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348. Nacht

Als er daher die Geschichte von Aladdin und Badrulbudur
bis zu Ende gehört hatte, und zwar ganz anders, als sie ihm bisher immer
erzählt worden war, so kam er am folgenden Morgen beim Erwachen Dinarsades
zuvor, weckte die Sultanin selber, und fragte sie, ob sie nun mit ihren
Geschichten zu Ende sei?

„Mit meinen Geschichten zu Ende?“, rief die
Sultanin ganz erstaunt aus. „Da fehlt noch viel, Euer Majestät. Ihre Zahl
ist so groß, dass es mir selber nicht möglich sein würde, sie vollständig
anzugeben. Ich fürchte bloß, dass Euer Majestät zuletzt beim Zuhören sich
langweile und dessen müde werde, ehe mir noch der Stoff zu diesen Erzählungen
ausgeht.“

„Diese Besorgnis kannst du dir immer aus dem Sinn
schlagen,“ erwiderte der Sultan. „Doch wir wollen sehen, was du mir
Neues zu erzählen hast.“

Die Sultanin Scheherasade, durch diese Worte des Sultans
von Indien aufgemuntert, begann folgende neue Geschichte:

Geschichte
Ganems, des Sohnes von Abu Aïbu

Es war einmal in Damask ein Kaufmann, der durch seine
Betriebsamkeit und seinen Fleiß ein großes Vermögen gesammelt hatte, wovon er
sehr anständig lebte. Abu Aïbu – so hieß dieser Kaufmann – hatte einen Sohn
und eine Tochter. Der Sohn bekam anfänglich den Namen Ganem, später den
Beinamen: der Liebessklave. Er war von schöner Leibesgestalt, und sein Geist,
der von Natur herrliche Anlagen hatte, war durch geschickte Lehrer, die ihm sein
Vater hielt, sehr gut gebildet worden. Die Tochter bekam den Namen Herzensmacht,
weil sie von einer so vollkommenen Schönheit war, dass sie jeder, der sei sah,
lieben musste.

Abu Aïbu starb, und
hinterließ unermessliche Reichtümer. Hundert Ladungen an Brokat und andern
Seidenstoffen, die sich in seinen Waren- und Lagerhäusern vorfanden, machten
bloß den kleinsten Teil davon aus. Die Ladungen waren alle schon fertig
gepackt, und auf jedem Ballen las man mit großen Buchstaben geschrieben:
„Nach Bagdad.“

Um diese Zeit herrschte in Damask, der Hauptstadt Syriens,
Mohammed, der Sohn Solimans, mit dem Beinamen Sinebi. Harun Arreschyd, mit dem
er verwandt war, und der seinen Sitz zu Bagdad hatte, hatte ihm dieses Reich mit
Vorbehalt der Zinsbarkeit überlassen.

Nicht lange nach Abu Aïbus Tod
unterhielt sich einst Ganem mit seiner Mutter von Familienangelegenheiten, und
in Bezug auf die Warenladungen, die sich in dem Lagerhaus befanden, fragte er
sie, was denn die Aufschrift auf jedem Ballen bedeuten solle. „Mein
Sohn,“ erwiderte die Mutter, „dein Vater reiste bald in dieses, bald
in jenes Land, und pflegte vor seiner Abreise jedes Mal den Namen der Stadt, wo
er hin wollte, auf jeden Ballen zu schreiben. Er hatte eben alles in Stand
gesetzt, um eine Reise nach Bagdad zu machen, und war im Begriff, dahin
abzureisen, als er starb…“ Sie vermochte nicht weiter zu sprechen, das
noch frische Andenken an den Tod ihres Mannes hemmte ihre Rede und entlockte ihr
einen Strom von Tränen.

