch diese Kleien deinen
Waschton-Händler um 190 Goldstücke reicher gemacht, womit Saadi in Begleitung
seines Freundes mich zum zweiten Mal beschenkt hatte.“

Es fehlte wenig, so wäre meine Frau in Verzweiflung
geraten, als sie erfuhr, welch einen großen Fehler sie in der Unwissenheit
begangen hatte. Sie jammerte, zerschlug die Brust, raufte sich die Haare aus,
und zerriss sich das Kleid, das sie an hatte. „Wie unglücklich bin
ich,“ rief sie aus, „verdiene ich nach einem so schrecklichen
Missgriff wohl noch zu leben? Wo soll ich diesen Waschton-Verkäufer suchen? Ich
kenne ihn ja nicht, er ist bloß dies einzige Mal durch unsere Straße gekommen,
und vielleicht werde ich ihn nie mehr wieder sehen. Ach, lieber Mann,“ fuhr
sie fort, „du hast sehr unrecht gehandelt, dass du in einer so wichtigen
Sache gegen mich so zurückhaltend gewesen bist. Dies alles wäre gar nicht
geschehen, wenn du mir dein Geheimnis mitgeteilt hättest.“

Es würde mich zu weit führen, wenn ich Euer Majestät
alles das wieder sagen wollte, was der Schmerz ihr damals in den Mund legte. Ihr
wisst ja, wie redselig die Frauen in ihren Trübsalen zu sein pflegen.

„Liebe Frau,“ sagte ich zu ihr, „mäßige
dich. Du bedenkst gar nicht, dass du durch dein Weinen und Schreien alle
Nachbarn herbeilocken wirst, und was brauchen diese denn um unsern Unfall zu
wissen. Anstatt an unserem Missgeschick teilzunehmen oder uns Trost
zuzusprechen, würden sie sich ein Vergnügen daraus machen, über deine und
meine Einfalt zu spotten. Der beste Entschluss, der hierbei zu nehmen, ist noch
der, dass wir unseren Verlust verschweigen, ihn geduldig ertragen, so dass
niemand das mindeste davon merkt, und uns in den Willen Gottes fügen. Zugleich
wollen wir denselben preisen, dass er von den zweihundert Goldstücken, die er
uns verliehen, uns bloß 190 wieder genommen und uns vermöge seiner Güte
wenigstens noch zehn gelassen hat, deren Anwendung uns doch immer noch einige
Unterstützung gewähren wird.“

Wie richtig auch meine Gründe waren, so wurde es mir
dennoch sehr schwer, denselben bei meiner Frau Eingang zu verschaffen. Doch die
Zeit, welche die größten und unerträglich scheinenden Leiden mildert,
bewirkte zuletzt, dass sie sich darein ergab.

„Wir leben freilich arm,“ sagte ich zu ihr,
„indessen was haben denn die Reichen, das wir nicht auch hätten? Atmen wir
nicht dieselbe Luft. Genießen wir nicht dasselbe Sonnenlicht und dieselbe
Sonnenwärme? Die Bequemlichkeiten des Lebens, die sie etwa vor uns voraus
haben, könnten uns ihr Los beneidenswert erscheinen lassen, wenn sie nicht
ebenso sterben müssten wie wir. Genau genommen, ist der Vorzug, den sie vor uns
voraus haben, so unbedeutend, dass wir ihn gar nicht erst in Betracht ziehen
sollten.“

Das einzige, was mich – und zwar nicht selten – ärgerte,
war, wenn ich mich fragte, wie ich denn wohl den Anblick Saadis zu ertragen
imstande sein würde, wenn er nun von mir über die Verwendung der zweihundert
Goldstücke, und wie ich vermittelst seines Geschenks meine Lage verbessert
hätte, Rechenschaft verlangen würde, und ich sah dann keinen anderen Ausweg
vor mir, als Verlegenheit und Beschämung, obwohl ich dies zweite Mal so wenig
als das erste Mal durch meine Schuld zu diesem Unglück beigetragen hatte.