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365. Nacht

„Saad,“ antwortete Saadi, „ich sehe wohl,
dass ich bei dir nichts ausrichten würde, wenn ich auch darauf beharrte, meine
Meinung gegen die deinige zu verteidigen. Ich will daher lieber selber einen
Versuch machen, um dich zu überzeugen, und zum Beispiel eine Summe, so groß
als mir hinlänglich scheint, einem jener Handwerker zum Geschenk geben, die von
Haus aus arm, von ihrem täglichen Verdienst leben, und in derselben
Armseligkeit sterben, in welcher sie geboren wurden. Wenn es mir damit nicht
gelingt, so wollen wir dann sehen, ob es dir auf dem Weg, den du meinst, besser
gelingen wird.“

Einige Tage nach diesem Wortwechsel traf es ich, dass die
beiden Freunde auf einem Spaziergang durch das Stadtviertel kamen, wo ich mein
Seilerhandwerk trieb, welches ich von meinem Vater erlernt, der es wiederum von
meinem Großvater, dem Stammvater unserer Familie, erlernt hatte. Wer meinen
Aufzug und meine Kleidung ansah, konnte daraus sehr leicht meine Armut abnehmen.

Saad, der sich an Saadis gegebenes Wort erinnerte, sagte
zu diesem: „Wenn du nicht etwa vergessen hast, wozu du dich gegen mich
verbindlich gemacht hast, so hast du hier einen Mann – hiermit wies er auf mich
hin – den ich schon sehr lange sein Seilerhandwerk treiben sehe, und immer in
derselben Dürftigkeit. Es ist dies ein Gegenstand, der deiner Freigebigkeit
durchaus würdig und zu einem Versuch der Art, als du neulich sagtest, ganz
geeignet ist.“

„Ich erinnere mich noch so gut daran,“ erwiderte
Saadi, „dass ich seitdem immer so viel Geld bei mir trage, als zu einem
Versuch der Art nötig ist, und dass ich bloß auf einen gelegenen Anlass
wartete, wo du zugegen wärst und Augenzeuge sein könntest. Wir wollen ihn
anreden und zu erfahren suchen, ob er wirklich Geld nötig hat.“

Die beiden Freunde kamen auf mich zu, und da ich sah, dass
sie mit mir reden wollten, so hielt ich in meiner Arbeit inne. Sie begrüßten
mich beide auf die gewöhnliche Weise, indem sie mir allen Frieden wünschten,
und Saadi nahm hierauf das Wort und fragte mich, wie ich denn hieße.

Ich erwiderte ihnen denselben Gruß, und sagte, um auf
Saadis Frage zu antworten: „Herr, mein Name ist Hassan, und wegen meines
Gewerbes bin ich allgemein unter dem Namen Hassan Alhabbal bekannt.“

„Hassan,“ sagte hierauf Saadi, „da es kein
Gewerbe gibt, das nicht seinen Meister nährt, so zweifle ich nicht, dass nicht
auch das eurige euch so viel einträgt, um bequem davon leben zu können, und
ich wundere mich selbst, dass, seitdem ihr es treibt, ihr euch nicht etwas
erspart und einen bedeutenden Vorrat von Hanf gekauft habt, um noch mehr Arbeit
fertigen zu können, sowohl selber, als auch durch angenommene Gesellen, und um
euch euer Leben bequemer machen zu können.“

„Herr,“ erwiderte ich ihm, „ihr würdet
aufhören, euch darüber zu wundern, dass ich nichts erspare, und dass ich nicht
den von euch bezeichneten Weg einschlage, um reich zu werden, wenn ihr wüsstet,
dass ich mit all der Arbeit, die ich von früh bis Abend zu fertigen imstande
bin, mir kaum so viel erwerben kann, als nötig ist, um mich und meine Familie
mit Brot und Gemüse nähren zu können. Ich habe eine Frau und fünf Kinder,
von denen noch kein einziges so alt ist, um mich im mindesten unterstützen zu
können. Sie brauchen Unterhalt und Kleidung, und in einer Wirtschaft, sei sie
auch noch so klein, gibt es immer tausenderlei Bedürfnisse, die man nicht wohl
beseitigen kann. Obwohl der Hanf nicht teuer ist, so ist doch Geld zum Einkauf
desselben nötig, und das ist immer das erste, was ich von dem Erlös meiner
Arbeit bei Seite legen muss, sonst würde es mir nicht möglich sein, so viel
als meine Haushaltung erfordert, zu verdienen. Ihr könnt nun leicht urteilen,
Herr,“ fuhr ich fort, „ob es mir möglich ist, so viel zu ersparen, um
mich und meine Familie auf einen größeren und bequemeren Fuß einzurichten. Es
ist für uns genug, dass wir mit dem wenigen, was Gott uns gibt, zufrieden sind,
und dass er uns die Kenntnis und das Verlangen nach dem, was uns etwa fehlt,
nicht erst erregt hat, sondern wir finden vielmehr immer, dass uns nichts fehlt,
sobald wir nur unser tägliches Auskommen haben, und niemanden darum ansprechen
dürfen.“

Als ich dies alles an Saadi so umständlich gesagt hatte,
sprach er zu mir: „Hassan, ich wundere mich jetzt nicht mehr, und begreife
recht wohl, warum du mit deiner gegenwärtigen Lage zufrieden sein musst. Doch
wenn ich dir einen Beutel mit zweihundert Goldstücken zum Geschenk machte,
würdest du wohl einen guten Gebrauch davon machen, und glaubst du nicht, dass
du vermittelst dieser Summe sehr bald wenigstens ebenso reich werden könntest,
als die angesehensten Männer deines Gewerbes?“

„Herr,“ antwortete ich, „ihr scheint mir
ein so wackerer Mann zu sein, dass ich überzeugt bin, ihr treibt nicht etwas
euren Scherz mit mir, sondern euer Anerbieten ist ernstlich gemeint. Ich bin
daher so dreist, euch zu sagen, dass eine weit geringere Summe für mich
hinreichen würde, nicht bloß um eben so reich zu werden, als die Ersten meines
Standes, sondern auch, um in kurzer Zeit reicher zu werden, als alle zusammen in
dieser großen Stadt Bagdad, so groß und so bevölkert sie auch ist.“

Der großmütige Saadi zeigte mir sehr bald, dass er im
vollen Ernst gesprochen habe. Er zog den Beutel aus seinem Busen, gab mir ihn in
die Hand und sagte: „Da nimm diesen Beutel, du wirst darin die zweihundert
Goldstücke bar finden. Ich bitte Gott, dass er seinen Segen dazu geben und dir
die Gnade verleihen möge, sie gut anzuwenden. Zugleich sei überzeugt, dass wir
beide, mein Freund Saadi hier und ich, uns sehr freuen werden, wenn wir hören
werden, dass sie dazu beigetragen haben, dich glücklicher zu machen, als du
jetzt bist.“

Als ich, o Beherrscher der Gläubigen, den Beutel
empfangen und ihn in meinen Busen gesteckt hatte, war ich so voll Entzücken und
so von Dankgefühl durchdrungen, dass die Sprache mir versagte, und dass es mir
nicht möglich war, meinem Wohltäter irgend ein anderes Zeichen zu geben, als
dass ich die Hand nach dem Saum seines Gewandes ausstreckte, um es zu küssen.
Aber er wich vor mir zurück und entfernte sich, indem er mit seinem Freund
seinen Weg fortsetzte.