Ganem konnte die tiefe Rührung seiner Mutter nicht sehen,
ohne selber gerührt zu werden. Sie blieben eine Weile stumm und sprachlos.
Endlich fasst er sich wieder, und als er seine Mutter wieder im Stand sah, ihn
anzuhören, nahm er das Wort und sagte: „Da mein Vater diese Waren für
Bagdad bestimmt hat, und selber nicht mehr im Stand ist, diesen Plan
auszuführen, so werde ich mich anschicken, diese Reise zu machen. Ich glaube
selber, dass es notwendig ist, meine Abreise zu beschleunigen, damit diese Waren
nicht etwas zu Grunde gehen, oder damit wir nicht die Gelegenheit verlieren, sie
vorteilhaft abzusetzen.“

Die Witwe Abu Aïbus, die ihren
Sohn zärtlich liebte, ward über diesen seinen Entschluss sehr betrübt.
„Mein Sohn,“ erwiderte sie, „ich muss dich loben, dass du in die
Fußstapfen deines Vaters treten willst, aber bedenke, dass du noch zu jung,
ohne Erfahrung, und keineswegs an die Beschwerden einer Reise gewöhnt bist.
überdies, willst du mich denn verlassen, um zu dem Schmerz, unter dem ich
erliege, noch einen neuen hinzuzufügen? Ist es nicht besser, diese Waren an
Kaufleute von Damask zu verkaufen und mit einem mäßigen Gewinn vorlieb zu
nehmen, als dein Leben der Gefahr auszusetzen?“

Sie mochte immerhin das Vorhaben Ganems durch die
triftigsten Gründe bestreiten, er hatte kein Ohr dafür. Die Lust zu reisen und
seinen Geist durch eine ausgebreitete Kenntnis der Welt zu vervollkommnen, trieb
ihn zur Abreise an, und überwog die Vorstellungen, Bitten, ja Tränen seiner
Mutter. Er ging auf den Sklavenmarkt, kaufte sich mehrere recht handfeste
Sklaven, mietete hundert Kamele, und nachdem er sich mit allem zur Reise
Nötigen versehen hatte, machte er sich mit fünf bis sechs Kaufleuten von
Damask, welche Handelsgeschäfte zu Bagdad hatten, auf den Weg.

Diese Kaufleute, die alle ihre Sklaven und noch mehrere
andere Reisende zur Begleitung bei sich hatten, machten eine so ansehnliche
Karawane aus, dass sie nichts von den Beduinen zu fürchten hatten, das heißt,
von denjenigen Arabern, die kein anderes Gewerbe treiben, als die Ebene zu
durchstreifen, und die Karawanen anzufallen und zu plündern, wenn sie nicht
stark genug sind, ihre Angriffe zurückzuweisen. Sie hatten also bloß die
gewöhnlichen Beschwerden einer weiten Reise zu bestehen, die sie gern beim
Anblick von Bagdad vergaßen, wo sie glücklich anlangten.

Sie stiegen in dem prächtigsten und besuchtesten Kan der
Stadt ab. Doch Ganem, der gern bequem und für sich allein wohnen wollte, nahm
darin nicht Herberge, sondern begnügte sich, seine Waren daselbst im Lagerhaus
zu lassen, damit sie in Sicherheit wären. Er mietete sich in der Nachbarschaft
ein schönes, kostbar möbliertes Haus, wobei ein Garten sich befand, der durch
die Menge seiner Springbrunnen und Baumgruppen sehr angenehm war.

Einige Tage darauf, als der junge Kaufmann in dies Haus
eingezogen war und sich von den beschwerden der Reise völlig erholt hatte,
kleidete er sich sehr gut an und begab sich an den öffentlichen Ort, wo sich
die Kaufleute versammelten, um Waren einzukaufen oder zu verkaufen. Ihm folgte
ein Sklave, der einen ganzen Ballen von verschiedenen Arten von Stoffen und
feinen Schleiertüchern trug.

Die Kaufleute empfingen Ganem sehr höflich, und ihr
Vorsteher, an den er sich zuerst wendete, nahm und kaufte den ganzen Ballen nach
dem Preis, der auf dem Zettel angegeben war, welcher an jedem Stück befestigt
war. Ganem setzte dies Geschäft mit so viel Glück fort, dass er die Waren, die
er jeden Tag hintragen ließ, immer alle verkaufte.

Er hatte bloß noch einen einzigen Ballen übrig, den er
aus dem Lagerhaus nach seiner Wohnung hatte bringen lassen, als er einst wieder
nach dem öffentlichen Versammlungsplatz der Kaufleute ausging. Er fand da alle
Kaufläden verschlossen. Die Sache schien ihm so seltsam, dass er sich nach der
Ursache erkundigte, wo er denn erfuhr, dass einer der ersten Kaufleute, der ihm
aber nicht weiter bekannt war, gestorben sei, und dass seine sämtlichen
Handelsfreude und Mitkaufleute der Sitte gemäß zu seinem Begräbnis
mitgegangen wären.

