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345. Nacht

Als der Zauberer auf diese Weise das traurige Schicksal
seines Bruders erfahren hatte, verlor er keine Zeit mit fruchtlosem Bedauern,
sondern fasste auf der Stelle den Entschluss, seinen Tot zu rächen, setzte sich
zu Pferd und machte sich auf den Weg nach China. Die Reise ging über Ebenen,
Ströme, Gebirge, Wüsten, eine lange Strecke fort, ohne unterwegs irgendwo
anzuhalten, und so kam er denn unter unglaublichen Beschwerden nach China und
sofort in die Hauptstadt des Landes. In der Gewissheit, dass er sich nicht
getäuscht und nicht dies Reich mit einem andern verwechselt habe, machte er in
dieser Hauptstadt Halt und nahm da seine Wohnung.

Den Tag nach seiner Ankunft ging der Zauberer aus und
indem er durch die Stadt spazierte, nicht etwa um die Schönheiten derselben zu
besehen, die ihm sehr gleichgültig waren, sondern in der Absicht, die
Maßregeln zu Vollführung seines verderblichen Anschlages einzuleiten, ging er
in die besuchtesten Orte hin und horchte auf das, was man da sprach. An dem
einen dieser Orte, wo man sich die Zeit mit allerlei Spielen vertrieb, und wo,
während die einen spielten, sich die andern von den Neuigkeiten und
Angelegenheiten des Tages unterhielten, hörte er seltsame Dinge erzählen von
der Tugend und Frömmigkeit und selbst von den Wundertaten einer von der Welt
abgeschiedenen Frau, Namens Fatime. In der Meinung, dass ihm diese Frau in
irgend etwas bei seinem Vorhaben behilflich sein könne, zog er einen von der
Gesellschaft bei Seite und bat ihn, ihm doch etwas genaueres über diese heilige
Frau und über die Wunder, die sie verrichte, zu sagen.

„Wie,“ sagte dieser Mann, „ihr habt diese
Frau noch nie gesehen, noch auch niemals von ihr reden gehört? Durch ihr
Fasten, durch ihre strenge Lebensweise und durch das gute Beispiel, das sie
gibt, ist sie Gegenstand der Bewunderung der ganzen Stadt. Außer Montags und
Freitags geht sie nie aus ihrer kleinen Einsiedelei heraus, und an den Tagen, wo
sie sich in der Stadt sehen lässt, tut sie unendlich viel Gutes, und jeden der
mit Kopfschmerzen behaftet ist, heilt sie durch das Auflegen ihrer Hände.

Der Zauberer verlangte über diesen Punkt nichts weiter zu
wissen, und fragte den Mann bloß noch, in welcher Gegend der Stadt die
Einsiedelei dieser heiligen Frau sich befände. Der Mann beschrieb ihm genau die
Stelle. Nachdem er diese Erkundigung eingezogen und den ruchlosen Plan, von dem
wir bald sprechen werden, gefasst und entworfen hatte, beobachtete er, um seiner
Sache noch gewisser zu sein, gleich an dem nächsten Tag, wo sie ausging, alle
ihre Schritte, ohne sie aus den Augen zu verlieren, bis er sie am Abend in ihre
Einsiedelei zurückkehren sah. Als er sich den Ort gut gemerkt hatte, begab er
sich an einen der schon erwähnten Orte, wo man ein gewisses warmes Getränk zu
sich nahm, und wo man die ganze Nacht zubringen konnte, wenn man Lust hatte,
besonders bei großer Hitze, wo man in diesem Land lieber auf Matten als in
Betten schläft.

Nachdem der Zauberer dem Wirt das wenige, was er sich da
hatte geben lassen, bezahlt hatte, ging er um Mitternacht fort und geraden Weges
nach der Einsiedelei der heiligen Fatime, – unter diesem Namen war sie nämlich
in der ganzen Stadt bekannt. Er öffnete ohne Mühe die Tür, denn sie war mit
einer bloßen Klinke versehen. Als er eingetreten war und die Tür ganz leise
wieder zugemacht hatte, sah er Fatime bei hellem Mondschein an freier Luft
schlafend auf einem Sofa, das mit einer schlechten Matte überdeckt war, und
gegen ihre Zelle hingelehnt daliegen. Er näherte sich ihr, zog einen Dolch, den
er an seiner Seite trug, und weckte sie.