Ganem erkundigte sich nach der Moschee, wo das Gebet für
ihn gehalten werden und von wo aus die Leiche nach dem Begräbnisplatz getragen
werden sollte, und als man ihm dieselbe bezeichnet hatte, schickte er seinen
Sklaven mit dem Pack Waren wieder zurück und nahm seinen Weg nach der Moschee.
Er kam dort an, ehe noch das Gebet ganz geendigt war, welches man in einem ganz
mit schwarzem Atlas ausgeschlagenen Saal hielt. Hierauf hub man die Leiche auf,
und die ganze Verwandtschaft nebst Ganem und den übrigen Kaufleuten folgten ihr
bis zum Begräbnisort, welcher außerhalb der Stadt und sehr weit entfernt war.
Es war dies ein steinernes, oben kuppelförmiges Gebäude, welches zur Aufnahme
der Leichen der gesamten Familie des Verstorbenen bestimmt war. Da es sehr klein
war, so hatte man rings umher Zelte aufgeschlagen, damit das ganze
Leichengefolge sich während der Zeremonien darunter aufhalten könnte. Man
öffnete das Grab, legte die Leiche hinein, und verschloss es dann wieder.
Hierauf setzte sich der Imam und die übrigen Diener der Moschee im Kreis auf
die Teppiche unter dem Hauptzelt, und sagten die üblichen Gebete her. Auch
lasen sie die für Totenbestattung vorgeschriebenen Kapitel des Korans her. Die
Verwandten und die Kaufleute folgten ihrem Beispiel und setzten sich rings im
Kreis hinter sie.

Es war beinahe Nacht geworden, als alles geendigt war.
Ganem, der sich auf eine so lange Feierlichkeit nicht gefasst gemacht hatte,
fing an unruhig zu werden, und seien Unruhe stieg, als er sah, dass man der in
Bagdad bestehenden Sitte zufolge ein Mahl zu Ehren des Verstorbenen auftrug. Man
sagte ihm zugleich, dass die Zelte nicht bloß gegen die Sonnenglut aufgespannt
worden wären, sondern auch gegen den Nachttau, weil man erst gegen den Morgen
nach der Stadt zurückkehren würde. Diese Nachricht beunruhigte Ganem.
„Ich bin hier ein Fremder,“ dachte er bei sich selber, „und gelte
für einen reichen Kaufmann. Es können Diebe meine Abwesenheit benutzen und
mein Haus plündern. Selbst meine Sklaven können sich durch eine so schöne
Gelegenheit reizen lassen, sie dürfen bloß mit dem Geld, das ich für die
Waren empfangen, die Flucht ergreifen, und wo soll ich sie dann suchen?“
Lebhaft mit diesen Gedanken beschäftigt, aß er ganz flüchtig einige Bissen,
und stahl sich dann unvermerkt aus der Gesellschaft hinweg.

Um rascher fort zu kommen, beschleunigte er seine Schritte,
indessen, wie es oft wohl zu gehen pflegt, dass man umso weniger vorwärts
kommt, je eilfertige man ist, so ging es auch dieses Mal. Er schlug einen
falschen Weg ein und verirrte sich im Finstern, so dass es fast schon
Mitternacht war, als er am Stadttor ankam. Zum größten Unglück fand er es
verschlossen. Dieser widerwärtige Zufall setzte ihn von neuem in Verlegenheit
und nötigte ihn, einen Ort aufzusuchen, wo er den noch übrigen Teil der Nacht
zubringen könnte, und zu warten, bis man das Tor öffnen würde. Er trat in
einen Begräbnisplatz ein, der so groß war, dass er sich von der Stadt bis
dahin erstreckte, wo er eben herkam. Hier ging er vorwärts bis an einen kleinen
von einer hohen Mauer umgebenen Platz, welcher der Privatbegräbnisort einer
Familie war und auf welchem ein Palmbaum stand. Es gab außerdem da noch eine
Menge anderer Privatbegräbnisse, deren Türen nicht immer fest zugeschlossen
waren. Da nun Ganem gerade den Platz, wo der Palmbaum stand, offen fand, so ging
er hinein und schloss die Tür hinter sich zu, legte sich dann aufs Gras und tat
alles mögliche, um einschlafen zu können, doch seien Unruhe, sich außer
seiner Wohnung zu sehen, hinderte ihn daran. Er stand auf, spazierte einige Mal
nach der Tür hin auf und nieder, und öffnete sie endlich, ohne zu wissen,
warum. In diesem Augenblick sah er von weitem ein Licht, das auf ihn zu zu
kommen schien. Bei diesem Anblick ward er von Furcht ergriffen, er schlug die
Tür wieder zu, die nur durch eine Klinke sich schloss, und stieg geschwind auf
den Palmbaum, der ihm in der angst der sicherste Zufluchtsort zu sein schien.

Er war kaum oben, als er beim Schein des Lichts, das ihn
so erschreckt hatte, ganz deutlich drei Männer, die der Kleidung nach Sklaven
zu sein schienen, in den Begräbnisplatz, worin er sich befand, herein treten
sah. Der eine ging mit einer Laterne voran, und die beiden andern gingen hinter
ihm her, mit einem Kasten von fünf bis sechs Fuß Länge, den sie auf ihren
Schultern trugen. Sie setzten ihn nieder, und einer von den drei Sklaven sagte
hierauf zu seinen beiden Gefährten: „Brüder, wenn ihr mir folgt, so
lassen wir den Kasten hier, und nehmen unsern Weg nach der Stadt zurück.“
– „Nein, nein,“ antwortete ein anderer, „wir dürfen die Befehle
unserer Gebieterin nicht so schlecht vollziehen, es könnte uns einst reuen, sie
so vernachlässigt zu haben, wir wollen lieber diesen Kasten vergraben, wie uns
befohlen ist.“ – „Doch,“ fuhr der Verschnittene fort,
„schlage ich vor, uns vorher auszuruhen und uns gegenseitig die Ursache
unserer Verstümmelung zu erzählen.“ Sie genehmigten diesen Vorschlag, und
der Eine erzählte seine Geschichte, welche indessen von den anderen für
unbedeutend erklärt wurde. Nun aber begann der zweite Sklave und sprach:
„Wisset, liebe Brüder, dass, so weit ich mich erinnern kann, ich acht Jahr
alt war, als ich wenigstens jährlich einmal die Sklavenhändler belog, und zwar
dergestalt, dass sich stets ein Streit zwischen ihnen entspann. Da wurde mein
Herr über mich ergrimmt, ging zu einem Makler und befahl ihm, mich zum Verkauf
auszubieten, und meinen Fehler, dass ich ein Lügner wäre, dabei zu bemerken.
Dieses tat er denn auch und bald nahte sich ihm eine sehr reicher, angesehener
Mann und fragte ihn: „Wie viel soll ich euch geben für diesen Sklaven,
ungeachtet seines Fehlers?“ – „Gib sechshundert Drachmen,“ war
die Antwort. „Die sollst du haben,“ erwiderte jener, „und noch
zwanzig darüber für dich.“ Der Handel wurde geschlossen, der Mäkler nahm
das Geld nebst seinem Lohn in Empfang und bracht e mich zu meinen neuen Herrn.
Dieser bekleidete mich angemessen, und ich bediente ihn zu seiner Zufriedenheit,
bis zum Anfang des neuen Jahres. Dieses zeigte sich so ergiebig und fruchtreich,
dass die reicheren Einwohner, vor Freude darüber, sich gegenseitig Feste gaben.
Einst traf auch die Reihe meinen Herrn, und der veranstaltete ein solches auf
einem Landgut unweit der Stadt, wohin er alles Nötige bringen ließ. Die
Gesellschaft war bald eingerichtet. Man aß, man trank, alles war frohen Mutes.
Gegen Mittag fiel meinem Herrn ein, dass ich ihm etwas Wichtiges aus der Stadt
holen sollte. „Geh,“ sagte er, „besteige mein Maultier, hole das
Nötige bei meiner Frau und beeile deine Rückkehr.“ Ich befolgte seinen
Befehl und begab mich auf den Weg. Doch als ich dem Haus nahe kam, bemächtigte
sich meiner die Lust zum Lügen. Ich fing daher an erbärmlich zu schreien,
Tränen flossen aus meinen Augen, und bald umringten mich die Leute des
Stadtviertels groß und klein. Da erkannten die Frau und die Töchter meines
Herrn meine Stimme. Sie öffneten die Türe, und fragten mich, was es gäbe? –
„Ach,“ rief ich, „mein armer unglücklicher Herr! Er setzte sich,
um auszuruhen, an eine alte Mauer. Kaum hatte er sich niedergelassen, als sie
umfiel, und ihn unter ihren Trümmern begrub. Als ich dieses Ereignis sah,
bestieg ich schnell das Maultier, um Euch davon zu benachrichtigen.“ – Bei
diesen Worten stießen alle ein fürchterliches Klagegeschrei aus, zerrissen
ihre Kleider und schlugen sich ins Angesicht. Nun gesellten sich noch die
Nachbarn und die Dienerschaft hinzu. Die Gattin meines Herrn aber geriet in eine
Art von Wahnsinn. Sie kehrte alles im Hause von unten nach oben, zerschlug die
kostbarsten Gerätschaften, zertrümmerte die Fenstergitter, und beschmutzte ihr
Angesicht mit Asche. Dann rief sie mir zu: „Wehe dir, Kafur, ob deiner
Nachricht! Komm, hilf mir zerstören und zerbrich dieses Porzellan und diese
Schüsseln!“ Ich kam zu ihr, und vernichtete alles, was ich nur im ganzen
Haus sah, indem ich immerfort ausrief: „Ach, mein armer Herr!“ Hierauf
ging sie unverschleiert aus dem Haus, begleitet von ihren Kindern ,und sage mir:
„Kafur, geh nur voran, und zeige mir den Ort, wo dein Herr unter der Mauer
liegt, damit wir ihn aus dem Schutt hervorziehen und würdig bestatten
können.“ Ich ging also voran, beständig Ausrufungen des Schmerzes
ausstoßend, und es blieb niemand in dem Stadtviertel, der sich nicht dem
Trauerzug anschloss, und mit uns wehklagte. So gingen wir durch die Stadt, und
die Leute, die uns begegneten, nachdem sie die Ursache unsers Jammer erfahren
hatten, riefen aus: Oh wie schade um diesen Mann! Er war so reich, so wohltätig
und gut! Doch müssen wir zunächst zum Statthalter gehen, und ihn von diesem
Vorfall benachrichtigen.