Als die arme Fatime die Augen aufschlug, erschrak sie
nicht wenig darüber, einen Mann zu erblicken, der im Begriff war, sie zu
erdolchen. Er setzte ihr den Dolch auf die Brust und sagte zu ihr: „Wenn du
schreist oder nur das mindeste Geräusch machst, so bist du des Todes, aber
stehe auf und tue, was ich dir sage.“

Fatime, welche angekleidet schlief, stand vor Schrecken
zitternd auf. „Fürchte dich nicht,“ sagte der Zauberer zu ihr,
„ich will bloß dein Kleid haben. Gib es mir her und nimm dir dafür das
meinige.“ Sie vertauschten ihre Kleider, und nachdem sich der Zauberer das
Kleid Fatimes angezogen, sagte er zu ihr: „Jetzt färbe mir mein Gesicht
gleich dem deinigen, und zwar so, dass ich dir ähnlich sehe, und dass die Farbe
nicht ausgeht.“ Da er sah, dass sie noch immer zitterte, so sagte er, um
sie zu beruhigen und zu bewegen, das, was er verlangte, mit größerer
Zuversicht zu tun: „Fürchte dich nicht, sage ich dir noch einmal: Ich
schwöre dir bei dem Namen Gottes, dass ich dir das Leben lasse.“ Fatime
ließ ihn in ihre Zelle eintreten, zündete ihre Lampe an, nahm einen Pinsel und
einen gewissen Saft, den sie in einem Gefäß stehen hatte, rieb ihm damit das
Gesicht ein und versicherte ihn, dass die Farbe nicht ausgehen, und dass sein
Gesicht ganz wie das ihrige aussehen würde, ohne den mindesten Unterschied.
Sodann setzte sie ihm ihre eigene Kopfbedeckung aufs Haupt, nebst einem
Schleier, und zeigte ihm, wie er sich mit demselben auf dem Gang durch die Stadt
das Gesicht verhüllen müsste. Endlich, nachdem sie ihm einen großen
Rosenkranz, der ihr vorn bis auf den Gürtel herabhing, um den Hals geschlungen,
gab sie ihm denselben Stab in die Hand, den sie gewöhnlich zu führen pflegte,
heilt ihm zugleich eine Spiegel vor und sagte: „Da blickt einmal hinein,
und ihr werdet sehen, dass ihr mir auf das vollkommenste ähnlich seid.“
Der Zauberer fand alles nach Wunsch, heilt aber der guten Fatime den Schwur
nicht, den er ihr so feierlich geleistet hatte. Damit man nicht, wenn er sie
erstäche, Blutspuren sehen möchte, so erwürgte er sie, und als er sah, dass
sie ihren Geist aufgegeben, schleppte er ihre Leiche bei den Füßen zu dem
Wasserbehälter der Einsiedelei, und warf sie da hinein.

Der so als heilige Fatime verkleidete Zauberer brachte
nach Vollführung dieser verruchten Mordtat den übrigen Teil der Nacht in der
Einsiedelei zu. Den folgenden Tag früh um ein oder zwei Uhr, obwohl die heilige
Frau an diesem Tag nicht auszugehen pflegte, unterließ er doch nicht das
Ausgehen, in der überzeugung, dass ihn niemand deshalb fragen würde, und im
Fall ihn jemand fragen würde, wollte er schon darauf antworten. Da er bei
seiner Ankunft sich vor allen Dingen nach Aladdins Palast erkundigt und ihn sich
angesehen hatte, und da er dort seine Rolle zu spielen Willens war, so nahm er
sogleich seinen Weg dahin.