Als dieser davon unterrichtet war, bestieg er ein Pferd,
nahm Leute mit sich, welche die gesetzmäßigen Waschungen an dem Toten
verrichten sollten, und nun setzte sich der Zug in Bewegung, meinen Schritten
folgend. Nun fing ich an etwas schneller voranzueilen, indem ich stets mein
Haupt mit Staub bestreute und jammerte. Als ich in das Landhaus trat und mein
Herr sah, wie ich mich gebärdete, fing ich an zu rufen: „Ach, meine arme
unglückliche Frau! Wer wird sich jetzt meiner annehmen?“ Bei diesen Worten
erstaunte mein Herr, wurde blass und sprach: „Was hast du, Kafur, was
bringst du für Nachricht?“ – „Ach, mein Herr,“ rief ich,
„da du mich schicktest, das Verlangte zu holen, so eilte ich hinzukommen,
und betrat das Haus. Als ich aber in den großen Saal kam, fand ich die Decke
über deiner Frau und deinen Kindern eingestürzt.“ – „Was,“ rief
er, „ist nicht meine Frau, oder eins von meinen Kindern gerettet?“ –
„Nein,“ sagte ich, „Sogar die Großmutter ist erschlagen. Si
bilden nur noch einen Haufen von Leichen.“ Bei diesen Worten fühlte sich
mein Herr fast erstickt vor Schmerz. Er zerriss die Kleider, raufte seinen Bart,
schlug sich ins Gesicht, bis das Blut floss, und schrie: „Meine arme Frau,
meine armen Kinder! Welches Unglück!“ Seine Genossen klagten mit ihm.
Hierauf trat er aus seinem Garten und seien Freunde folgten ihm. An der Pforte
angelangt erblickten sie in einiger Entfernung eine Staubwolke, aus der lautes
Angstgeschrei ertönte. Dies war der Statthalter mit seinen Leuten, und die
Familie meines Herrn. Dieser ging ihnen entgegen, und die Ersten, denen er
begegnete, waren seine Frau und seine Kinder. Als er sie sah, blieb er bestürzt
stehen und sprach: „Wie geht es denn zu Hause? Was ist euch denn
begegnet?“ Und als jene ihn erblickten, riefen sie aus: „Gott sei
Dank, dass du gerettet bist!“ Sie warfen sich an seinen Hals, und konnten
es nicht fassen, ihn wieder zu sehen. „Wie ist du denn noch gerettet
worden?“, fragten sie ihn. „Und ihr,“ unterbrach er sie,
„wie seid ihr denn dem Tod entgangen?“ – „Oh, wir sind alle
munter und gesund, uns ist nichts übles begegnet. Nur dass Kafur mit
entblößtem Haupt, zerrissenen Kleidern, mit großen Geschrei eintrat, und uns
erzählte, du wärst mit deinen Freunden von einer Mauer erschlagen
worden.“ Mein Herr sagte nun zu seiner Frau: „So eben war Kafur hier,
und berichtete mir Euren Tod mit demselben Angstgeschrei,“ und als er sich
umwandte, sah er mich an seiner Seite noch damit beschäftigt, Staub auf mein
Haupt zu streuen und meine Turbanbinde weinend zu zerreißen. Er rief mich an,
und ich näherte mich ihm. „Wehe dir,“ rief er aus, „du
schlechter Sklave, du Abkömmling eines verruchten Geschlechts! Was sind das
für falsche Erzählungen, durch die du uns in Verzweiflung gestürzt hast!
Lebendig will ich dich schinden lassen.“ Ganz ruhig gab ich zur Antwort:
„Dazu hast du kein Recht: Du bist vor meinen Fehlern gewarnt worden, und
hast mich dennoch gekauft. Zeugen können bestätigen, dass ich jedes Jahr eine
Lüge vorbringe, und das war nur eine halbe. Bis zum Schluss des Jahres wird die
andere Hälfte folgen.“ – „Du Hundesohn,“ rief mein Herr aus,
„das ist nur eine halbe Lüge? Ein schreckliches Unglück ist es. Geh,
verlass mich, ich will nichts mehr von dir wissen.“ – „Ich aber kann
dich nicht frei geben, bis das Jahr um ist,“ erwiderte ich, „dann
kannst du auf den Markt gehen, und mich mit Angabe meines Fehlers verkaufen,
denn ich verstehe kein Handwerk, womit ich mich ernähren könnte. Es ist
gesetzlich, dass du mich unter einem Jahr nicht entlassen kannst.“ – Als
wir noch so sprachen, kam auch der Statthalter mit seinen Leuten näher, und
mein Herr unterrichtete ihn von dem Vorfall. Alle fanden das grässlich und
verfluchten mich. Ich aber war ganz heiter und sagte: „Wie kann mein Herr
mich schlagen lassen, da er doch von meinen Fehlern Kenntnis hatte.“ –
Jetzt begaben sie sich nach Hause, wo mein Herr alles verwüstet fand, und zwar
war ich derjenige, welcher das meiste zerstört hatte. bei diesem Anblick schlug
er die Hände zusammen: „Bei Gott, so lange ich lebe, habe ich niemanden
gesehen, der diesem Bösewicht von Sklaven glich! Der hätte mit einer ganzen
Lüge eine ganze Stadt zerstört.“ Nun wandte er sich an den Statthalter,
und ließ mir eine derbe Tracht Prügel geben, bis ich endlich in Ohnmacht sank.
In diesem Zustand kamen die Leute und verstümmelten mich. Nun verkaufte er mich
zu einem höheren Preis, aber ich hörte nicht auf Zwietracht zu stiften, bis
ich in das Haus des Fürsten der Gläubigen gelangte.“

Als diese beiden Sklaven diese Erzählung gehört hatten,
lachten sie über ihn, und baten den dritten, seine Geschichte auch zu
erzählen. Der sagte: „Ich habe weit ärgeres begangen, doch jetzt ist
nicht die Zeit zum Erzählen. Wenn ihr mir folgt, so vergraben wir erst den
Kasten.“ Sie fingen nun an mit Werkzeugen, die sie zu diesem Zweck
mitgebracht, die Erde aufzuwühlen, und als sie eine tiefe Grube gemacht hatten,
setzten sie den Kasten hinein, und bedeckten ihn mit der Erde, die sie
aufgewühlt hatten. Hierauf gingen sie aus dem Begräbnisplatz fort und wieder
nach Hause.