Sobald man die heilige Frau erblickte, – als wofür den
Zauberer das Volk hielt – so ward sie sogleich von einer großen Menge Menschen
umringt. Einige empfahlen sich ihrem Gebet, andere küssten ihr die Hand,
andere, die bescheidener waren, küssten ihr bloß den Saum des Gewandes, und
noch andere – sei es nun, dass die wirklich Kopfschmerzen hatten, oder dass sie
sich bloß dagegen verwahren wollten – neigten sich vor ihr, damit sie ihnen die
Hände auflegen möchte, welches er denn auch tat, indem er über sie einige
Worte nach Art eines Gebetes murmelte. Kurz, er ahmte die heilige Frau so gut
nach, dass alle Leute ihn dafür hielten. Nachdem er mehrere mal unterwegs
stehen geblieben war, um den Leuten zu genügen, die von dieser Art
Händeauflegen weder eine gute noch schlimme Wirkung empfanden, kam er endlich
auf den Platz vor Aladdins Palast, wo es, da das Herbeiströmen der Menschen
immer größer wurde, jedem noch mehr erschwert wurde, ihr nahe zu kommen. Die
stärksten und eifrigsten drängten sich mit Gewalt durch den Haufen, darüber
erhuben sich denn Klagen, die man bis in den Saal von vierundzwanzig Fenstern,
worin die Prinzessin Badrulbudur war, hören konnte.

Die Prinzessin fragte, was das für ein Lärm sei, und da
es ihr niemand sagen konnte, befahl sie, dass jemand hingehen und ihr darüber
Nachricht bringen solle. Eine ihrer Frauen sah, ohne den Saal zu verlassen,
durch ein Gitterfenster, und meldete ihr sodann, der Lärm rühre von der
Volksmenge her, welche die heilige Frau umringe, um sich durch ihr
Händeauflegen vom Kopfweh heilen zu lassen.

Die Prinzessin, welche schon sehr lange viel Gutes von der
heiligen Frau hatte erzählen hören, sie aber noch nie gesehen hatte, war
neugierig, sie zu sehen und zu sprechen. So wie sie etwas davon verlauten ließ,
sagte das Oberhaupt der Verschnittenen, welches zugegen war, zu ihr. Wenn sie es
wünsche, so wolle er sie mit Vergnügen heraufholen lassen, und sie dürfe
bloß befehlen. Die Prinzessin genehmigte es, und sogleich fertigte er vier
Verschnittene ab, mit dem Befehl, die angebliche Heilige heraufzuholen.

Sobald man die Verschnittenen aus dem Palast heraustreten
und nach dem Punkt, wo der verkleidete Zauberer stand, hingehen sah, so wich das
Volk auseinander. Als jener sich nun frei und die vier auf sich zukommen sah,
ging er ihnen umso freudiger entgegen, da er jetzt seine Betrügerei einen guten
Gang nehmen sah. Einer von den Verschnittenen nahm das Wort und sagte:
„Heilige Frau, die Prinzessin wünscht euch zu sprechen. Kommt und folgt
uns.“ – „Die Prinzessin erzeigt mir viel Ehre,“ antwortete die
angebliche Fatime, „ich bin bereit, ihr zu gehorchen.“ Mit diesen
Worten folgte sie den Verschnittenen, die schon auf dem Rückweg nach dem Palast
waren.

Als der Zauberer, der unter dem Heiligenkleid ein
teuflisches Herz verbarg, in den Saal von vierundzwanzig Fenstern eintrat und
die Prinzessin bemerkte, begann er mit einem Gebet, welches eine lange Reihe von
Wünschen für ihr Glück, ihr Wohlbefinden, und für die Erfüllung alles
dessen, was sie irgend wünschen könnte, enthielt. Hierauf entfaltete er all
seine betrügerische und heuchlerische Beredsamkeit, um sich unter dem Mantel
der Frömmigkeit bei der Prinzessin einzuschmeicheln, was ihm umso leichter
gelang, da die Prinzessin von Natur gutherzig und der Meinung war, alle Leute
wären so gesinnt als sie, besonders alle diejenigen, welche er sich zur Pflicht
machten, Gott in der Zurückgezogenheit zu dienen.